Hört den süßen Orgelklang!

Roman Seifert leitet das traditionsreiche Familienunternehmen heute in der fünften Generation. Foto: Jutta Langhoff

Viele Menschen haben sie schon besucht, die Marienbasilika im niederrheinischen Wallfahrtsort Kevelaer, und dabei vielleicht auch voller Ehrfurcht die dortige Orgel bewundert. Manche haben das prachtvolle Instrument auch schon gehört oder gar zu dessen Klang gesungen, doch seine Geschichte kennen wahrscheinlich nur wenige. Es ist eine mehr als hundertjährige Familiengeschichte, die mit dem Kölner Orgelbauer Ernst Seifert begann und bis heute andauert. Jutta Langhoff besuchte im Frühjahr 2016 für uns den inzwischen von Ernst Seiferts Ururenkel Roman Seifert geleiteten „Orgelbaubetrieb Romanus Seifert & Sohn“ in Kevelaer und erfuhr dabei eine Menge über handwerkliche Tradition.

Soll ich Ihnen eben mal erklären, wie man zu uns kommt?“, hatte mir Roman Seifert angeboten, als ich ihn zum ersten Mal anrief, um mit ihm einen Besuchstermin in seinem Kevelaer Unternehmen zu vereinbaren. „Nein, danke. Nicht nötig. Ich habe ihre Firma schon einige Male von der B9 aus gesehen, als ich Richtung Autobahn 57 aus Kevelaer rausgefahren bin.“ Als es dann soweit war, musste ich dennoch ein wenig nach der Einfahrt suchen. Das war jedoch nicht mein einziger Irrtum gewesen. So hatte ich anfangs auch gedacht, „Roman“ sei sicherlich die Abkürzung von „Romanus“, und hatte daher mit einem eher älteren Firmenbesitzer gerechnet. Doch der Mann, der mich an der Eingangstür der Firma begrüßte war höchstens 40 und hieß, wie sich anschließend herausstellte, wirklich „Roman“. „Der Roman mit dem gediegenen „us“ hinter dem Namen war mein Urgroßvater“, lächelte er amüsiert. „Er war einer der drei Söhne des Firmengründers Ernst Seifert. Das Unternehmen ist inzwischen in fünfter Generation in Familienbesitz.“ Ich nickte. Damit waren wir genau bei dem Thema, das mich interessierte, nämlich der Erbauungsgeschichte jener prächtigen Orgel in der Kevelaer Marienbasilika, die bis heute als die größte deutsch-romantische Orgel der Welt gilt.

Wie es einst mit dem Orgelbauunternehmen Seifert begann

Warum man damals vor mehr als hundert Jahren ausgerechnet den Kölner Orgelbaumeister Ernst Seifert mit deren Bau beauftragte, mag zunächst ein wenig erstaunlich erscheinen, hatte aber seine Gründe. Der ursprünglich aus Thüringen stammende Förstersohn war nach seiner Orgelbaulehre in Dresden zunächst ins bayerische Meinigen gezogen, um dort seinen Meister zu machen, und hatte dann anschließend als Werkstattleiter eines Kölner Orgelbaubetriebes ein neues technisches Windladesystem erfunden, bei dem die Luft mittels besonderer lederner Membranen in die jeweiligen Pfeifen gelenkt wurde. Der Verkauf dieses Patentes ermöglichte ihm 1885 die Gründung einer eigenen Kölner Orgelbauwerkstatt und machte ihn damit zu einem ernst zu nehmenden Mitwerber bei der Vergabe des Kevelaer Orgelbauauftrags.

Roman Seifert leitet das traditionsreiche Familienunternehmen heute in der fünften Generation. Foto: Jutta Langhoff
Die Aufnahme zeigt Ernst Seifert mit seinen drei Söhnen Romanus, Ernst und Walter. Foto: Orgelbau Seifert
Portraitaufnahme des Firmengründers Ernst Seifert. Foto: Orgelbau Seifert
Die Orgel in der Kevelaer Marienbasilika, gilt bis heute als die größte deutsch-romantische Orgel der Welt. Hier eine Aufnahme aus dem Jahr 1907. Foto: Orgelbau Seifert
Damals wie heute: In der Werkstatt zählt handwerkli-ches Können, Präzision und Feingefühl.

