Ich mag es, wenn ein Stück mit Struktur explodiert

Unterwegs mit Helena Jackson, Regieassistentin am Gemeinschaftstheater Krefeld/Mönchengladbach

Helena Jackson im Theater in Mönchengladbach | Foto: Michael Ricks

Taubengraue Wolken über graugrünen Bäumen und einem graublauen Wasserlauf – Was wie ein Bühnenbild für eine „Herr der Ringe“-Inszenierung anmutet, ist für Helena Jackson der Niederrhein. Die Regieassistentin am Gemeinschaftstheater Krefeld/Mönchengladbach ist 2018 zu den Wurzeln ihrer Kindheit, nach Mönchengladbach, zurückgekehrt. Wir haben die 26-Jährige an ihren beiden Lieblingsplätzen – im Theater und im Park von Schloss Rheydt – getroffen und dabei eine junge Frau kennengelernt, die durch ihre unprätentiöse und offene Art begeistert.

Helena Jackson sitzt am Regiepult zwischen den rot gepolsterten Zuschauersesseln mitten im Rheydter Theater. Ihre brünetten Haare fallen in ihr ungeschminktes Gesicht mit dem spitzbübischen Lächeln. Vor ihr liegt die Partitur der Corona-Revue „Alle maskiert“, die zu großen Teilen ihre künstlerische Handschrift trägt und die man als Fortsetzung ihrer ersten kleineren deutschen Regiearbeit aus dem Jahr 2018 bezeichnen könnte. Damals hatte sie für „Let’s stop Brexit“ ihren Job als freie Regisseurin in London aufgegeben, um als Hospitantin am Gemeinschaftstheater Krefeld/Mönchengladbach an-zuheuern, das acht Jahre auch die Wirkungsstätte ihres Vaters Graham Jackson war. Als Generalmusikdirektor genoss er hohes Ansehen im Orchester und beim Publikum, bis er 2012 mit nur 45 Jahren an einem Krebsleiden verstarb. „Es ist schön, die Stadt, die ich als Kind erlebt habe, jetzt mit erwachsenen Augen wiederzusehen“, freut sich Helena Jackson, die bis zu  ihrem 13. Lebensjahr die Bischöfliche Marienschule Mönchengladbach besucht hat. Schon als Kind begeisterte sie sich fürs Theater. Sie erinnert sich: „Ich habe mir am liebsten DVDs mit Bonusmaterial von Fantasyfilmen angeschaut, in denen das Design und die Entwicklung der Requisiten erklärt wurden. Ich bin sie gefühlte tausendmal durchgegangen. Außerdem habe ich meine Geschwister gezwungen, Stücke mit mir aufzuführen und war in der Schule immer dabei, wenn Theater gespielt wurde.“ Doch dann passierte etwas, das sie zum Umdenken bewegte.

In ihrem sympathisch-ansteckenden britischen Akzent erzählt Helena Jackson: „Ich war Kinderstatistin im ,Tod in Venedig‘, und bis zu diesem Zeitpunkt dachte ich, dass ich später mal Schauspielerin werden wollte. Aber bei den Proben habe ich gemerkt, dass man auf der Bühne ganz lange auf seinen Einsatz warten muss, und das fand ich langweilig. Währenddessen habe ich einen Mann beobachtet, der hinter einem Pult saß und allen gesagt hat, was sie zu tun haben. Das war für mich viel spannender, und ich beschloss, Regisseurin zu werden.“ Dabei hätte Helena Jackson auch Geigerin werden können. „Bis zu meinem 16. Lebensjahr habe ich ziemlich gut gespielt, aber irgendwann muss man sich entscheiden, ob man sechs Stunden pro Tag für eine Profikarriere üben möchte oder halt nicht. Da ich nach der Schule aber oft schon mehrere Stunden im Theater verbracht habe, fehlte mir die Zeit zum Geige üben“, erzählt sie. Vielleicht war es auch irgendwie wieder dieses Gefühl von Langeweile, das sie dabei überkommen hätte, wie ein paar Jahre zuvor als Kinderstatistin. Dass Helena Jackson ihre Ausbildung nicht in Deutschland, sondern in Großbritannien weiterverfolgte, ist für ihre heutige Arbeit ein großes Glück. Es war aber auch die Weitsicht einer erst 13-Jährigen, die für ihr großes Ziel sogar ihre geliebte Familie, die damals noch in Mönchengladbach lebte, zurückließ und ihrem ältesten Bruder in ein Internat nach Cambridge folgte. Auch ihre Eltern wussten: Ein Abschluss in Großbritannien würde es ihrer Tochter, die schon immer Literatur geliebt und ihr gesamtes Taschengeld für Bücher ausgegeben hatte, erleichtern, einen Studienplatz in englischer Literatur zu bekommen. Was dann auch genauso geschah.

Erste Erfolge in der Kulturhauptstadt London

Mit dem Ziel, Regisseurin zu werden, schrieb sich die zielstrebige und wissensdurstige junge Frau an der renommierten Universität von Oxford ein. Das brachte ihr schließlich einen international angesehenen Abschluss, aber auch bereits während des Studiums viele Möglichkeiten, sich weiterzuentwickeln. Helena Jackson arbeitete in verschiedenen Theatern in Oxford mit, darunter Unitheater und Profibühnen.

Drei Fragen an Helena Jackson

Helena Jackson zum Thema „Heimat“ und „Niederrhein.
Wir wünschen viel Vergnügen mit dem kleinen Video.

