Beemster – Lekkere Kaas
Liebeserklärung an einen Käse und an eine Landschaft
Die Geschichte beginnt an einem Freitagvormittag auf dem Krefelder Westwall. Dort steht seit Generationen die Familie Pilters aus Kempen-St. Hubert mit ihrem Käsestand auf einem der schönsten Wochenmärkte des Niederrheins. „Probieren Sie mal, cremig und geschmackvoll.“ Marion Pilters reicht der Stammkundin ein goldgelbes Stück handgeschnittenen Käse, das ein wenig wie Gouda aussieht. „Hm, lecker. Schneiden Sie mir mal ein paar Scheiben für Zuhause“, ist die Kundin Dagmar Küppers überrascht, dass es leckeren Käse aus Holland gibt, der nicht Leerdamer, Edamer oder Maasdamer heißt, diesen berühmten Sorten aber in nichts nachsteht. „Was hat Frau Antje uns da verheimlicht?“, frage ich meine Frau, als sie mir den gelben Geschmacksriesen aufs Butterbrot gelegt hat.
Seit einem Jahr frühstücken wir nun täglich eine große Scheibe Beemster vom Krefelder Wochenmarkt. Nicht nur das! Die Umfrage im Bekanntenkreis, ob denn jemand Beemster kennt, wird meist mit Kopfschütteln und Achselzucken quittiert.
Also gehen wir der Geschichte mal nach und begeben uns mit unseren Rädern in die Poldergegend nördlich von Amsterdam. Die 210 Kilometer zwischen dem Niederrhein und Zaandam, wo wir den Wagen abstellen und umsatteln aufs Zweirad, sind locker in zwei Stunden zu schaffen. Einige deutsche Urlauber auf der A9 Richtung Alkmaar, Den Helder und Texel wundern sich, dass wir plötzlich rechts abbiegen ins niederländische Niemandsland und die bekannten touristischen Pfade verlassen.
Zaanse Schans: Ein Fleckchen Erde zum Verlieben
Zum Auftakt spazieren wir eine Stunde durch die Zaanse Schans. Das ist ein historisches Wohn- und Handwerkerviertel von 1850, dem alten Holland mit Holzschuhen, Mühlen, Brücken, Schleusen und authentischen Holzhäusern nachempfunden. In der Käserei gibt es gefühlt 150 Sorten – doch wir haben nur Augen für unseren Beemster. Saki und Kaito, die eigens aus Tokio angereist sind, um in dieser malerischen Kulisse zu heiraten, suchen hingegen nach Wasabi, dem japanischen Schnittkäse mit Meerrettich-Aroma.
Ob Nippons Liebende ihn gefunden haben? Wir sitzen mittlerweile im Sattel und radeln in nordöstlicher Richtung Richtung Purmerend. Die knapp 13 Kilometer zu dem Städtchen sind das zweite Highlight und geben einen Vorgeschmack, wie malerisch dieses frühere Sumpfland ist, dass die pfiffigen Niederländer dem Wasser abgeknöpft haben. Besser gesagt: sich heute mit dem Wasser teilen. Allenthalben radeln wir entlang von Kanälen oder Gräften, die uns andeuten, wie nah wir hier der Nordsee sind.
Im Café am früheren Viehmarkt erklärt uns die Studentin Noor, die hier kellnert, dass der bedeutende Kuhmarkt Anfang des neuen Jahrtausends wegen der Maul- und Klauenseuche eingestellt werden musste. Also Kaas- statt Koemarkt: 200 Meter weiter an Kirche und Stadthaus reicht Marktbeschicker Mees meiner Frau ein Stück Käse, das wir aufgrund des hellblauen Etiketts sofort als Beemster identifizieren.
Der schmeckt hier natürlich genau so gut wie in Krefeld. Also decken wir uns für die Weiterfahrt nach Middenbeemster mit einem großen Stück – ungeschnitten und bisszart – für den Rucksack ein und radeln weiter.
