Die weiße Pracht im Hohen Venn

Schnee reinigt die Seele. Für den Niederrheiner – die meiste Zeit des Jahres eine Art Novize des weißen Elements – ist das Hohe Venn der nächste Weg, sich mit Schlitten, Langlaufski oder einfach nur mit Wanderschuh und Schal in die belgische Eifel zu begeben. Gerade mal 120 Kilometer sind es von Düsseldorf bis Ovifat. Der malerische Ort 40 Kilometer südlich von Aachen gilt mit gut 600 Metern als recht schneesicher. Und verfügt über eine Rodelbahn, die Kinderherzen höher schlagen lässt.

Foto: Axel Küppers

Text + Bilder: Axel Küppers | NiederRhein Edition

Ein Tagesausflug ins Hohe Venn bedeutet Schneevergnügen pur. Jenseits des alpinen Ehrgeizes à la Zermatt oder Saas-Fee und auch abseits des sauerländischen Wintersport-Hypes à la Winterberg, wirken Orte wie Botrange oder Mont Rigi geradezu verschlafen. Und dies auf eine sympathische Art und Weise. Dort steht Erholung vor Pistenpower. Die Langlauf-Skier dürfen ruhig abgewetzt, der Rodelreifen gerne ein alter Gummireifen aus Opas Garage sein. Ins Hohe Venn fährt niemand, der „gesehen werden will“. In das Hochland zwischen Eifel und Ardennen fährt das Paar, der Single, die Familie, der Freundeskreis. In jedem Fall der Erholung Suchende, der ein paar Stunden Auszeit genießen und körperlich wie geistig auftanken will. 

Wir fahren meist mit Freunden oder den Kindern, mindestens zweimal im Jahr in die Ostkantone, wie die Gegend um Eupen, Malmedy und St. Vith genannt wird. Vom Niederrhein geht es über die Autobahn 44 an Aachen vorbei Richtung Lüttich. Die erste Ausfahrt hinter der Grenze biegen wir ab: Raeren. Unsere Eltern haben dort ihre schweren Eichenmöbel gekauft, altbacken verschnörkelt im Belgischen Barock.

In Raeren beginnt die Landstraße ins Glück. Anfangs N 67, geht sie hinter Eupen in die N 68 über. Bereits diese Gegend zwischen Raeren und Eupen wirkt romantisch aus der Zeit gefallen: braunbeiger Naturstein, Schieferabdeckung, haushohe Hecken. Wir halten uns Richtung Malmedy. Hinter dem Eupener Fußballstadion geht es kerzengerade himmelwärts. Die Zivilisation weicht der Natur. Plötzlich verwandelt sich die Regenkulisse Meter für Meter in eine Schneelandschaft. Links und rechts der Straße nichts als Nadelwälder, deren Zweige spätestens ab Dezember meist tonnenschwer fetten Schnee tragen und windschief abhängen.

Wir können, müssen aber gar nicht ganz hoch bis in die Botrange, wo sich in knapp 700 Metern Höhe das Herz des Hohen Venn befindet. Jeden Parkplatz mit dem blauen Hinweis-Signet „Wandern“ können wir ansteuern, aussteigen und uns reinstürzen in das Paradies aus Wäldern, Heide und Schnee.

Auch wenn es in Botrange und Baraque Michel touristischer zugeht, sollte man diesen höchsten Punkt Belgiens einmal erlebt haben. Nicht wegen der 1933 erbauten stählernen Wetterfahne, die heute in 718 Metern Höhe einen Radiosender trägt. Vielmehr wegen des ein Kilometer südlich unterhalb von Botrange gelegenen Naturparkzentrums. Dort erfährt der Besucher einiges über den Reichtum und die Einzigartigkeit des ersten Naturparks und des größten Naturschutzgebietes in Belgien. Für Kinder gibt es einen originellen Spielplatz. Die Eltern können unterdessen im Garten die medizinischen Kräuter und Pflanzen entdecken. Der Zugang ist behindertengerecht, die Infos auch auf Deutsch.

Heute wollen wir wandern. Schließlich ist Oskar, das zweijährige Enkelkind, im Gepäck. Dick eingepackt und mit Decken unter den Holzbohlen des nostalgischen Schlittens, bekommen Oskars Wangen bereits nach 150 Metern in der guten Vennluft eine gesunde rosa Färbung.

