Über die niederrheinische Kopfweide und ihre Pfleger

Kopfweiden sind knorrig und struppig und sehen im herbstlichen Nebel manchmal wie schreckliche Gespenster aus. Man kann sich darüber streiten, ob sie wirklich schön sind, aber dass sie wie kein anderer Baum seit vielen Generationen das Bild der niederrheinischen Landschaft bestimmen, ist unbestritten. Doch damit hätte es in der Mitte des letzten Jahrhunderts fast ein Ende gehabt.

Bedingt durch den Zweiten Weltkrieg waren viele Kopfweiden lange Jahre nicht mehr regelmäßig geköpft worden und drohten nun mit ihren inzwischen weit ausladenden Ästen das Opfer starker Winde zu werden. Dazu kamen diverse landwirtschaftliche Umstrukturierungen und nicht zuletzt die verstärkte Nutzung anderer Heiz- und Baumaterialien. Zum Glück gab es da vor 40 Jahren einige naturbewusste Niederrheiner, die beschlossen, die alten Kopfweiden wieder neu zu beschneiden, und sie damit vor ihrem endgültigen Tod zu bewahren.

„Wir waren damals zehn Leute und eigentlich zusammengekommen, um uns hauptsächlich mit dem Vogelschutz zu beschäftigen“, erinnerte sich der 91-jährige Moerser Erich Staudt noch gut daran, wie bei einer der folgenden Treffen in seinem Haus der „Deutsche Bund für Vogelschutz“, die spätere Keimzelle der heutigen NABU-Kreisgruppe Wesel gegründet worden war. „Ich mache die Kopfweiden“, hatte er dabei irgendwann verkündet und war damit zunächst auf Erstaunen gestoßen. Natürlich wussten seine Vogelfreunde, dass alte Kopfweiden wichtige Nistplätze für den Steinkauz, einen der kleinsten, in Deutschland heimischen Eulenarten lieferte, dass die Bäume jedoch in Gefahr waren, ohne neuen Beschnitt demnächst aus der niederrheinischen Landschaft zu verschwinden, war ihnen bis dahin nicht so recht bewusst gewesen.

Als dann wenig später die NABU-Kreisgruppe Wesel entstand, schnitten deren Mitglieder unter der Regie von Erich Staudt die ersten hundert alten Weiden bei einem Bauern in Borth. Kein leichtes Unterfangen, denn die Äste der Bäume waren durch den fehlenden Beschnitt der letzten Jahrzehnte ziemlich groß und dick geworden. Die Aktion dauerte einen Winter lang und erbrachte einen über hundert Meter langen Stapel aus dicken, ein Meter langen Aststücken, die dann als Kaminholz oder zur Beheizung von Gewächshäusern, aber auch an die Spanplattenindustrie verkauft wurden. Mit den dabei erwirtschafteten Einnahmen finanzierte man anschließend den Bedarf an weiteren Motorsägen und die für deren Handhabung notwendige Ausbildung, sowie die Beschaffung von Schutzkleidung für die immer weiter zunehmende Helferschar auf.

Foto: NABU Kreisgruppe Wesel
Foto: NABU Kreisgruppe Wesel
Foto: NABU Kreisgruppe Wesel
Foto: NABU Kreisgruppe Wesel
Foto: NABU Kreisgruppe Wesel

Aufgrund der Schneideaktion in Borth meldeten sich nämlich immer mehr Bauern aus der Region, die ihre Kopfweiden ebenfalls geschnitten haben wollten. Darüber hinaus machten die ersten Helfer in ihren örtlichen Gruppen so viel Reklame für ihre neue Aufgabe, dass es in den umliegenden Gemeinden schon im nächsten Jahr etwa 20 weitere kleine NABU-Weidenschneidergruppen gab. Bei all dem war Erich Staudt aber auch stets daran gelegen, neben weiteren Helfern vor allem „die Bauern mit ins Boot zu holen“. Was ihm auch gelang. So verpflichteten sich die meisten, dem NABU die großen Äste zu überlassen und das kleinere, nicht mehr verkäufliche Schnittwerk selber zu entsorgen. Und manchmal organisierten sie sogar im Anschluss an die jeweiligen Schneideaktionen eine kleine, spontane Hof-Fete für die fleißigen Helfer.

