Wer behindert wen?
Das Wort Behinderung kann man von zwei Seiten sehen. Die Frage ist, wer hier wen behindert. Ist es die eigene Behinderung oder ist es die Gesellschaft, die Dinge so baut, dass sie nur in einer bestimmten Art und Weise genutzt werden können? So gesehen steckt die Barriere nicht in fehlenden Sinnen, Gliedmaßen oder kognitiven Fähigkeiten, sondern in der Umwelt, die so gebaut und gestaltet ist, dass Menschen mit Behinderung immer wieder auf fremde Hilfe angewiesen sind.
Nur mal so als Idee: Würden wir alle keine Augen besitzen, würden wir viele Dinge, die uns umgeben, anders bauen. Manchmal liegt ja auch gerade in der Beschränktheit die Herausforderung. Es ist also möglich, unsere Umgebung inklusiv zu gestalten, wir müssen uns nur etwas bemühen und uns in andere Situationen hineinversetzen. Manchmal kennen wir sogar selbst Situationen, in denen wir behindert werden, obwohl bei uns keine Behinderung diagnostiziert wurde.
Wir werden alle behindert
Die Sozial-Forschung spricht tatsächlich von permanenter, vorübergehender oder situativer Behinderung. Wenn ich von Geburt an blind bin, werde ich permanent behindert sein. Muss ich aufgrund einer Augen-OP eine Binde tragen, ist meine Behinderung hingegen vorübergehend. Schaue ich in die Sonne und versuche danach, wieder auf die
Straße zu schauen, stelle ich fest, dass die Blendung mich zeitweise behindert. Das gleiche gilt für fast alle Arten von solch Behinderungen – auch gebrochene Arme, Kopfschmerzen usw. – und somit werden wir wohl alle irgendwann einmal froh sein, wenn unsere Umgebung sich in diesen Situationen uns anpasst.
Barrierefreiheit im Internet
Aber was ist mit der virtuellen Welt? Dem Internet? Gibt es da auch Barrieren? Ja, jede Menge! Dabei war das Web mal erstaunlich barrierefrei. Es war sogar für manche Menschen wie gemacht, für Blinde zum Beispiel. Da es immer um Programmcode – also Text – ging, konnte jede Information hervorragend zugänglich gemacht werden: Blinde ließen sich den Text einfach vorlesen und schrieben ihren Code über die Tastatur. Motorisch eingeschränkte Menschen konnten den Texteditor mit der Tastatur oder speziellen Eingabehilfen bedienen. Doch dann kam das World Wide Web und mit ihm Bilder, Filme und grafische Benutzeroberflächen. Ab hier wurde die Sache komplex.
Haben Sie schon mal versucht einen Webshop mit nur einer Hand zu bedienen oder, wenn Sie Ihre Brille vergessen haben? Keine Frage, der zunehmende Gebrauch von Bildern und Grafiken macht das Netz spannender und interessanter. Gleichzeitig wird aber auch immer mehr auf Texte verzichtet. Ganze Websites – wie zum Beispiel Instagram – bauen sogar nur auf Bildern und Tönen auf. Damit bleibt diese Welt für Gehörlose und auch blinde Menschen weitgehend verschlossen. Die wenigen Texte, die die Bilder und Töne begleiten, ersetzen kaum deren Aussagekraft. Oder denken Sie an Shops und die vielen Popups und neuen Fenster, die sich während des Kaufprozesses öffnen und wieder verschwinden. Gleichzeitig werden wir aber auch immer abhängiger vom Internet und seinen Diensten. Ein Internetzugang ersetzt heute schon viele Anrufe – denken Sie nur an die Buchung von Arztterminen oder Behördengängen.
Was hat das mit meiner Website zu tun?
Im Moment sind fast alle Websites nicht barrierefrei, was die Wenigsten bemerken – es sei denn, wir haben, wie gesagt, unsere Brille vergessen. Aber selbst wenn wir uns und unsere Großeltern nicht mit einrechnen, schließen wir ca. 7,8 Millionen Menschen in Deutschland von der Nutzung des Internets aus. Eine beträchtliche Menge, oder? Schon mal drüber nachgedacht?
Muss ich meine Website barrierefrei machen?
