11.1. – 7.2.2024: Lebensbücher – Winterlesungen im MMK Museum Kurhaus Kleve

Seit über fünf Jahren lockt das Veranstaltungsformat der Winterlesungen von Mitte Januar bis Mitte Februar Literaturfreunde und Sinnsucher aller Couleur ins Museum Kurhaus Kleve.

Unter einem jährlich wechselnden Motto stellen dabei Persönlichkeiten des kulturellen Lebens in Kleve ihre Auswahl im Wechsel von Rezitation, erläuterndem Kommentar und kunstgeschichtlicher Visualisierung einem interessierten Publikum vor. Dadurch prägt der individuelle Zugriff der Vortragenden den jeweiligen Abend ebenso wie die ausgewählten Stoffe der Weltliteratur. Im Jahr 2024 soll es unter dem Titel „Lebensbücher" um Literatur gehen, die in verschiedenen Phasen des Daseins die Vortragenden immer wieder beschäftigt hat, die sie mehrfach und vielleicht auch mit divergierenden Einsichten gelesen haben. Kurzum: um lebensprägende Begleiter.

Den Auftakt der Reihe am 11. Januar 2024 um 19.30 Uhr gestaltet Museumsdirektor Harald Kunde. Er widmet sich dem vierbändigen Hauptwerk Jahrestage. Aus dem Leben der Gesine Cresspahl von Uwe Johnson.

Tag für Tag, über ein Jahr hinweg, erzählt Gesine Cresspahl darin ihrer zehnjährigen Tochter Marie aus der eigenen Familiengeschichte, vom Leben in Mecklenburg in der Weimarer Republik, während der Herrschaft der Nazis, in der sich anschließenden sowjetischen Besatzungszone und den ersten Jahren in der DDR. Zugleich schildert der Roman das alltägliche Leben von Mutter und Tochter in der Metropole New York im Epochejahr 1967/1968, inmitten von Vietnamkriegs- und Studentenprotesten.

Dieses vielstimmige Panorama des 20. Jahrhunderts fasziniert sowohl durch große menschliche Nähe zu Personen und Orten als auch durch das unbestechliche Einschätzungsvermögen des epischen Chronisten Johnson, dessen biografische Prägungen in Ost und West ihn zum exemplarischen Dichter beider Deutschlands qualifiziert haben. Die Intensität seines Erzählens behauptet sich auch im 90. Geburts- und im 40. Todesjahr des Autors durch lebendige Frische und komplexe Prägnanz.

Am 18. Januar 2024um 19.30 Uhr stellt die Historikerin Anne-Katrin Kunde stellt das autobiografische Epochenbuch Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers des großen Erzählers und völkerverbindenden Intellektuellen Stefan Zweig (1881-1942) vor, dass dieser während seines Exils unmittelbar vor seinem Freitod im brasilianischen Petròpolis fertigstellen konnte. Es versteht sich als weitgespanntes Resümee des kulturgeprägten Zeitalters vor dem ersten Weltkrieg im habsburgischen Wien und in den Zwischenkriegsmetropolen Paris und Berlin. Es ist geprägt von zahlreichen intensiven Begegnungen mit Dichtern, bildenden Künstlern und Musikern und eröffnet zugleich tiefere Einsichten in die damaligen Lebensbereiche der Mode, des Erziehungssystems und der Sexualmoral. Vor allem aber legt es beredtes Zeugnis ab von der epochalen Zäsur, die diese Welt von Gestern von der Barbarei der totalitären Systeme des Nationalsozialismus und des Stalinismus unterscheidet und benennt die damit verbundenen kulturellen Verluste als irreversibel.

Hubert Wanders nimmt sich am 25. Januar 2024 Robinson Crusoe von Daniel Defoe an. 1719 erstmals erschienen wurde die Geschichte des schiffbrüchigen Überlebenskünstlers Robinson Crusoe schnell zu einem absoluten Bestseller. 300 Jahre später hat das Werk Klassikerstatus und wurde 2019 neu übersetzt. Wer Robinson Crusoe liest, der kann ein Abenteuerbuch lesen, eine Do it yourself-Anleitung wie man auf einer einsamen Insel überleben könnte – man liest aber auch eine Geschichte, die den Zeitgeist jener Tage widerspiegelt. Ein Buch das die hellen und düsteren Seiten der frühen Aufklärung zum Vorschein bringt, eine Ära des kritischen Denkens, der Ablehnung von überlieferten Dogmen und der Suche nach neuen Wegen des Wissenserwerbs.

