Der Seelenreisende: Der Düsseldorfer Künstler Conrad Sevens

Ein Porträt von Jan Jessen

Conrad Sevens. Foto: Marc Albers

Am Anfang war das Chaos. Die Auflösung der Außenwelt in Trümmer, Splitter, das Ende der Ordnung. Die Lebensreise des Conrad Sevens begann in einer Wirklichkeit, die in ihre Bestandteile zerfallen war. Es war ja Krieg. Als das große Völkermorden vorbei war, lag seine Heimatstadt Düsseldorf in Trümmern. Fünf Jahre war Sevens damals, ein kleiner Bub, der in der zerborstenen, verwüsteten Stadt spielte, am Monte Klamotte am Aachener Platz, dem Berg, zu dem die Erwachsenen den Schutt auftürmten, der einst ihre Häuser gewesen war. 

Heute, im Jahr 2010, ist Conrad Sevens 70, und er ist ein renommierter Künstler, malt Tag für Tag in seinem Atelier an der Aderstraße in der Landeshauptstadt. Sein Spätwerk wirkt, als habe sich ein Kreis geschlossen. Er löst die Welt auf in ihre Bestandteile, in Farbe und Licht, reduziert die Wirklichkeit auf das Wesentliche im Wortsinn. Totale Abstraktion.  Das Spätwerk eines Mannes, der sein Leben der Kunst gewidmet hat.

Conrad Sevens erinnert sich lebhaft an die Zeit nach dem Krieg, die ihn so sehr geprägt hat. Lebhaft darf man wortwörtlich verstehen. Er redet mit dem ganzen Körper, lässt seine großen Hände sprechen, wenn er davon erzählt, wie sie damals in den Ruinen spielten, wie sie dort glänzendes Messing und im Licht flitterndes Staniol sammelten, um es in der Schrotthandlung zu verkaufen, und wie beeindruckt er war, als er den ersten farbigen US-Soldaten sah, weil ihn das Exotische schon damals faszinierte. 

Das Treppenhaus ist gepflastert mit seinen Bildern.

Sevens wird in eine einfache, bürgerliche Familie, hineingeboren, als fünftes von neun Geschwistern. Der Vater arbeitet als Schlosser in einer Fabrik. Sein Sohn soll etwas Solides lernen, natürlich. Doch schon in der Volksschule zeigt sich das künstlerische Talent des Jungen, das Treppenhaus  ist gepflastert mit seinen Bildern. Also lernt er Maler, immerhin was Handfestes. Noch ein Wesenszug zeigt sich früh. Conrad Sevens ist nicht der extrovertierte Künstlertyp, Exzesse sind ihm zeit seines Lebens fremd, er liebt die Abgeschiedenheit, den inneren Dialog. Als Kind  verbringt viel Zeit in der Bibliothek der nahen Pfarrgemeinde, genießt die Ruhe, das Alleinsein. So arbeitet er auch noch mit 70, allein in seinem Atelier, konzentriert, fern ab der Hektik des Alltags kämpft er sich in den Kern der Dinge vor.

Er mag die Kneipen nicht. Besäufnisse sind ihm ein Gräuel. Er ist lieber für sich und mit sich

Die Enge des Elternhauses verlässt, mit 18 bereist er das erste Mal Indien, das Land, das ihn wie kein anderes fasziniert, und das er bis heute ganze 38-mal besucht hat und an dessen Farben er sich noch immer nicht satt sehen kann. Danach studiert Sevens an der Kunstakademie Düsseldorf als Meisterschüler von Ferdinand Macketanz, später an der Academie des Beaux-Arts in Paris – um dann doch zunächst das Leben auf der Bühne zu wagen. Er beschließt als Schauspieler Karriere zu machen, ein Entschluss, der seinem Narzissmus geschuldet ist, aber  kein allzu gewagter Wunsch eigentlich. Er ist ein stattlicher Mann mit einem eindrucksvollen Charaktergesicht, hohe Wangenknochen, schmale Lippen, buschige Augenbrauen, imposante Stimme. Neun Jahre ist  er am Essener Schauspielhaus engagiert, spielt er in Düsseldorf, in Köln, lernt die Großen kennen, Helmut Qualtinger, diesen mürrischen Genius, der denselben Mantel trägt wie er, Klaus Brandauer, Helmut Lohner. Allein, ihm bleiben die großen Rollen versagt, der Hamlet, den er für sein Leben gerne gespielt hätte. Sevens bleibt ein Außenseiter, er mag die Kneipen nicht, in denen seine Kollegen feiern, Besäufnisse sind ihm ein Gräuel. Er ist lieber für sich und mit sich. Er hat viel Freizeit, in der er weiter malt.