In der EU sind derzeit lediglich alle öffentlichen Einrichtungen wie z.B. Städte, Ministerien und Bildungseinrichtungen verpflichtet, ihre Websites barrierefrei zu machen. Aber dabei wird es nicht bleiben. In den USA ist kürzlich der Pizza-Lieferdienst Dominos verklagt worden, weil der Bestellprozess auf seiner Website nicht barrierefrei war. In der EU gibt es seit 2019 eine Richtlinie für die barrierearme Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen in der Privatwirtschaft. Diese wird ab 2025 bindend für viele Online-Shops und Dienstleistungen.
Aber mal abgesehen von Gesetzen und Verordnungen: Gute Unternehmer sehen ja auch immer die Chancen, die in einer solchen Maßnahme liegen. Sie können ganz neue Zielgruppen erreichen, indem sie ihre Produkte und Dienstleistungen im Web einfacher zugänglich machen, sprich die sogenannte Usability oder User Experience deutlich verbessern. Das allein ist schon viel wert und nicht umsonst: Untersuchungen zeigen, dass Menschen mit Behinderung, die einmal eine Website gefunden haben, die sie bedienen können, immer wieder zurück kommen und damit zu sehr treuen Kunden werden.
Ist es denn schwer, eine Website barrierefrei zu bauen?
Wie immer ist es wichtig, das Thema von Anfang an mitzudenken. Der beste Zeitpunkt ist kurz vor dem Relaunch – also dann, wenn Sie sowieso Ihre Internetpräsenz neu durchdenken und optimieren. Gliedern Sie Inhalt so, dass er sich sinnvoll anordnet. Geben Sie Bildern eine Beschreibung und testen Sie die Steuerung Ihrer Website mit der Tastatur und bessern Sie hier ggf. nach. Sie verwenden Videos? Vergessen Sie nicht die Untertitel! Damit haben sie schon viel mehr getan, als ein Großteil Ihrer Wettbewerber. Und damit können Sie dann auch gerne werben. Ihre Website leistet schließlich einen wichtigen Beitrag für eine offene und menschliche Gesellschaft und ist ein guter Anlass für einen Post in Social Media oder einen Artikel in der lokalen Zeitung.
Google liebt Barrierefreiheit
Eine Website, die für alle zugänglich ist, ist auch für Maschinen optimal lesbar. Und das lieben Google, Bing und alle anderen Suchmaschinen. Wenn das Internet Ihr Schaufenster ist, sind die Suchmaschinen Ihr Laufpublikum. Je mehr auf Ihrer Website online „vorbeischauen“, desto besser für Ihr Geschäft. Dabei macht es bekanntlich wenig Unterschied, ob der interessierte Kunde blind oder taub ist.
Woran erkenne ich eine gute barrierearme Website?
Barrierefreiheit lässt sich nicht auf den ersten Blick erkennen. Jedenfalls nicht, wenn man diesen nicht vorher geschult hat oder wenn man selbst darauf angewiesen ist. Sie nehmen vielleicht die einfache Bedienung, die ordentliche Gliederung, die leicht lesbaren Texte und die verständliche Sprache wahr. Manche sagen, barrierefreie Webseiten sind langweilig, sperrig und verhindern den sogenannten „Joy of Use“, den Marken so gerne nutzen, um ihre Botschaft emotional aufzuladen. Das stimmt so aber nicht. Denn im Idealfall wird Ihre Website vor allem bedienungsfreundlicher – ohne dabei „hässlich“ oder langweilig zu wirken. Emotionen können durch Farben, Bilder, Videos und Animationen entstehen. Auf die muss und sollte man natürlich nicht verzichten.
Finde ich gut. Aber wo fange ich an?
Am besten, indem Sie erst mal schauen, wo Sie stehen: Es gibt viele kleine Helfer-Tools im Internet, mit denen Sie einzelne Aspekte Ihrer Website auf Barrierefreiheit testen lassen können. Sie können zum Beispiel mit contrastchecker.com prüfen, ob ihre Farben genug Kontrast besitzen, um Inhalte zu gliedern oder Funktionen zu kennzeichnen.
Und lassen Sie sich beraten: Fragen Sie nach einem ersten Schnell-Check bei Ihrer Web-Agentur.