Unesco Weltkulturerbe – Ein Meisterwerk niederländischer Ingenieurskunst
Auf der Karte sehen die 7 Kilometer, die jetzt vor uns liegen, stinklangweilig aus – alles schnurgerade. De Beemster, wie die Niederländer diese Poldergegend nennen, die zum Unesco Weltkulturerbe zählt, ist wie ein Schachbrett angelegt. Aber die Alleen, die landwirtschaftlichen Anwesen, das Flachland mit Wiesen, fetten Böden und Kanälen entwickeln einen Charme, dem wir uns als „Neu-Beemster” nicht entziehen können.
Middenbeemster ist das Herz dieser Kulturlandschaft. Am Knooppunt 06 der Fietsroute in diesem Dörfchen, das nicht größer als Krefeld-Hüls ist, erfahren wir, dass die Gegend „Laag Holland“ heißt. Die 135 Kilometer lange Wasserlinie De Beemster von Amsterdam Richtung Norden gilt als Meisterwerk niederländischer Ingenieurskunst. Binnenseen wie Beemster, Purmeren und Wormer wurden seit dem 16. Jahrhundert trockengelegt, so dass fruchtbares Weideland entstehen konnte.
Frischer Meereswind mit den besonderen Böden für mineralhaltiges Gras sorgt für den cremigen Geschmack, der uns nicht mehr von der Zunge weichen will. Nicht nur Wasserbau-Ingenieure, auch Baumeister entdeckten die Gegend. Einzigartige Dorfkirchen, Häuser und Bauernhöfe entstehen. Eine reiche Gegend, von der Natur verwöhnt, von Technik und Kultur geprägt. All das spürt der Besucher, der eine Stunde durch Middenbeemster spaziert und auf das eine oder andere Kleinod stößt. An einer mehr als 100 Jahre alten Kastanie nahe dem Pfarrhaus machen wir Picknick, beobachten die Besucher von Friseurladen und Post, packen den Beemster aus und genießen Nordholland.
Beemster-Käserei im Format XXL
Gestärkt geht es auf dem Drahtesel weiter Richtung Alkmaar. Auf Höhe von Westbeemster entdecken wir am Horizont plötzlich eine Riesenfabrik inmitten des flachen Polderlandes. „Hier kommt er her“, rufe ich meiner Frau zu, die noch mit den Ziegen und Schafen am Wegesrand beschäftigt ist. Die Beemster-Käserei im Format XXL, wo die Bauern ihre Milch hinbringen und das vollmundige Molkereiprodukt Beemster made in Holland auf Fichtenholzbrettern reift. In der Beemster-Käserei rührt der Meister den Käsebruch in offenen Wannen noch von Hand. Während wir vorbeiradeln, kommen ein paar freundliche Mitarbeiter von der Schicht und winken uns zu. Radtouristen sind hier eher selten. Bevor wir abends in Alkmaar mit unseren Rädern in den Zug zurück nach Zaandam fahren, lassen wir einen wunderbaren Tag Revue passieren.
Am Freitag drauf berichten wir unserer Krefelder Marktfrau von unseren Erlebnissen. Marion Pilters vertieft unser Beemster-Wissen. Es gibt den himmelblau-güldenen Milchengel jung, 4, 6, 8 oder 10 Monate oder aber alt – das heißt 12 bis 14 Monate gereift. „Das Schöne ist, dass der Beemster nicht trocken wird, egal wie lange er gereift ist“, sagt die Expertin, die seit über 22 Jahren auf Wochenmärkten Käse anbietet und die 4. Familiengeneration vertritt. Und: Der Beemster sollte immer von Hand und etwas dicker geschnitten sein. Und nicht zu kühl gelagert sein, dann verliert er schnell an Aroma.
Alles Käse? Met plezier!
Text + Bilder: Axel Küppers | NiederRhein Edition 2018