Die Orgel des Berliner Doms setzte den Maßstab

„Das ganze Rheinland und damit auch Kevelaer waren um die vorletzte Jahrhundertwende stark von der Auseinandersetzung des preußischen Kulturkampfes geprägt.“, erläutert Roman Seifert die damaligen politischen Bedingungen. „Nachdem der Berliner Dom bereits eine riesige Orgel mit 112 Registern erhalten hatte, sollte die Orgel in der Kevelaer Marienbasilika diesen Superlativ noch übertreffen. Dabei war eine Voraussetzung für die Vergabe des Auftrags an meinen Ururgroßvater neben seinem besonderen handwerklichen Können die Forderung, in Kevelaer eine dauerhafte Filiale seines Kölner Betriebes einzurichten. Und das hat er dann auch gemacht.“

Zwei Jahre, von 1905 bis 1907 dauerte der Bau der Marienorgel in Kevelaer, am Ende bestand sie aus einem Hauptinstrument mit 104 Registern auf der Westempore und einem kleineren Fernwerk mit 18 Registern auf einer kleinerenEmpore im nördlichen Querhaus der Kirche. Damit war sie die größte bisher gebaute deutsche Orgel überhaupt und verbreitete den Ruf des Unternehmens in ganz Deutschland, so dass Ernst Seifert später jedem seiner drei Söhne eine eigene Werkstatt übergeben konnte, die ursprüngliche Werkstatt in Köln, eine in Bergisch Gladbach und die in Kevelaer.

Die beginnende Industrialisierung brachte auch kirchlichen Wohlstand

Es war die Zeit der beginnenden industriellen Revolution und des damit verbundenen wachsenden Wohlstands, der sich auch in den Finanzen der Kirchengemeinden niederschlug. Nachdem dort bisher nur wenig oder gar kein Geld übrig gewesen war, nahmen jetzt die Aufträge für Orgelreparaturen, Erweiterungen oder gar Neubauten fortlaufend zu. Dann kam der Erste Weltkrieg und brachte nicht nur das Orgelbauunternehmen Seifert in große Schwierigkeiten. In den anschließenden Nachkriegsjahren konnte Roman Seiferts Großvater Romanus den Kevelaer Familienbetrieb zeitweise nur mit dem Bau von Kinoorgeln über Wasser halten. Richtig schlimm wurde es dann während der Weltwirtschaftskrise um 1930 und dem anschließenden Zweiten Weltkrieg. Danach prosperierte nur noch das Kevelaer Unternehmen.

Aufnahme des Spieltischs aus der Marienbasilika in Kevelaer im Jahr 1907. Foto: Orgelbau Seifert
Ein Blick in die Werkstatt um 1920. Foto: Orgelbau Seifert
Die Aufnahme darüber zeigt Ernst Seifert neben einem Spieltisch in seiner Werkstatt, ca. 1915. Foto: Orgelbau Seifert
Ein Blick in die Werkstatt von heute. Foto: Jutta Langhoff

Und so ging es nach dem Zweiten Weltkrieg weiter

„Es war mein Großvater Ernst Seifert, der mich für den Orgelbau begeistert hat“, beschreibt Roman Seifert nach einigem Nachdenken, warum er selber Orgelbauer wurde und seit 2000 die Leitung des Kevelaer Familienunternehmens übernommen hat. Auf die Frage, ob es denn inzwischen wieder etwas leichter geworden ist, an Aufträge zu kommen, schweigt er zunächst nachdenklich: „Nein, nicht wenn man wie wir nur mit gut durchgetrockneten Vollhölzern arbeitet. Die meisten Orgelaufträge werden heute in Wettbewerben ausgeschrieben. Da zählt oft nur der Preis.“ „Und was ist mit der Qualität?“ „Ja, die zählt auch manchmal,und darüber sind wir natürlich sehr glücklich.“

Das sehen seine zurzeit 25 Mitarbeiter genauso. Die meisten von ihnen haben neben einer handwerklichen Ausbildung als Orgelbauer, Tischler oder Schlosser auch kunsthistorische und natürlich kirchenmusikalische Kenntnisse. „Das muss auch sein“, erklärt Roman Seifert. „Denn jeder Auftrag ist anders. Jede Kirche hat ihre ganz eigenen räumlichen und akustischen Eigenheiten. Und die sollen ja mit einer guten Orgel zum Ausdruck kommen.“

 

Text: Jutta Langhoff | Bilder: Orgelbau Seifert, Jutta Langhoff | NiederRhein Edition, Ausgabe 02/2016

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