Kopfweiden sind nicht nur wunderschön, sondern auch ungemein nützlich für Tiere, Insekten und uns Menschen

Schließlich sprachen sich die Aktivitäten von Erich Staudt so weit herum, dass auch der Niederrheinische Landschaftsverband und die Stadt Moers die Weidenschneider um Erich Staudt mit entsprechenden Baumpflegemaßnahmen beauftragten. Zwar übernahm das Moerser Grünflächenamt diese Aufgabe nach kurzer Zeit dann selber, aber das war ihm auch recht: „Mit ging es ja darum, dass unsere Kopfweiden hier überhaupt gepflegt wurden“, so Erich Staudt. Als Grund dafür nennt er, dass die Kopfweide neben dem Steinkauz nicht nur einigen Fledermausarten, dem Iltis, Siebenschläfer und Steinmarder, sondern auch zahlreichen Insektenlarven ein willkommenes Zuhause bietet.

Darüber hinaus hat sie eine lange, bäuerliche Nutzungsgeschichte. So wurden ihre Zweige nachweislich schon in grauer Vorzeit sowohl als Brennholz als auch als Viehfutter verwendet. Außerdem flocht man aus ihren biegsamen Trieben Körbe und Möbel, wobei die am Niederrhein am häufigsten vorkommende Silberweide wegen der mangelnden Elastizität ihrer Zweige oft „nur“ für Zäune oder höchstens derbe Kartoffelkörbe verwendet wurde. Eine ihrer wichtigsten Bedeutungen aber hatte die Kopfweide als Lieferant von Baumaterial für Fachwerkhäuser und –scheunen. Das Geflecht ihrer Zweige lieferte mit Lehm und Strohhäcksel zusammen die Auskleidungsmasse zwischen den hölzernen Fachwerkgevierten und sorgte damit für zusätzliche Stabilität. Auch Stiele von Heugabeln, Rechen und Schaufeln wurden damals wegen ihres leichten Gewichts und ihrer Handschweiß aufsaugenden Fähigkeit gerne aus Weidenholz hergestellt. Inzwischen ist die Nutzung der Kopfweide bei uns stark zurückgegangen, wogegen ihr Gezweig in den Niederlanden nach wie vor als festigendes Grundgeflecht selbst für große Dämme und Deiche Verwendung findet.

Nachdem Erich Staudt gut 40 Jahre lang mit verschiedenen NABU-Gruppen mehrere tausend Kopfweiden in der Region durch fachkundiges Beschneiden verjüngt und ihren einstigen Bestand durch zahlreiche Nachpflanzungen noch vermehrt hat, stieg er vor einigen Jahren aus der aktiven Feldarbeit aus und übergab die zukünftige Pflege seiner Weidenlieblinge an den NABU-Ortsverein Moers/Neukirchen Vluyn und dessen Leiter Franz Reuter. Die schneiden seither die niederrheinischen Weiden vor allem in den Wintermonaten. Erstens, weil dann nicht so viel Laub anfällt, und zweitens, um die in den anderen Jahreszeiten darin zahlreich heimischen Lebewesen nicht unnötig zu stören.

Tatkräfttige Hilfe ist nach wie vor herzlich willkommen

Dazu sind tatkräftige Helfer beiderlei Geschlechts nach wie vor herzlich willkommen, auch solche die keinen speziellen Motorsägen-Führerschein besitzen. Die Pflegemaßnahmen finden in der Regel donnerstags und samstags von 8.30 bis 12.30 Uhr statt. Interessenten können mit dem NABU Moers/Neukirchen-Vluyn in Kontakt treten und finden weitere Infos auch online: www.nabu-moers-neukirchen-vluyn.com

Wer sich dagegen einfach nur am Anblick besonders schöner Kopfweiden erfreuen möchte, dem sei ein Spaziergang am Moersbach hinter der Moerser Aumühle oder entlang der Kendel in Neukirchen-Vluyn empfohlen. Darüber hinaus gibt es für alle, die auch theoretisch an dem niederrheinischen Symbolbaum interessiert sind, ein informatives, vom Moerser „Weidenpapst“ Erich Staudt geschriebenes und im Mercator-Verlag erschienenes Buch mit dem Titel „Kopfweiden – Herkunft –Nutzung –Pflege“.

Text: Jutta Langhoff | Niederrhein Edition, Ausgabe 02/20217

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