Im Reich der Riesen

Sequoiafarm Kaldenkirchen

Autobahn, Landstraße, Hauptstraße, Nebenstraße, Waldweg – und dann sinkt der Puls. Stille, unterbrochen nur von Vogelgezwitscher, es riecht nach feuchtem Laub und nach Gras, Erde und Holz. Tief durchatmen, das satte Grün und das Braun wirken lassen – die Sonne, die durch die Wipfel blitzt.

Recht schnell ist es mit der Ruhe vorbei, weil jetzt Michael Geller auf den Plan tritt, was aber nichts macht, weil der Mann sehr interessante Dinge zu erzählen hat. Geller lebt hier mitten im Wald bei Kaldenkirchen und ist der Hüter der Sequoiafarm. 


 Text: Jan Jessen | NiederRhein Edition  02/2014 | Bilder: Tim Schulz

Sequoia klingt fremd, ist es auch. „So hieß einmal ein amerikanischer Ureinwohner, der als der Erfinder der Cherokee-Schrift gilt, und ihm zu Ehren haben Botaniker den Mammutbäumen ihren wissenschaftlichen Namen gegeben“, sagt Michael Geller auf dem Weg in die Farm hinein. Mammutbäume, das sind diese riesigen Gewächse, die man aus den USA kennt, die über 100 Meter hoch werden können und so dick, dass Autos durch sie durchfahren könnten. Sie wachsen aber nicht nur jenseits des Atlantiks, sondern eben auch hier am Niederrhein in Kaldenkirchen. Und das bereits seit den 1950er Jahren.  Damals gehörte das Gelände dem Kaldenkirchener Zahnarztehepaar Ernst und Illa Martin. Die Martins hatten sich während des Zweiten Weltkriegs ein kleines Fachwerkhaus auf dem Gelände mitten im Wald errichtet, um vor den Bombenangriffen in den letzten Kriegsmonaten sicher zu sein. 1947 brannte der Wald lichterloh. Zurück blieb eine Sandwüste. Ernst Martin setzte sich für die Wiederaufforstung ein, und das durchaus pfiffig. Eine Wiederaufforstung kostet Geld und Geld war nach dem Krieg knapp. Also ließ der Zahnarzt eine Delegation der Düsseldorfer Bezirksregierung mit dem Bus kommen. „Der Bus blieb natürlich im Sand stecken und die feinen Herren mussten ihn frei schaufeln“, erzählt Michael Geller. Das grüne Licht zur Wiederaufforstung kam zügig. Zunächst wurden heimische Gewächse gepflanzt, wie Roteichen, Linden, Birken und Kastanien. 1952 pflanzten die Martins die ersten Mammutbäume, experimentierten mit anderen exotischen Gewächsen. Nach dem plötzlichen Tod von Ernst Martin im Jahr 1967 übernahm das Land das Gelände, 1987 kauften es die Stadtwerke Nettetal. Heute kümmert sich der Verein Sequioafarm um das Arboretum, wie Fachleute einen botanischen Garten nennen.

3½ Hektar pralle Natur

Die 55 Ehrenamtlichen haben die Sequoiafarm zu einem wunderbaren Rückzugsort gemacht. Dreieinhalb Hektar pralle Natur, säuberlich gestutzte Hecken, gepflegte Rasenflächen, Ruhebänke. Mit Holzhäckseln bedeckte Wege führen entlang der 300 unterschiedlichen Gehölze, die hier wachsen und gedeihen. Und dann sind da noch die Vertreter der Fauna, die sich hier tummeln. 40 Vogelarten, Libellen, Wildbienen, und: Ja, auch die eine oder andere Mücke. Mittendrin wohnt Michael Geller, seit dem vergangenen Jahr, als der Verein Sequoiafarm das Gelände von den örtlichen Stadtwerken übernahm.

