Wenn fantastische Welten lebendig werden

Tolkien Tage in Geldern-Pont

Ein lauer Sommerabend in Mittelerde. Weiße Seidentücher flattern zwischen illuminierten Bäumen, und sphärische Klänge erfüllen die Auenlandschaft mit bemoosten Hügeln und kleinen Bachläufen. Durch einen blumenumrankten Torbogen schreitet Elbenfrau Galadriel im weißen, langen Kleid mit schimmerndem, wallenden Haar, während in einer Nische im Wald zwei Hobbits kichern. Vor einer Lichtung erscheint ein großes, baumartiges Wesen, das über den Wald von Mittelerde wacht. Plötzlich schrecken alle hoch, denn in der Ferne hört man lautes, kriegerisches Geschrei: Die furchteinflößenden Orks, Feinde der Elben und Zwerge, sind aufmarschiert, um die Macht des Bösen zu verteidigen.

Gebannt von dieser märchenhaften Szenerie, vergessen Fantasy-Fans, dass sie sich auf einem Großevent im 21. Jahrhundert befinden, den Tolkien Tagen. Lediglich ihr am Rande des Geländes abgestellter Camper oder ihr aufgeschlagenes Zelt erinnern daran, dass Mittelerde für drei Tage am Niederrhein liegt: im beschaulichen Pont, einem Ortsteil von Geldern.

„Der Niederrhein rund um Pont ist ja auch ein Auenland. Unsere Weiden und Wiesen, aber auch die kleinen Hügel drumherum, werden von der Niers durchströmt und erinnern damit an die Landschaft, die sich John Ronald Reuel Tolkien Mitte der 1950er Jahre erdacht hat“, schwärmt Sebastian Richartz. Der Organisator der Tolkien Tage hat Recht: Mittelerde könnte auch am Niederrhein existiert haben. Aber es ist nicht nur die natürliche Kulisse, die die Tolkien Tage zum weltweit größten und vielfältigsten Jahrmarkt rund um den Erfolgsautor machen, sondern das Engagement vieler Ehrenamtler.

Sie verwandeln das zum Teil vereinseigene Gelände einer ehemaligen Tennisfläche in Pont jedes Jahr in die vielschichtige Fantasiewelt Tolkiens. Sebastian Richartz erzählt: „Dort haben wir auch die Möglichkeit, übers Jahr Dinge zu bauen, die teilweise stehenbleiben können. Zum Beispiel große Bauten wie die „Halle der Könige“ oder Zelte, die komplett mit Holz verkleidet sind. Auf dem Ascheplatz entsteht für die Dauer der Tolkientage die Seestadt-Kulisse von Esgaroth. Dafür bringen wir Folie für die Darstellung von Wasser auf und bauen Stege. Und im Hafenbereich von Tolkiens Stadt Umbar platzieren wir ein großes Schiff.“

Tolkiens Moralvorstellung
Tolkien Tage-Macher Sebastian Richartz sagt: „Autoren wie Tolkien, der zwei Weltkriege erlebt hat, wissen, dass sie mit ihren Schriften nicht die Welt verändern können, uns aber eine gewisse Moral vermitteln können. Tolkien gibt uns mit, dass man nicht den Mut verlieren soll, dass auch Kleine die Welt verändern können und man nicht immer der große Held in schillernder Rüstung sein muss. Tolkien sagt sinngemäß: Es nicht so, dass wir immer das Perfekte ernten, manchmal müssen wir uns auch aufopfern. Trotzdem lohnt es sich, für unsere Werte einzustehen, Frieden und Freundschaften zu bewahren. Man muss wissen, dass Hass immer zu Zerstörung führt.“

Foto: ©Tolkien Tage /Insiderz Photography
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Foto: ©Tolkien Tage /Stefan Niebecker
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Foto: ©Petra Verhasselt /Privat
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Foto: ©Tolkien Tage /Saskia Schmidt
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Aufwändig kostümierte Tolkien-Charaktere

Keine Kulissen ohne Kostümierte. Die Tolkien Tage leben von den Besuchern, deren Gewandungen von großer Detailtreue und Hingabe zeugen. Immer wieder begegnet man auf dem Gelände Hobbits mit lockigen Haaren, Sommersprossen und kleinen Haarbüscheln auf nackten Füßen. In Horden treten furchterregende, schwarze Orks auf. Diese Kreaturen mit platten Nasen und Reißzähnen tragen riesige Schwerter und andere Waffen, die allerdings nicht aus Eisen sind, sondern täuschend echte Nachbildungen aus Schaumstoff.

