Geführte Moerser Stadtgeschichte

Von Alltagsheldinnen und Wundermärchen

Text+ Bilder: Jutta Langhoff | NiederRhein Edition, Ausgabe 01/2016


Moers hat eine reiche Geschichte, das können Besucher, aber auch Einheimische, bei zahlreichen städtischen Führungen erfahren. Die meisten davon handeln von historischen Bauwerken und großen Persönlichkeiten, doch genau wie heute, waren es auch früher eher die kleinen, bürgerlichen Alltagsbegebenheiten, die das Stadtleben prägten. Die Moerser Stadtführerin Renate Brings-Otremba hat zwei davon zum Thema ihrer historischen Rundgänge gemacht: Das um 1600 spielende „Wundermärchen“ von der einfachen Viehhirtin Eva Vliegen, die über 30 Jahre lang keine Nahrung zu sich genommen haben soll, und die Geschichte von Therese Sempel, einer mutigen Amerika-Auswanderin aus den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts. In beiden Fällen führt sie ihre Besucher nicht nur zu den jeweiligen Lebens- und Wirkungstätten ihrer zwei historischen „Alltagsheldinnen“, sondern schlüpft dazu auch in deren damals typische Kleider.


„Heute bin ich Eva Vliegen.“ Es regnete, als Renate Brings-Otremba im letzten Sommer in einem schwarzen Wollkleid mit weißem Rüschenkragen und einer schlichten weißen Haube bekleidet eine knapp 15-köpfige Gruppe belgischer VHS-Schüler am Moerser Kastellplatz empfing. „Eva Vliegens angebliche Wundergeschichte sollte im 16. Jahrhundert zahlungskräftige Pilger ins protestantische Moers locken. Ich zeige Ihnen in den nächsten zwei Stunden die dazu gehörigen Stätten. Und dabei erfahren Sie dann auch, warum das Wunder nur angeblich war, und welche Rolle die hohen und weniger hohen Moerser Bürger in dieser Geschichte gespielt haben.“ So und so ähnlich beginnt Renate Brings-Otremba ihre Stadtführungen fast immer, nur, dass sie dabei einmal als mittelalterliche Viehhirtin Eva Vliegen und ein anders Mal als das 1880 alleine nach Amerika ausgewanderte Dienstmädchen Therese Sempel auftritt.
„Die Moerser Geschichte hat viele interessante Frauengestalten zu bieten, die möchte ich unseren Gästen gerne näher bringen“, beschreibt sie das Anliegen ihrer Führungen. Ein Vorhaben, das ihr bei den Mitgliedern der belgischen VHS-Gruppe offenbar gut gelang. Trotz Dauerregens folgten sie ihr zwei Stunden lang mit großer Aufmerksamkeit, und bedankten sich wenig später noch einmal per E-Mail für den „tollen Nachmittag“.

Informationen über die Moerser Stadtführungen – speziell auch die von Renate Brings-Otremba mit dem Titel „Frauenschicksale“ – gibt es bei der Stadtinformation Moers unter der Rufnummer 02841/ 8822 60, per Mail unter stadtinformation@moers-marketing.de oder Website der Stadt Moers: www.moers.de/stadtfuehrungen
 


1574 in Repelen geboren, kam Eva Vliegen nach dem Tod ihrer Eltern in die Haagstraße zu ihrer Tante Katrin. Eva  aß und trank nicht viel und bald ging in Moers und Umgebung das Gerücht um, sie würde offenbar ohne Nahrung leben können – ihr reiche „spirituelle Nahrung“. Leute von weit her reisten nach Moers um das „Wundermädchen“ zu sehen und sogar im Ausland wurde man auf die wundersame Geschichte aufmerksam. Erst recht, als nach etlichen Tests und Prüfungen der Magistrat ein Attest ausstellte und das Wunder amtlich machte. Wie sich nach über 30 Jahren, nach dem Tod der Tante herausstellte, gab es gar kein Wunder. Die Tante hatte alles inszeniert und Eva heimlich mit ausreichend Nahrung versorgt. Eva Vliegen drohte nun die öffentliche Geißelung sowie Ausweisung. Doch sie hatte Glück. Prinz Friedrich-Heinrich von Oranien, damals Landesherr zu Moers und Statthalter der Niederlande, ließ unter Berufung auf ihre „Einfalt“ Gnade vor Recht walten. Mit 62 Jahren starb Eva Vliegen eines natürlichen Todes. Heute hängt ein Portrait von Eva Vliegen im Museum Amstelkring in Amsterdam sowie ein Kupferstich im Haus Koekkoek in Kleve.

Die Moerser Bürgerin Therese Sempel, geb. Ball lebte bis Anfang des 20. Jahrhunderts in der Grafschaft. Bei einem Gang zu Originalschauplätzen erzählt Renate Brings-Otremba als Therese Sempel Geschichten und Anekdoten von adeligen Damen und einfachen Bürgerinnen. Die Teilnehmenden erfahren, wie diese Frauen Ausnahmesituationen in ihrem Leben bewältigten.

 

 

Eine ausführliche Beschreibung der Lebensgeschichten von Eva Vliegen und Therese Sempel findet sich in dem 1997 von Silke Schweitzer herausgegebenen Buch „Auf den Spuren Moerser Frauen“.


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