Der Kleine jauchzt vor Glück, wenn Papa mit dem Schlitten auf festem Schneegrund ein paar Kurven zieht und der Kleine sich wie ein Pilot in Francorchamps vorkommt. Den Formel-1-Parcours ein paar Kilometer weiter westlich wird er in zirka 10 Jahren kennen lernen. Vielleicht. Weil heute ein böiger Wind von Aachen das Venn hochbläst, halten wir uns am Waldrand.

Einige Unentwegte wagen sich auf die Bretterstege ins freiliegende Hochmoor, von dem freilich nur ein paar plätschernde Bachläufe durch die weiße Puderdecke dringen. „Der Name Venn leitet sich von Moor ab“, erklärt Papa Oskar. „Mooo-oaaa“, grunzt Oskar. Als ihn von hinten von seiner Cousine Anouk ein Schneeball am Ohr streift, hat der Kleine damit kein Problem. „Wau“, sagt er. Cockerspaniel Aule fühlt sich angesprochen und leckt Oskar die Schneefetzen vom Ohrläppchen. Nach anderthalb Stunden Fußmarsch knurrt der Magen. „Malmedy, Malmedy, Malmedy“, ruft die Familie wie aus einem Mund.

Malmedy ist vermutlich die schönste Stadt in Ostbelgien, nicht nur wegen des ausgelassenen Karnevals

Während in Baraque Michel noch viel Deutsch gesprochen wird, ist das 15 Kilometer weiter südlich gelegene Malmedy weitgehend französischsprachig. Das charmante Städtchen liegt im Tal, weswegen sich der Schnee hier meist schon verflüchtigt hat.

Binnen einer halben Stunden haben wir unseren Wagen an der prächtigen Kathedrale Saints-Pierre geparkt. Ende des 18. Jahrhunderts als geistiger Mittelpunkt des Bistums Eupen-Malmedy erbaut, besticht die Abteikirche mit ihren zwei Türmen in ihrer wuchtigen Schlichtheit. Paläste, Residenzen und vornehme Herrenhäuser zeugen vom früheren Reichtum des Ortes. Von Saints-Pierre bis zum zentralen Place Albert I. sind es nur ein paar Schritte. Dort gibt es gute Restaurants, Cafés und Bistros in Hülle und Fülle.

Wir betreten am liebsten das „A Vi Mam’di“, das sich tatsächlich noch viel komplizierter schreibt mit diversen Akzenten über den Vokalen. Hinter der altrosafarbenen  Rokkofassade  befindet sich eine urige Ardenner Brasserie mit regionalen Spezialitäten und Trappistenbieren. „Ih, Opa isst Innereien“, frotzelt Anouk, die sich Raclette-Fondue mit Ardenner Schinken bestellt hat. Doch Opa freut sich schon seit Baraque Michel auf „Les Rognons de veau à la liégeoise“ aus der Abteilung Cuisine belge: Kalbsniere nach Lütticher Art. Oma, einer unbestätigten Legende nach von königlichem Geblüt der Vulkaneifel, präferiert „La Bouchée à la Reine“ – das sind appetitliche Königinnen-Pastetchen. Mit anderen Worten: Chicken Pie, typisch belgisch-wallonische Küche. Derweil knabbert Oskar an einer riesigen Fritte.

Jetzt noch ein kleiner Spaziergang durch den Ortskern, der allenthalben von einer bewegten Geschichte mit römischen Anfängen berichtet. Mal französisches Département, mal preußische Rheinprovinz, mal deutsche Besetzung im Zweiten Weltkrieg inklusive versehentlichem Beschuss durch US-Bomber und Massaker durch Waffen-SS – der Ort hat einiges erlebt. Trotzdem ist Malmedy ein durch und durch freundliches Städtchen mit aufgeschlossenen Menschen. „Gut, dass die Autobahn direkt in Malmedy beginnt“, sagt Opa, der jetzt müde wird und nach Hause will. In knapp zwei Stunden ist die ganze Familie wieder am Niederrhein. Ein schöner Tag in Ostbelgien!

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