Die flämische Sahara

Der erlebnisreiche Grenzpfad zwischen Belgien und Frankreich beschreibt eine der ökologisch wertvollsten Dünenlandschaften des europäischen Kontinents und ist in etwas mehr als 2,5 Stunden vom Niederrhein zu erreichen.

Die flämische Sahara liegt zwischen De Panne und Dunkerque. Exakt auf dem Grenzstreifen zwischen Belgien und Frankreich führt ein 1.000 Meter langer Sandweg vom harten Asphalt der Rue Albert 1er direkt an die Nordsee. Am Campingplatz Perroquet heißt es: Schuhe und Strümpfe ausziehen, rein ins knirschende Vergnügen. „Das ist das größte zusammenhängende Dünengelände der flämischen Küste“, erklärt uns James Vanmassenhove. Der 23-Jährige sitzt an der Rezeption unseres Hotels an der Strandstraße, die auf der belgischen Seite Duinhoekstraat heißt. Vom Hotel aus ist man in fünf Minuten zu Fuß auf dem Grenspad, wie uns das Holzschild verrät.

Botanische Hingucker im Sandmeer am Wasser: Über 500 Pflanzen sind hier zuhause

In diesem Naturschutzgebiet „De Westhoek“ – 340 Hektar groß – entdeckt der Kenner alle Dünenarten dieser Welt auf gerade mal einem Kilometer Fußmarsch. Es ist die intakteste Dünenlandschaft der flandrischen Küste. Mehr als 500 Pflanzen sind in dem Sandmeer am Wasser zuhause. Der Wanderer stößt auf botanische Hingucker wie Blaue Seedistel, Helmgras und Sanddorn. Sie gedeihen hier, weil die windige Zerstäubung ihren Samen in den Sand gesetzt hat. Um diesen natürlichen Prozess wieder anzukurbeln, hat die flämische Agentur für Natur und Wald seit zwei Jahren ein Programm aufgelegt, dass der im Volksmund genannten Gegend „Sahara von De Panne“ wieder gerecht wird. „Sandzerstäubung ist der Motor für das Entstehen unserer vielfältigen Dünenlandschaft“, berichtet James in perfektem Deutsch und nicht ohne Stolz. Als der nächste Gast aus Brüssel eintrifft, erläutert der studierte Touristiker – Sohn eines Flamen und einer Wallonin – das Gleiche auf Französisch und Flämisch.

Tatsächlich stoßen wir bei unserer Wanderung auf Arten wie den graublättrigen Weichritterling, das gelbe Sonnenröschen und den Sandlaufkäfer, der aber bei unserem Erscheinen schleunigst verschwindet ins schwertscharfe Dünengras. Auch der drollige Krabbler braucht das mit Sand gespeiste kalkreiche Milieu in diesem Paradies zum Überleben. Von James, unserem Hotelführer, erfahren wir hinterher, dass auch die Kreuzkröte und das Herzblatt auf dem Grenspad zuhause sind. Doch zurück zum Sonnenröschen. Die hochsensiblen Blüten mit den leuchtend gelben Blättern recken sich immer der Sonne entgegen.  Abends oder bei Regen verschließen sie sich dem Betrachter. Doch wenn das Thermometer über die 20 Grad klettert, sind sie in ihrer majestätischen wie grazilen Pracht so etwas wie die Yellow Queen des Grenzpfads.

Die Agentur Natur und Wald ist immer noch dabei, eine Fläche von knapp neun Hektar zu regenerieren. Bewuchs und Humusschichten werden behutsam abgetragen, damit der kahle Sand wieder dem Wind ausgesetzt ist und die Natur ungehindert ihr Spiel treiben kann. Die Offensive in der franco-wallonisch-flämischen „Sahara“ sind Teil des grenzüberschreitenden Interreg-Projektes „Vedette“ und steht für nachhaltigen Öko-Tourismus.

Sonne, Salzwasser, Wind: Gesünder geht’s nimmer

Der Erholungssuchende bekommt von diesen Anstrengungen kaum etwas mit. Der Grenspad lädt ein zum ruhigen Spaziergang. Sonne, Salzwasser, Wind – gesünder geht’s nimmer. Eine Pfadfindergruppe spielt sogar Verstecken in der Dünenlandschaft. In der nächsten Mulde stoßen wir auf ein Liebespärchen. Er liest ein Buch, sie lauscht verträumt dem Rauschen der Wellen. Und dann das Meer! Beim Blick auf die wogende See kommt uns das Chanson „La Mer“ von Charles Trenet in den Sinn. Die Jeans bis zum Knie aufgekrempelt – und ab in den säuselnden Wellengang am Ufer. Die Gischt schäumt, ein Kribbeln wandert von den Zehen hoch. Einige Kinder planschen tatsächlich in den Fluten. Andere bauen aus nassem Sand eine Burg. Die Muscheln dienen als Zinnen.   

Auf einem Schild auf halber Strecke lesen wir, dass es den Grenspad schon seit 200 Jahren gibt. Anfangs war dies die Grenze zwischen den Niederlanden und Frankreich. Seit 1830 markiert der Pfad die Linie zwischen Belgien und Frankreich. Bereits vor „Vedette“ haben die Nachbargemeinden Bray-Dunes auf französischer und De Panne auf belgischer Seite den Streifen in ihre Obhut genommen. Das war im Jahr 2005. Die beiden Bürgermeister Claude Marteel und Willy Vanheste sind auf der Tafel verewigt.

Übrigens: Wie eine Demarkationslinie wirkt der Grenspad keineswegs! Die Sprachgrenze, die innerhalb von Belgiens zuweilen zu Konflikten zwischen Flamen und Wallonen führt, spielt an der Landesgrenze zu Frankreich offenbar keine Rolle. James ist das beste Beispiel hierfür.

De Panne...
… ist der letzte Küstenort in Belgien vor Frankreich. Die westflämische Gemeinde mit gut 11.000 Einwohnern ist eine herbe Schönheit mit ausgedehnter Strandpromenade, Badevergnügen am kilometerlangen Strand, erlauchtem Villenviertel und mächtigen Fassaden im Jugendstil und Art déco im belebten Ortskern.

Die Gastronomie ist angehaucht von der belle cuisine mit einem Touch belgischer Finesse. Zahlreiche Cafés, Bistros und Brasserien laden zum Verweilen ein. Das Geschäftsleben entlang der Zeelaan ist bunt und vielfältig, ausgefallene Läden machen Lust auf Shoppen und Bummeln. Als Ausflugsziele in der Gegend empfehlen sich Ostende, Dunkerque oder Calais. De Panne ist ein Ort mit Geschichte: Am 17. Juli 1831 betrat Leopold I., der erste König der Belgier, nach seiner Überfahrt von England nach Calais in De Panne erstmals belgischen Boden. Ein Erlebnis ist die Tramlinie Kusttram, die in De-Panne-Adinkerke beginnt und alle Orte der belgischen Nordseeküste verbindet – bis ins mondäne Knokke-Heist im Osten. Für die 67 Kilometer lange Route entlang der Küste braucht die Bahn mit 68 Stops 143 Minuten. In De Panne befindet sich auch der Vergnügungspark Plopsaland mit Familien-Attraktionen wie Fahrgeschäfte, Streichelzoo und Karussell.

Mehr Infos auf
www.visitflanders.com

 

 

Text + Bilder:  Axel Küppers | NiederRhein Edition, 01/2020

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