Rudi Hell: Der letzte Aalfischer auf dem Rhein

Rudi Hell ist der letzte Aalfischer auf dem Rhein| Foto: Stephan Sadowski

Auf fast 500 Jahre Fischereitradition kann die Kalkarer Gemeinde Grieth zurück blicken: Insofern ist es nicht mehr genau nachvollziehbar, wie viele Vorfahren von Rudi Hell sich mit dem Fischfang in dem ehemaligen Hanseort beschäftigt haben. Er ist der letzte größere Aalfischer in NRW, schon sein Urgroßvater hat so manchen Lachs, der damals noch in großen Mengen im Rhein schwamm, an Land gezogen – bis dahin kann es der Mann mit dem Kaiser-Wilhelm-Bart historisch belegen.

Bereits als Fünfjähriger hat er oft seinen Opa Theodor Hell begleitet. Das war in den Kriegsjahren und damals wurden die Netze noch mit der Hand ausgelegt – und das war harte Arbeit. „Wir sind mit dem Boot raus und haben die dann am Ufer mit Pflöcken befestigt, sie in den Strom treiben lassen und später wieder eingeholt“, erinnert sich Rudi Hell  Zu jener Zeit war die Ausbeute bei weitem größer: „In den Reusen haben wir bis zu zwei Zentner Aale gefunden“, weiß der Mann mit der Prinz-Heinrich Mütze und so ein bisschen Käpt’n Iglo aus der Werbung ähnelt. Heute seien es nur noch zwei Kilo, ergänz er und der Aal daher eine richtige Fischspezialität geworden.

FREITAGS KOMMT AAL AUF DEN TISCH

Früher hat Rudi Hell seine Aale an die umliegenden Restaurants gegeben – heute reicht es meist nur für den Eigenbedarf. Nicht nur Tradition sondern auch etwas ganz Besonderes ist dadurch auch das Rezept „Aalsuppe à la Oma Hell“. Wenn man es genau nimmt, hat es die Schwiegermutter seiner Großmutter Wilhelmine erfunden. Vor über 100 Jahren hat Rudi Hells’ Oma das Rezept dann allerdings weiter perfektioniert. Einmal in der Woche kommt dieses Gericht bei den Hells auf den Tisch – meist am Freitag, dann kommen auch schon mal die Kinder vorbei.

Obwohl Rudi Hell selbst lange als Matrose auf Binnenschiffen viele Essen zubereitet hat, steht zuhause doch meist seine Frau Anita am Herd . „Ich sehe mich mehr in der Rolle des Jägers als in der des Kochs“, flachst Hell.

VOM MOSES ZUM LEICHTMATROSEN

In den 50er-Jahren haben er und sein Kollege sich abwechselnd nach getaner harter Arbeit bekocht – es waren aber mehr die einfachen Sachen wie ‚Spinat mit Spiegelei‘ und ‚Himmel und Ääd‘. „Wir hatten hinten eine eigene kleine Kombüse, vorne kochte –  in einer anderen Küche – die Frau des Kapitäns für eben diesen“, erklärt Rudi Hell die Zweiklassengesellschaft auf den damaligen Binnenschiffen. Mit 13 Jahren heuerte er zunächst als Schiffsjunge, als so genannter „Moses“,  bei einer Duisburger Reederei an. Er durchlief die Ausbildung zum Leichtmatrosen in einer Zeit, als die Schiffe noch mit Kohle betrieben wurden und die ersten mit Diesel betriebenen Vehikel gerade erst aufkamen. Mit 16 Jahren fuhr Rudi Hell bereits auf den unterschiedlichsten Booten mit. Später war er dann lange als Baggermeister in einer Sandkieserei am Altrhein in Wesel beschäftigt – des Verdienstes wegen –  der war nämlich deutlich höher als an Bord eines Binnenschiffs. Den Rhein und die Fischerei hat er allerdings nie aus den Augen verloren.

