Gegen die Unsichtbarkeit – Vom Tonstudio zur Bühne für Musiker

Es ist ein unscheinbares Geschäftshaus an der Krefelder Nordstraße. Im Erdgeschoss ist ein Pflegedienstleister untergebracht, eine Anwaltskanzlei, ein Physiotherapeut und weitere Büroräume verteilen sich auf die restlichen Etagen, die über einen Aufzug erreichbar sind. Reicht der Fahrstuhl nur bis zum dritten Stock, weist ein Schild unmittelbar hinter der Aufzugtüre noch auf ein weiteres Stockwerk hin. „Planet Voice“ steht da in großen Lettern geschrieben. Dass hier, über den Dächern von Krefeld, Material produziert wird, das anschließend über die Grenzen von Deutschland hinaus Beachtung findet, erwartet der Besucher in dieser Understatement-Umgebung wohl nicht.

Zu Christoph Walter passt das unkonventionelle Dachgeschoss dagegen sehr gut, in den unteren Etagen würde er auffallen wie ein bunter Hund. Mit „Pinky und der Brain“-Shirt, lauter Stimme und lebhaften Arm- und auch Beinbewegungen begrüßt der 45-jährige Glatzkopf in seiner quirligen Art jeden Besucher. Walter ist Synchronsprecher und das recht erfolgreich: Aufgrund von Aufträgen großer Hersteller kennt ganz Deutschland seine Stimme aus TV-Spots und Radioproduktionen. Hier an der Nordstraße nimmt er aber nicht nur eigene Aufträge auf, sondern produziert auch mit Sprechern aus dem gesamten Bundesland und unterrichtet auch bekannte Schauspieler rund um die professionelle Audiostimme.

Im Dachgeschoss ist Christoph Walter als Kreativer aber nicht alleine. Er teilt die Räumlichkeiten unter anderem mit Philip Reno Müller, der unter dem Titel „Atair.“ Audioproduktionen für Musik-Acts, Spielfilme und vieles mehr abwickelt. Während auch in der Coronapandemie Müller und Walter gut mit Aufträgen versorgt sind, machen dem engagierten Sprecher vor allem die Einschränkungen in der Kreativbranche Sorgen. „In unserem Netzwerk sind so viele Musiker und Bühnenschauspieler, für die es eben gerade nicht gut läuft“, schildert er. „Nicht nur die daraus entstehenden finanziellen Sorgen machen ja etwas mit dir, sondern das fehlende Publikumsfeedback verändert dich. Als Künstler brauchst du dieses Gefühl, sonst gehst du ein.“

Das Projekt „Krefelder Kammermusik”

Diesen Gedanken hatte auch Carsten Bullert, gemeinsam mit Christoph Walter Vorstandsmitglied der Ortsgruppe der Partei „Die PARTEI“ in Krefeld. Vor einigen Wochen nahm er den Hörer in die Hand und rief Walter mit einer fixen Idee an. So entstand aus der Idee schnell ein ernstzunehmendes Projekt, die „Krefelder Kammermusik“. „Wie es die Krefelder von uns kennen, nutzen wir Spaß und Satire, um ernstzunehmende politische Botschaften zu vermitteln“, erklärt Walter. „Wir möchten, dass in der Coronapolitik Künstler und Kreative nicht vergessen werden. Die fehlende Bühnenpräsenz sorgt aber für Unsichtbarkeit. Das wollten wir ändern.“ Gemeinsam mit Phil Müller verwandelte Christoph Walter das Dachgeschoss an der Nordstraße in eine virtuelle Bühne. Ein Greenscreen wurde eingerichtet, Kameras gekauft und  installiert und Mikrofone aufgestellt. Mitte April flimmerte das erste Livekonzert aus Krefeld via Facebook-Stream über die Partei-Seite. „Das Feedback aus der Künstlerszene ist riesig“, freut sich Walter. „Wir haben einfach wild angefragt und so viele Musiker sagen zu. Auch wenn wir keine Gagen zahlen können, lechzen die Künstler gerade nach Bühnen.“

Mit dabei im April war zum Beispiel der Musiker Andre Sinner, der Singer-Songwriter Collateral Birth oder Minimal Wave mit QEK Junior. Jeden Samstagabend zwischen 19 und 20 Uhr hat die Partei inzwischen ein Konzert integriert. „Wir haben Zusagen von echten Szene-Größen wie ‚Heiter bis wolkig‘“, erklärt der Sprecher. „Das ist natürlich der Wahnsinn. Ich verfolge die Punkrocker seit den 90ern.“ Bis zu zwei Musiker streamt Walter, immer wieder mit Unterstützung durch Phil Müller, an der Nordstraße.

Finale der „Krefelder Kammermusik“ in den Räumen der ehemaligen Kulturfabrik am Dießemer Bruch

Mit Hilfe der K22 GmbH wird das Finale der „Krefelder Kammermusik“ in den Räumen der ehemaligen Kulturfabrik am Dießemer Bruch stattfinden. Die Initiatoren sind dabei überwältigt von der Eigendynamik, die das Projekt aufnimmt. „Ich glaube fest daran, dass wir nach Corona mit allen Musikern ein Festival in Krefeld machen werden“, sagt Walter selbstbewusst. „Für uns als ’Die PARTEI' ist jetzt schon klar, dass wir die gesamten Gewinne an die Kunst- und Kulturszene spenden werden.“

Text + Bilder: Planet Voice

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