Geller hat früher in der Werbebranche in Köln gearbeitet, jetzt lebt er hier zurückgezogen tief im Wald. Ohne eine große Liebe zur Natur schwer vorstellbar, aber dem 47-Jährigen ist anzumerken, wie er all das liebt, was hier sprießt, kreucht und fleucht. Ganz besonders natürlich die Mammutbäume. 90 von denen stehen hier. Der Küstenmammut, der Bergmammut und der Urweltmammut. Letzterer wurde erst in den 1940er Jahren in China entdeckt. „Der Küstenmammut ist für mich der interessanteste Baum der Welt, er hat unglaublich viele Überlebenstaktiken“, erklärt Geller am Fuße eines dieser Riesen, die, seit sie in den 1950er-Jahren gepflanzt wurden und seitdem schon bis zu 40 Meter in die Höhe geschossen sind. Und – es ist noch mächtig Luft nach oben; Küstenmammuts können die höchsten Bäume der Erde werden, der „Hyperion“ im Redwood-Nationalpark in Kalifornien misst stolze 115 Meter. Küstenmammuts machen merkwürdige Sachen. Einmal, sagt Geller, hat er einen Küstenmammut gesehen, der umgestürzt war. Statt einfach nur einzugehen und zu Humus zu werden, hatte dieser Baum sich verwandelt. Aus einigen Ästen wurden Wurzeln, die sich ins Erdreich gruben, aus anderen entwickelten sich neue Bäume, die in die Höhe wuchsen. Früher hat er sich europaweit auf die Suche nach diesen Riesen gemacht. „Die sind hier total selten und eigentlich an der Küste Kaliforniens beheimatet.“ Da stehen sie rum und sorgen selbst für den Regen, den sie brauchen. Mit ihren Blättern an der Spitze fangen sie den Nebel auf, der vom Meer kommt und lassen ihn herunterregnen. 

Was der Küstenmammut an Höhe schafft, bringt der Bergmammut an Masse und Dicke. Über elf Meter Durchmesser hat der „General Sherman“ im Sequioa-Nationalpark in Kalifornien. „Eine normale Fichte hat maximal zehn Kubikmeter Holz. Ein Bergmammut kann auf 1500 kommen“, berichtet Michael Geller. Der Mann klingt immer enthusiastisch, wenn er von den Bäumen spricht und aus seinem Mund hört sich selbst ein Satz nicht seltsam an, wie: „Natürlich kommunizieren Bäume, ob über Duftstoffe oder Chemie, man weiß es nicht.“ Hier draußen, inmitten der Riesen, glaubt man es fast zu hören, wie sie miteinander wispern. Man muss kein Baumliebhaber sein, um sich in diesem Refugium wohlzufühlen. 

Urzeitpflanzen

Neben den Mammuts stehen hier auch noch andere Exoten aus aller Welt. Der Ginkgo, der schon vor 270 Millionen Jahren auf der Erde wuchs und damit als die älteste Baumart überhaupt gilt. Er gilt den Chinesen und Japanern als heilig und wurde weltweit zu einer Ikone, weil ein Exemplar im nuklearen Feuer von Hiroshima verbrannte und doch wieder austrieb und weiterlebte. Die Grannenkiefer steht hier auf der Farm, knorrig und verwachsen und in der Lage, Tausende Jahre alt zu werden; der persische Eisenholzbaum, dessen Holz so schwer ist, dass es im Wasser sinkt; das brasilianische Mammutblatt, dessen Blätter bis zu drei Meter Durchmesser haben; oder die Wollemie, die erst 1994 in Australien entdeckt wurde und als lebendes Fossil gilt und von der man dachte, dass sie seit 65 Millionen Jahren ausgestorben ist. Die ersten Exemplare der Wollemie, die jenseits von Australien ausgestellt wurden, standen in Käfigen, weil man befürchtete, dass sie gestohlen würden. Nicht verwunderlich. Bei einer Auktion im Jahr 2005 wurden 292 Ableger für satte 1,5 Millionen Dollar versteigert. „Das ist eine richtige Urzeitpflanze“, sagt Geller. 

Apropos Urzeit!

„Vor ein paar Millionen Jahren hat es hier am gesamten Niederrhein so ähnlich ausgesehen“, sagt Michael Geller vor einer Gruppe Küstenmammuts. „Damals waren die Mammutbäume hier beheimatet, bevor sie durch die Eiszeiten verdrängt worden sind.“ Muss eine schöne Zeit gewesen sein. Ruhig und stressfrei.

Die Sequoiafarm ist zwischen April und Oktober immer sonn- und feiertags von 10 bis 17 Uhr oder nach Absprache geöffnet.  Telefon: 02157/6133 (Michael Geller). 


Sequoiafarm 
Buschstraße 98
41334 Nettetal-Kaldenkirchen
www.sequoiafarm-kaldenkirchen.de

 

Anzeige

Regiopartner