Conrad Sevens in seinem Atelier. Foto: Marc Albers
Conrad Sevens in seinem Atelier. Foto: Marc Albers
Conrad Sevens in seinem Atelier. Foto: Marc Albers
Conrad Sevens in seinem Atelier. Foto: Marc Albers

»Wenn man so malt, sollte man das Theater aufgeben.« [Ida Ehre]

In den siebziger Jahren findet er sein Sujet, mit dem er bekannt werden soll. Landschaftsbilder, Nebelbilder. Melancholische Impressionen, Meditationen fast, in denen sanftes Licht Hoffnung verspricht. Das Leben als langer, ruhiger Fluss. Erste Ausstellungen, erste Erfolge, was Sevens auf die Leinwand bringt, ist ein Kontrapunkt zu den poppigen, schrillen Farbexplosionen, die zum Ende der siebziger Jahre die Kunst beherrschen und zu den fröstelnd machenden Vorboten der coolen achtziger Jahre. Oft ist der Niederrhein sein Motiv, diese meditativen, weiten Landschaften, über die sich das Licht an einem kühlen Morgen geheimnisvoll ergießt. Zäune, Wiesen, Bäume fließen in diesen Bildern vor nahezu  monochromen Farbflächen ineinander, weich, verträumt. Er ist ein hoffnungsloser Romantiker, ein Fremdkörper in seiner Zeit, doch die Leute mögen das, sie reißen ihm seine Bilder aus den Händen. Bei einer Tournee mit Ida Ehre schließlich der Rat der großen alten Dame: „Wenn man so malt, sollte man das Theater aufgeben.“  Er folgt diesem Rat, widmet sich ganz der Malerei.  Die Sehnsucht nach dem Fremden, dem Ungewissen treibt ihn weiter voran, schickt ihn auf Reisen, weit weg in die Ferne, ins geliebte Indien, in den Jemen, durch die Sahara, nach Venedig, in die Provence, in die Toskana.  

Von seinen Reisen nimmt er die Sinneseindrücke mit, die er begierig aufnimmt und tief in seine Seele aufsaugt. Sevens verarbeitet diese Eindrücke daheim in seinem Atelier. Hier hat er sich ein asketisches und durchstrukturiertes Sein auferlegt. Jeden Morgen steht er um Punkt sechs Uhr, geht  um sieben Uhr schwimmen, fährt dem Rad zu seinem Atelier. Dort steht er den ganzen Tag und malt. Dabei hört er Wagner. Lohengrin, den Tannhäuser, Tristan und Isolde. Er liebt Wagner. Das Subtile, das Introvertierte, er hört seine Bilder in den Arien, lässt seinen Pinsel von der Musik führen. Er hat immer Klassik gehört, Rock oder Beat oder Pop waren nie etwas für ihn. Überhaupt findet er schwer Zugang zur Moderne. In seinem Atelier findet sich kein Telefon, er weigert sich Fernsehen zu schauen. Zu trivial, zu obszön.

Einerseits expressive, fast wütende, orgiastische Arbeiten, andererseits stille Betrachtungen, Meditationen.

Je älter er wird, desto tiefer dringt er auf den Grund der Dinge vor. Seine Seelenlandschaften werden immer abstrakter, auf manchen trägt er die Farbe dick mit einem Spachtel auf, so dass sie greif- und fühlbar werden, sinnlich. So sehr ihn seine Seele leitet und viele Arbeiten aus dem Bauch heraus entstehen, so sehr ist er doch in anderen Momenten auch kühl planender Handwerker. Seine Diagramme, kleine, quadratische Bilder, konzipiert er detailliert, zwingt sich das Weglassen auf, aus dem die eigentliche Kunst besteht. So entstehen einerseits expressive, fast wütende, orgiastische Arbeiten, andererseits stille Betrachtungen, Meditationen. Ihnen allen ist gleich, dass der Mensch in ihnen nur die Rolle des Betrachtes einnehmen darf, nur ganz selten taucht er selbst als Subjekt auf, verschwommen, als Schatten. Wie der Maler selbst sich auch in der Welt nicht in den Vordergrund drängt, sondern stets ein Außenseiter geblieben ist, ein einsamer Poet.

Conrad Sevens mag in diesem Jahr 70 Jahre alt geworden sein. Am Ende seiner Lebensreise ist er noch lange nicht angelangt. Er entwickelt sich weiter. Immer auf der Suche nach der Struktur im brodelnden Chaos, das unser Sein ist.

Text: Jan Jessen | Fotos: Marc Albers | NiederRhein Edition 2010

Auch zehn Jahre später ist Conrad Sevens noch schwer kreativ. Kurz nach seinem achzigsten Geburtstag, zeigte die Krefelder Galerie Heidefeld Ende Oktober 2020,  eine umfangreiche Schau seiner Werke und selbtsverständlich war auch der Künstler anwesend.

Wir wünschen Conrad Sevens noch viele gesunde und kreative Jahre! Wer mehr von und über ihn und seine Werke erfahren möchte:


https://www.conrad-sevens.de
https://www.facebook.com/conrad.sevens
https://www.instagram.com/conrad.sevens/ (Schwerpunkt: Landschaft)
https://www.instagram.com/conrad.sevens2/ (Schwerpunkt: Abstrakt)

 

 

 

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