Die Kasematten von Rees

Streifzug durch die älteste Stadt am Unteren Niederrhein

Heinz Wellmann ist Gildemeister der Deutschen Nachtwächter, hat auch schon Gildetreffen in Rees organisiert, und setzt sich für die Aufnahme der Nachtwächter als immaterielles Weltkulturerbe ein. Weiterhin führt er als „Hein vom Rhein“, als Torwächter, Messner oder „Paul Laner“ im Rahmen von Mottotouren durch die Stadt Rees und das Umland.

„Wo ist Euer Quartier? Wer seid Ihr?“, herrscht uns plötzlich jemand an, als wir in Rees ankommen. Es ist der Nachtwächter der Stadt. Seine Helebarde ist eine Respekt einflößende Waffe. Zwar altertümlich, aber wenn man sie einmal am Hals hat, stockt einem doch der Atem. Auch wenn wir ihn erwartet haben: „Es war wichtig, dass jeder dem Nachtwächter seine Bleibe und Identität nachweisen konnte. Im späten Mittelalter trieb sich hier viel Gesinde in den nächtlichen Straßen und Gassen rum.“, begrüßt uns Heinz Wellmann und grinst. Er bietet Nachtwächter-Touren in Rees an – und das ziemlich authentisch, wie wir feststellen:  mit dunkler Robe, Rufhorn, Laterne und dickem Schlüsselbund für alle Tore der Stadt, so tritt er den Gästen entgegen und zieht sie unmittelbar ins Geschehen. Auch uns, die wir heute mit ihm durch die Kasematten der Stadt streifen wollen.

Aber zunächst erfahren wir, was die Kasematten von Rees sind. Die feuerfesten Geschützkammern gehören zu den am besten erhaltenen spätmittelalterlichen bis frühneuzeitlichen Festungsanlagen im Rheinland und haben sich über viele hundert Jahre zum Schutz und zur Abwehr gegen die Niederländer, Spanier und Franzosen bewährt. Im Koenraad Boesman Museum, dem Museum für Kunst- und Stadtgeschichte, erklärt uns Heinz Wellmann zu Beginn die Verteidigung der Stadt anhand eines Modells: Rees im  Jahr 1650.

NiederRhein Edition, Ausgabe 01/2017 | Text: Stephan Sadowski, Sonja Raimann | Bilder: Stephan Sadowski, Katrin Woidt, Stadt Rees

Bereits im zwölften Jahrhundert war Rees eine wichtige Fährstelle über den Rhein und ein bedeutender Hafen. Händler ließen sich hier nieder und es entstand eine Kaufmannssiedlung. „Da zu jener Zeit die Befestigung Rees’ wohl aus einem grabenumwehrten Wall mit Palisade bestand, wurde dieser Ort ab 1188 als ‚Oppidum’– als umwehrter Platz bezeichnet,“ erzählt Heinz Wellmann.

Von Stadtwerdung und Mauerbau1228 wurde Rees durch den Kölner Erzbischof Heinrich von Müllenark zur Stadt erhoben. Verbrieft sind  hierzu  Handels- und  Steuervergünstigungen, die belegen, dass Rees damals eine wichtiges Zentrum am Niederrhein war und somit die älteste Stadt am Unteren Niederrhein darstellt. Weil die Reeser sich aber 61 Jahre lang scheuten die Kosten und Mühen, des ihnen bereits 1228 zugestandenen Befestigungsrechtes, i. e. munitio fossatum, in Angriff zu nehmen, wurden sie nun vom Erzbischof zum Bau einer steinernen Mauer verpflichtet. In Folge wurde die Akzise, eine städtische Verbrauchssteuer erhoben – schließlich musste der Bau der Mauer irgendwie finanziert werden. Als die Reeser Bürger dann endlich Ziegeleien für die Backsteine angelegt hatten, konnte die lange Rheinmauer gebaut werden: 60 bis 90 Zentimeter breit und sechs bis neun Meter hoch – und mit Toren: dem Rheintor, Delltor, Steintor und Falltor. Später, so um 1350 wurde das landwärtige Rynwicker Tor, das älteste Tor der Stadt, komplett erneuert und zu einem Doppelturmtor umgebaut. Gegen Mitte des 14. Jahrhunderts kam noch das Neutor hinzu.