MOBY DICK IM RHEIN

Es war im Jahre 1966, als Rudi Hells Kollegen im Radio die Nachricht hörten, dass ein weißer Wal den Rhein von Holland heraufschwimmt. „Wir sind dann mit alle Mann in die Boote – und haben es sogar geschafft neben ihm zu fahren und seinen Rücken zu schrubben“, erinnert sich Rudi Hell. „Der Kerl war bestimmt sechs Meter lang.“ Der Belugawal schaffte es bis nach Bonn zu schwimmen. Er wurde erst in der damaligen Bundeshauptstadt zum Politikum und dann noch vom Duisburger Zoodirektor Wolfgang Gewalt zurück in die Nordsee getrieben.

Den Traum, selbst Aale zu fischen, hat sich Rudi Hell 2002 erfüllt. „Anita I“ hieß sein erster Aalschokker aus dem Jahre 1914. Jetzt ist er stolzer Besitzer von „Anita II“, etwas moderner, aus dem Jahr 1934, eine echte holländische „Jalk“, die dreißig Meter entfernt vom linksseitigen Griether Rheinufer liegt.

Eine frickelige Fangeinrichtung hat er für sie gebaut: Am Boot ist ein Mastbaum ins Wasser gelassen, an diesem ist ein etwa 30 Meter langes, sechs Meter tiefes Netz befestigt, das bis auf den Grund reicht. Das Netz kann er mit einer Seilwinde an Deck ziehen, um die Fische herauszuholen. Heute hat er drei Aale gefischt, außerdem sind ihm ein Lachs, eine Rotbarbe sowie zwei chinesische Wollhandkrabben und viel Treibgut ins Netz gegangen. „Die Fische sind einfach weniger geworden, weil hier sehr viele Kormorane fliegen, die uns alles wegfressen“, beschwert sich Hell, während auf der anderen Rheinseite auch schon einer dieser Wasservögel genau beobachtet, wie Rudi Hell seine Beute einholt.

SARAGOSSASEE – EUROPA UND ZURÜCK

Dennoch hat der Mann, der den Rhein wie seine „Westentasche“ kennt, seinen Schokker genau an der Stelle positioniert, wo die meisten Fische gezogen werden können. „Das Netz liegt hier genau in der größten Strömung“, weiß der Mann, der auf dem Rhein groß geworden ist. „Und gerade wenn die ausgewachsenen Aale zurück in die Nordsee schwimmen, lassen sie sich gerne in der Uferströmung treiben, um Kraft zu sparen.“ Denn lang und nicht ungefährlich ist der Weg, den die Raubfische noch vor sich haben. Einmal quer über den Atlantik müssen sie, um zurück zu ihrem Geburtsort  – der Saragossasee – nahe dem Golf von Mexiko zu gelangen.

Als junge Glasaale schwimmen sie von dort zu Tausenden nach Europa, wachsen dann in dem Süßwasser europäischer Flüsse heran, um dann genetisch bedingt, zum Laichen wieder an ihren Geburtsort zurück zu schwimmen. Allerdings werde in den Niederlanden ein unbotmäßiger Handel mit den Glasaalen betrieben weiß Hell zu berichten. „Die Jungfische werden dort in großen Mengen herausgefischt und dann auf unnatürliche Weise in Becken gemästet, dann zu Höchstpreisen verkauft“, kritisiert Rudi Hell. Da ist ihm ein selbst gefischter Aal einfach lieber. „Die sind auch nicht so fett, weil die sich natürlich bewegt haben“, erklärt der Fachmann.

Und vielleicht bekommt Rudi Hell für sein Fachwissen über Fische ja noch die Ehrendoktorwürde verliehen: Er betreibt nämlich Fischmonitoring und arbeitet mit mehreren Universitäten und der Landesfischereianstalt in Aalbaum im Sauerland zusammen. Es gilt, Erkenntnisse  über das Laich- und Zugverhalten von Aalen und Lachsen und die Artenvielfalt  im Rhein zu gewinnen. „Kürzlich hatte ich sogar einen Maifisch im Netz, eine besondere Art des Herings. Der war einige Jahre in deutschen Binnengewässern gar nicht mehr vorhanden“, berichtet Rudi Hell.

Text + Bilder: Stephan Sadowski | NiederRhein Edition 02/2015

Anzeige

Regiopartner