Peter Reichenbachs Idee von natürlichen Farben traf hier nicht ohne Grund auf eine besondere Zustimmung, war doch die heute aus gut 70 000 Bewohnern bestehende Stadt Dinslaken im 15. Jahrhundert damals unter Graf Adolf von Cleve ein Mittelpunkt des niederrheinischen Färberhandwerks. „Die Bauern am Niederrhein waren zu dieser Zeit hauptsächlich Schafzüchter und so wurde hier schon lange Wolle, aber auch Leinen gefärbt“, weiß der Biologe, Landespfleger und Inhaber des Dinslakener Gartenbaubetriebes „Buschwerk 17“ Andreas Maurer. „Die Färber genossen im Gegensatz zu den wohlhabenden Schafzüchtern damals noch keine große Anerkennung und durften ihre Waren lediglich vor den Stadttoren verkaufen und das auch nur gegen eine vorherige Steuer. Doch dann etablierte Graf Adolf von Cleve 1412 das so genannte „Wollamt“ das den Färbern rund um Dinslaken den Status von „ehrsamen Handwerkern“ verlieh, sodass sie ihre gefärbte Wolke ab jetzt auch innerhalb der Burgmauern und ohne Vorsteuer verkaufen durften. Eine ihrer wichtigsten Färberpflanzen war in jener Zeit die in den feuchten Rheinauen wachsende „Färberwaid“-Staude, aus deren getrockneten Blüten und Urin sie kleine Ballen herstellten und in die benachbarten Niederlande verkauften.
Färbergärten für ein buntes Leben am Niederrhein
Färbergarten am Dinslakener Museum „Voswinckelshof“
Diese handwerkshistorische Vorgeschichte, vor allem aber eine 2009 von Peter Reichenbach an der Dinslakener Kindertagesstätte „Villa Kunterbunt“ durchgeführte „sevengardens“-Veranstaltung veranlasste die Stadt, ihn ein Jahr später im Rahmen der damals überall am Niederrhein stattfindenden Aktivitäten zur „Kulturhauptstadt 2010“ um seine Mitarbeit bei der Planung und Durchführung eines ähnlichen, aber größeren Projektes zu bitten. Dabei entstand unter Mitwirkung diverser örtlicher Schulen und Kindergärten, Handwerker, Künstler und kommunaler Einrichtungen auf dem Außengelände des Dinslakener Museums Voswinckelshof einer der ersten niederrheinischen „sevengardens“-Färbergärten. Das Ergebnis fand großen Anklang. Immer mehr Besucher begannen, sich für die alten, pflanzlichen Färbemethoden zu interessieren und besuchten die inzwischen regelmäßig von Peter Reichenbach auf dem „Hof Emschermündung“ in Dinslaken angebotenen Färber-Workshops. Auf diese Weise wurden sie zu so genannten „Dialogerinnen“ und „Dialogern“. Das heißt, sie versprachen, ihr Wissen an andere Interessierte weiter zu geben und beteiligten sich so zu seiner Freude von an der Schaffung eines immer größer werdenden „sevengardens“-Netzwerkes.
„Das war wirklich eine tolle Sache“, fand damals auch Andreas Maurer, der den Färbergarten am Voswinckelshof bis heute mit zehn weiteren „Färberfreunden“ zusammen ehrenamtlich betreut und das knapp 150 Quadratmeter große Gelände jedes Jahr unter einem anderen Motto neu gestaltet. Im letzten Jahr lautete dieses Motto „Garden Eden“. Dazu lieferten Dinslakener Schüler mit ihren niedergeschriebenen Vorstellungen vom einstigen Paradiesgarten die Grundlage für seinen Bepflanzungsplan und sorgten außerdem mit einer Reihe fantasievoller künstlerischer Aktionen für viel öffentliche Aufmerksamkeit. All das hat Dinslaken zu einer Art niederrheinischer „Keimzelle“ für die inzwischen weltweit bekannte, 2012 sogar von der UNESCO zu einer Struktur für Bildung und nachhaltige Entwicklung erklärten „sevenardens“-Idee gemacht.
Arterhaltung, Nachhaltigkeit und Kreativität
Mit Recht, denn diese Idee beinhaltet noch weit mehr als das Anliegen, unsere alt hergebrachten Nutzpflanzenarten zu schützen und zu erhalten, sondern regt auch auf wunderbar vielfältige Weise zu ihrer kreativen Nutzung an. So experimentierten in einem Kamp-Lintforter Caritas-Projekt der Aktion Mensch engagierte Frauen mit und ohne Migrationswurzeln unter der Leitung der ehemaligen Biologielehrerin Dörte Dreher-Peiß mit unterschiedlichen Pflanzen und extrahierten zum Schluss eine Schreibtinte aus Eichengallen und rostigen Nägeln einer still gelegten Zeche. Aus all dem entstand ein wunderschön illustriertes Werkbuch und die gemeinsame Teilnahme an einem späteren Kalligraphie-Kurs. Des Weiteren veranstaltet – ebenfalls im Kamp-Lintforter Caritas-projekt - die Kunsttherapeutin und Malerin Andrea Much, nachdem sie im letzten Jahr einen von Peter Reichenbach durchgeführten Workshop besucht hat, inzwischen verschiedene Malprojekte mit Pflanzenfarben für Kinder an der Kamp-Lintforter Ebert Grundschule. Und in der Kindertagesstätte „Die Arche“ haben die dort betreuten Kinder einen aus drei Hochbeeten bestehenden, kleinen Färbergarten angepflanzt, dessen Pflanzen sie seither zum Anfertigen von Wasserfarben und Malstiften, sowie zum Färben von Ostereiern, Stoffen und anderen Materialien benutzen.
Kunstprojekt „17 Ziele – 17 Orte“
Aber auch den Initiator der „sevengardens“-Bewegung Peter Reichenbach selber haben die Erfahrungen mit den natürlichen Pflanzenfarben zu neuen gestalterischen Ideen animiert. Unter dem Titel „17 Ziele – 17 Orte“ hat er insgesamt 17 verschiedene Objekte entworfen, die von interessierten Einzelpersonen oder Gruppen nachgebaut und aufgestellt werden können. Darunter einige rein künstlerische wie zum Beispiel eine bunte „Färbertreppe“ aus Marmor, Holz- und Multiplexscheiben oder ein mit vielen farbigen Innenringen versehenen „Pott“, aber auch eher praktische wie einen öffentlichen „Saatgut Tauschschrank“, ein Filterfass für Tintenreste oder eine Mini-Färberwerkstatt für Kitas.
Weitere Infos auf www.sevengardens.eu
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Text: Jutta Langhoff | Bilder: Peter Reichenbach, Andreas Maurer | Niederrheihn Edition 01/2020