Daniel Defoe hatte verschiedene Ambitionen für sein Werk. Einerseits wollte er eine unterhaltsame Abenteuergeschichte schaffen, die das Publikum fesseln würde. Andererseits nutzte er die Erzählung, um moralische und philosophische Themen zu erkunden. „Robinson Crusoe“ reflektiert die aufklärerischen Ideale, indem es den Fokus auf die Vernunft, die Selbstverbesserung und die Fähigkeit des Menschen legt, seine Umgebung zu beherrschen. Der Roman kann auch als eine Allegorie für den Fortschritt und die Fähigkeiten des individuellen Menschen gesehen werden. Crusoe überwindet die Herausforderungen der Natur und entwickelt Techniken und Fähigkeiten, um auf der Insel zu überleben. Dies spiegelt die aufklärerische Vorstellung wider, dass der Mensch durch Wissen und Vernunft in der Lage ist, seine Umwelt zu gestalten und sich weiterzuentwickeln.

Für den 1. Februar 2024 Der Räuber Hotzenplotz von Otfried Preußler lebensprägender Lese-Begleiter von Oliver Locker-Grütjen dem Programm der Winterlesung im MMK Museum Kurhaus Kleve. Die Abenteuer des Räubers Hotzenplotz bieten nicht nur kindliche Unterhaltung, sondern werfen auch einen Blick auf gesellschaftliche Ungerechtigkeiten. Hotzenplotz repräsentiert die Macht, die sich über andere erhebt, während die Freundschaft von Kasperl und Seppel symbolisch für den Widerstand gegen Ungerechtigkeiten steht. Preußler schafft somit eine Erzählung, die nicht nur unterhält, sondern auch dazu anregt, über gesellschaftliche Strukturen nachzudenken und den Mut zur Veränderung zu stärken.

Am Mittwoch den 7. Februar 2024 widmet sich Ludger KazmierczakHelmuth James von Moltke: Briefe an Freya / Abschiedsbriefe aus dem Gefängnis Tegel, 1939-1945.
Berlin Tegel, im Herbst 1944: Der 37 Jahre alte Jurist und Widerständler Helmuth James von Moltke wartet auf seinen Prozess vor dem Volksgerichtshof – und auf seine Hinrichtung. Während sowjetische Truppen auf seine Heimat Kreisau in Schlesien vorrücken und Weggefährten gehenkt werden, wechselt er täglich Briefe mit seiner Frau Freya: Es geht um ihre Liebe und die Lage in Kreisau, die Situation im Gefängnis und die Vorbereitung auf den Tod, aber auch um den Widerstand und um Wege zur Rettung. "Ich habe keine Furcht vor dem Tod, und ich habe animalische Angst vor dem Sterben", schreibt Helmuth James. "Ich werde alt und anders werden, deshalb muss ich Dich in mir tragen und mit Dir leben", antwortet Freya.

Anfang 2010 wurde bekannt, dass der Briefwechsel zwischen Helmuth James und Freya von Moltke aus den letzten Wochen vor seiner Hinrichtung wie durch ein Wunder komplett erhalten ist. Die politisch und persönlich offenherzigen Briefe, die vom Gefängnispfarrer Harald Poelchau unter Einsatz seines Lebens fast täglich an der Zensur vorbeigeschmuggelt wurden, sind das aufwühlende Zeugnis einer großen Liebe in den Zeiten des Widerstands gegen ein unmenschliches Regime.

Alle Veranstaltungen beginnen um 19:30 Uhr

Museum Kurhaus Kleve – Ewald Mataré-Sammlung
Tiergartenstraße 41
47533 Kleve
www.mkk.art

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