„In den vergangenen Jahren war es spannend, zu erleben, dass die Zahl der Besucher stark zugenommen hat, die sich dem Live-Action-Role-Playing verschrieben hat“, erzählt Sebastian Richartz. Für Nicht-Fachleute heißt das: Es kamen immer mehr Leute, die sich mit historischen Vorlagen aus der Literatur auseinandersetzen und in deren Rollen schlüpfen. Ein Beispiel: Während der Tolkien Tage 2022 begegnete man zwischen 20 Lagergruppen und Ständen mit Naturmode, Schmuck und Fantasy-Accessoires mehreren „Gandalf“-Darstellern, die mit ihrem bodenlangen Gewand, dem langen Bart und ihrem Zauberstab mit einer Krone aus verwobenen Wurzeln tatsächlich Teil dieser professionell geschaffenen Fantasiewelt zu sein schienen.

Wenn Gandalf dann allerdings an einem der Getränkestände in der Schlange stand und dann eine Limonade bestellte oder im Zelt mit Tolkien-Geschenkartikeln, Büchern und Computerspielen umherwandelte, war das schon ein seltsamer Anblick. Aber auch ihn wird die Modellbaugruppe aus 50.000 Mini-Orks beeindruckt haben, die durch wilde Kampfszenen und einen großartigen Detailreichtum überzeugte. Beeindruckend waren auch die von Hand modellierten Auenland-Häuser und die weiße Stadt „Minas Tirith“ aus über 100.000 LEGO-Steinen.

Foto: ©Tolkien Tage /Insiderz Photography
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Foto: ©Tolkien Tage /Stefan Claassen

Ein Jahrmarkt mit fantastischen Eindrücken für jedermann

Die Tolkien Tage in Geldern-Pont sind ein Event für Tolkien- und Fantasyfans, aber auch für Menschen, die einfach mal eintauchen möchten in das Zeitalter der Hobbits, in deren Leben am Lagerfeuer und deren Feste mit mittelalterlicher Musik und zünftigen Speisen.

In der „Knappenschule“ werden Kinder zu Knappen für Gondor, das „Südliche Königreich“ von Mittelerde, ausgebildet. Sie können Geschichten lauschen, Brot backen und Pilzgerichte kochen. Für Spielmaterial, Schwerter und Gewandungen ist gesorgt. Auf ihrer Schießbahn demonstrieren die Sport- und Freizeitbogenschützen aus Geldern-Walbeck verschiedene Techniken und laden ein, unter fachkundiger Anleitung das Schießen mit Pfeil und Bogen auszuprobieren. Es gibt Greifvogelshows und Feuerschwertkampf-Demonstrationen am Abend. Rund um die Uhr treten auf der Seestadtbühne verschiedene Songwriter und Bands auf.

Internationale Gäste bei den Tolkien-Freunden aus Pont

In fast jedem Land der Welt gibt es eine Tolkien-Gesellschaft. Und viele waren schon in Geldern-Pont zu Gast, darunter Fans aus Chile, Brasilien, Neuseeland und den USA. „Seit vielen Jahren laden wir auf einer weiteren Veranstaltung, dem ‚Tolkien Thing‘, regelmäßig eine Gesellschaft zu uns ein, der wir Unterkunft und Reise subventionieren. So fördern wir den internationalen Austausch“, erläutert Sebastian Richartz.