Der Niederrhein: ein wichtiger Verkehrsweg – auch aus millitärischer Sicht

Mittlerweile sind wir in den Kasematten unterhalb des Koenraad Boesman Museums angekommen – voran Nachtwächter Wellmann, der für uns die Geschichte lebendig werden lässt. „Rees war eine der wichtigsten Städte im Herzogtum Kleve und hatte zur Blüte etwa 3.000 Einwohner“, so Heinz Wellmann, „Und als sich die Niederlande 1568 gegen die spanische Oberherrschaft erhoben, drohte auch Rees Gefahr. Schließlich war der Niederrhein in militärischer Hinsicht ein wichtiger Verkehrsweg. Deshalb griffen die Kampfhandlungen auch so rasch auf das Klever Gebiet über. Aufgrund der drohenden Kriegsgefahr um 1583 erließ der Magistrat der Stadt, dass die Stadtbefestigung verstärkt werden sollte.“ An exponierten Punkten der Stadtmauer und an den wichtigen Toren wurden daraufhin große Basteien aus Backsteinen errichtet, mit Kasematten, die gewölbte Geschützkammern aufnahmen und dadurch tunnelartig gewölbte Korridore zum Stadtinneren herstellten. Die Form war allerdings nicht mehr zeitgemäß und basierte größtenteils auf der 1527 veröffentlichten „Befestigungslehre“ Albrecht Dürers. „Die war schon bei ihrem Erscheinen längst veraltet. Also kombinierte man sie mit moderner Festungsarchitektur, die Spitzbastionen und eingezogene Flanken aufwies“, erklärt der 60-jährige Hobby-Historiker Wellmann, der sich all sein Wissen im „Studium am Küchentisch“ angeeignet hat, während wir weiter durch die Tunnel streifen. Überraschenderweise riecht es in den unterirdischen Kasematten kein bisschen muffig. Hier herrscht ein angenehmer Luftzug. Und das hat einen guten Grund, erzählt uns Heinz Wellmann in der geräumigen Kasematte. „Die Luft kann durch die durchlüfteten Gittertore gut zirkulieren. Das beugt Schimmel vor. Und wenn wir in der kälteren Jahreszeit noch Heizstrahler aufstellen, können die Räume sogar für Festlichkeiten gemietet werden.“ Tatsächlich wird es dann hier richtig heimelig – egal ob Sommer oder Winter – und so manche Weinprobe, Geburtstags- oder  Firmenfeier wurde an diesem mittelalterlichen Schauplatz schon zelebriert, lässt uns Nachtwächter Wellmann wissen.

Die Reeser Bürger legten Wert auf ihre Sicherheit

Gut zu erkennen sind noch die etwa ein Meter hohen Schießscharten, die einst offen waren.  Jetzt sind sie aber zugemauert. Bezeichnend sind auch die Eisengeländer und Laufgitter, die, auf einem Niveau schwankend zwischen vier und fünf Meter Tiefe zur Straßenebene für Sicherheit beim Gehen in der vom Grund her unebenen Kasematte sorgen. „Die Reeser Bürger legten augenscheinlich Wert auf ihre Sicherheit“, sagt Wellmann und deutet auf die vielen Millionen Backsteine, die hier sehr filigran im Kreuzverband verbaut worden sind. Der Raum in dem wir uns nun befinden ist 14 Meter lang und etwa 2,60 Meter breit. Für leichtere Geschütze war er gut geeignet und wir erfahren, dass von hier aus der Außenwall und die Stadtmauer im Belagerungsfall beschossen wurden.

Weil die Reeser so lange mit dem Bau der Stadtmauer zögerten, beschlossen sie die Südostflanke mit einem Rundturm, einem Rondell, zu sichern. Dieser wird erstmals 1329 erwähnt. Er wirkt wie ein Bollwerk. Weil der Rhein bis 1671 direkt auf die Bewehrung zu floss, diente der Rundturm zum Schutz gegen Eisgang und Hochwasser. Um 1520 wurde er der neuen Wehrtechnik angepasst, erhielt Schießkammern und -scharten, am Südwesteck erhielt er zur Abwehr ein eingezogenes "Ohr".

Nach Norden hin sicherte ein Bollwerk unter dem Konraad Boesman-Museum den Bereich. 1583 wurden die Schießkammern noch einmal modernisiert. Ab 1758 nutzten die Franzosen das Rondell als Munitionsdepot. „Der Zugang zu dieser Kasematte verläuft über ein privates Grundstück. 2002 wurden archäologische Untersuchungen in Verbindung mit statischen Sicherungsmaßnahmen in die Wege geleitet und  2003 wurde sie freigeschuttet. Seit 2014 kann man die Kasematte bei Stadtführungen sehen“, erklärt Wellmann und erzählt uns von der Bastei am Westring. Wir erfahren, dass die wuchtige Halbrundbastion nach Dürerscher Manier, deren Anschlüsse an die Stadtmauer ohrenartig eingezogen waren, mit Rundloch-Schießscharten für leichte Geschütze bestückt wurden.

Datiert auf das Jahr 1583 konnte das Bauwerk vom Stadtareal durch den Stadtwall über ein y-förmiges Gangsystem aus gewölbten Tunneln erreicht werden. „Der leicht abschüssige Kasemattenboden sollte die Anlieferung leichter Geschütze gewährleisten“, so Wellmann und macht einen kleinen Zeitsprung. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg errichtete man eben dort einen Gefallenenfriedhof und eine Gedenkstätte über zwei Ebenen. „Rees wurde im Zweiten Weltkrieg völlig zerbombt. Von daher ist es möglich, dass es vorher natürlich noch viel mehr unterirdische Gangsysteme mit Kasematten gegeben hat“.

Wir kommen zur vierten und letzten begehbaren Kasematte. Die befindet sich unter dem Wohnquartier „Rheinpalais“ und wird von den dortigen Bewohnern heute als Partykeller genutzt.

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