Die Besonderheit der Tolkien Tage umreißt ihr Macher Sebastian Richartz so: „Im Vergleich zu anderen, ähnlichen Veranstaltungen bieten wir nicht nur einen Markt und Lager an, sondern auch Workshops und Lesungen von wissenschaftlich bis kurios. 2022 referierte zum Beispiel ein Taschenbuchautor über sein Werk ,Der Herr der Ohrringe‘, in dem der Zauberer „Ganzhalb“ und  Hobbit „Frodoof“ die Hauptrollen spielen.“

Kurzum: Die Tolkien Tage in Geldern-Pont sind ein großer, bunter Jahrmarkt, den jeder, der sich nur ein bisschen darauf einlässt, mit fantastischen Eindrücken und vielleicht auch einem neu gewonnenen Interesse für das Werk J.R.R. Tolkiens verlässt. Und dann geht es ihm vielleicht so, wie dem Organisator des Events, der vor 25 Jahren eine verwitterte, viel gelesene Ausgabe vom „Herr der Ringe“ im Keller seiner Eltern entdeckte und seitdem gefangen ist vom Werk des britischen Ausnahmeschriftstellers.

Tolkien Tage 2025
Wer jetzt Feuer gefangen hat, der sollte sich schon mal den 12. bis 15 Juni 2025 freihalten und sich frühzeitig Tickets für die Tolkien Tage am Niederrhein sichern – die sind nämlich heiß begehrt!

Mehr Infos & Tickets:
www.tolkientag.de

„Die Regionalvertretung Niederrhein  der Deutschen Tolkien-Gesellschaft mit Sitz in Geldern-Pont” – Was sperrig klingt, hat seinen Ursprung im „Tolkien Stammtisch Linker Niederrhein“. 2005 trafen sich in einer Gelderner Gaststätte erstmals Interessierte, um das Werk des berühmten britischen Schriftstellers und Philologen sowie dessen internationale Strahlkraft zu studieren. Mittlerweile wurde aus dem lockeren Provinzstammtisch dieRegionalvertretung Niederrhein der Deutschen Tolkien-Gesellschaft“. Jeden 3. Freitag im Monat treffen sich zwischen 30 und 40 Besucher vom Niederrhein und weiter her. Mal werden Bücher besprochen oder vorgelesen, eine Gruppe spielt ein Spiel, eine andere spricht über den kommenden Film. Seit 2009 richtet die Regionalvertretung Niederrhein die mittlerweile weit über die Grenzen Deutschlands bekannten „Tolkien Tage“ aus.

Sebastian Richartz, Erzieher, Sozialpädagoge und Sozialwirt und im Hauptberuf Leiter von Jugendhilfeeinrichungen in Geldern, war der Motor dieser Treffen und erzählt von seinem Schlüsselerlebnis, das ihn zu Tolkien führte: „Mit 12 Jahren bin ich Mitglied der Deutschen Tolkien-Gesellschaft geworden, obwohl ich damals nicht viel gelesen habe – im Gegenteil: Ich habe mich eher schwer damit getan. Aber dann fand ich im Keller meiner Eltern beim Büchersortieren eine grüne, verwitterte Ausgabe vom ,Herr der Ringe‘. Das Buch sah so vergriffen aus, es muss viel gelesen worden sein. Da hat es mich gepackt, und ich habe nicht mehr aufgehört, zu lesen. Jetzt bin ich 36.“

Die Deutsche Tolkien-Gesellschaft (DTG)
1997 wurde an der Universität Köln die Deutsche Tolkien Gesellschaft e.V. gegründet. Sie befasst sich mit dem Werk und Leben des britischen Autors und Wissenschaftlers und hat sich zu einem bedeutenden Ansprechpartner für Tolkien-Fans in Deutschland entwickelt. Sie ist ein ehrenamtlicher, literarischer Verein für alle Tolkien-Fans in Deutschland und darüber hinaus. Durch die gemeinsame Faszination zu Tolkien und seinem Werk knüpft die DTG auch internationale Freundschaften, pflegt dabei das Zusammenwirken verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen und trägt zum wechselseitigen Verständnis der Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen bei. „Die DTG hat es sogar geschafft, dass Fantasyliteratur mittlerweile als literarische Gattung anerkannt ist. Sie ist die Nachfolgegattung der Romantik“, weiß Sebastian Richartz.

www.Tolkien-Gesellschaft.de

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