Befragt nach ihrem Fazit, sagt sie: „Vor allem habe ich Freunde gefunden, mit denen ich arbeiten konnte und wollte. Ein solches Netzwerk ist nach dem Abschluss superwichtig. Als Freiberufler braucht man diese Unterstützung, denn man kann ja keine Projekte allein durchziehen.“

„Ich finde es wichtig, dass Kunst demokratisch ist und nicht nur denen dient, die öfters ins Theater gehen.“

Aus Helena Jackson wurde zunächst eine freie Regisseurin, die sich im kulturell hippen London mit seinem Theater-Überangebot behauptete und in drei Jahren zu einer Persönlichkeit entwickelte, die man heutzutage nicht jeder 26-Jährigen attestieren kann. Besonders stolz ist sie auf ihre fast schon avantgardistische Inszenierung von „La Traviata“, woran sie sich gerne erinnert: „Weit vor Corona haben wir die Oper auf vier Sänger reduziert und in einer Kneipe gespielt. Fast zwei Drittel des Publikums hat dort zum ersten Mal eine Oper gesehen. Die Opernkritiker waren verunsichert, aber die Theaterkritiker haben es geliebt. Unsere Produktion hat sogar den 2. Preis bei den Off West End-Awards gewonnen.“ Damit spricht Helena Jackson einen wichtigen Punkt ihres Credos an. Sie möchte sich nicht auf ein Genre festlegen lassen: „Ich liebe vielmehr die Prozesse, bei denen auch die Ideen und Meinungen der Darsteller einfließen können. Ich mag es, wenn ein Stück mit Struktur explodiert. Deshalb neige ich zu modernen und postmodernen Inszenierungen, in denen die Geschichte nicht unbedingt chronologisch passiert.“ Aus ihrer Zeit als Jungregisseurin hat Helena Jackson noch mehr mitgenommen, was ihr auch in Zukunft den Blick aufs große Ganze ermöglicht, oder – wie sie es ganz praktisch ausdrückt: „Es war damals gut, an allen Facetten einer Produktion beteiligt zu sein wie Marketing, Casting, Produzieren und so weiter. Und man konnte aus den Zuschauerreaktionen lernen.“ So hat sie für sich das Bild eines Theaters von Morgen entworfen, das sie wie folgt umreißt: „Ich finde es sehr wichtig, dass Kunst demokratisch ist und nicht nur denen dient, die öfter ins Theater kommen. Wir müssen daran arbeiten, dass jeder an Kunst teilhaben kann und dass unsere Inszenierungen jeden erreichen.“

Und wenn die Story dann noch diesen gewissen „Sense of Humor“ hat, ist Helena Jackson happy. Den findet man auch in den beiden Produktionen des Gemeinschaftstheaters Krefeld/Mönchengladbach, an denen sie als Regisseurin beziehungsweise Regieassistentin beteiligt war. Sowohl im Musical „Let’s stop Brexit“ als auch in der Corona-Revue „Alle maskiert“ nimmt der Autor Ulrich Proschka aktuelle gesellschaftliche Probleme humorvoll in den Fokus. Wenn dieser Humor noch „very british“ sei, also richtig schwarz, erfülle er sogar einen guten Zweck, so die Theaterfrau: „Sarkasmus in Verbindung mit Humor ist ein guter Weg, in schwierigen Situationen das große Ganze zu erkennen.

Helena Jackson auf Schloss Rheydt | Foto: Michael Ricks
Helena Jackson auf Schloss Rheydt | Foto: Michael Ricks
Helena Jackson auf Schloss Rheydt | Foto: Michael Ricks

„Schloss Rheydt ist ein glücklicher Ort für mich“

Helena Jackson scheint es auch privat zu gelingen, das große Ganze zu erkennen und dabei immer wieder ihre innere Mitte zu finden. Optimismus und Entschlossenheit helfen ihr dabei. „Manchmal neige ich allerdings zu Sturheit“, gibt sie zu. Ausgleich zum Theaterjob, der oft bis in die Nacht hinein geht, sucht sie beim Lesen und immer wieder in der Natur, beim Wandern oder Joggen. Helena Jackson wohnt in der Nähe des Rheydter Bühnenhauses. Von dort joggt sie regelmäßig an der Niers entlang zum Schloss Rheydt. „Es ist ein schöner, glücklicher Ort, einfach beruhigend. Hier kann ich die Zeit und den Stress vergessen und das Tageslicht genießen, das mir bei meiner Arbeit fehlt“, schwärmt sie und fügt hinzu: „Außerdem schaue ich gerne zu, wenn Schulklassen dort den vielen Pfauen hinterherlaufen.“

Bei solchen Auszeiten zwischen knorrigen Bäumen, die sich unter graublauen Wolken wiegen und an flachen Wasserläufen wurzeln, fühlt sich die Britin wieder fast wie in einer Szene aus „Herr der Ringe“ und denkt dabei an ihre Heimat, wo es an vielen Stellen ähnlich aussieht. Im Moment ist Helena Jackson am Niederrhein zuhause – dort, wo vor genau hundert Jahren die Theater Krefeld und Mönchengladbach fusionierten. „Heimat“ aber sei mehr, sagt sie: „Heimat ist kein bestimmter Ort, sondern da, wo meine Familie ist und wo ich Theater machen kann.“

Ihre Familie hat sie wegen der Corona-Pandemie kaum sehen können. Daher freut sich die Britin sehr, wenn sie wieder ihre Mutter, ihre Schwester und ihren Bruder in Cambridge sowie ihren anderen Bruder in London besuchen kann. Bristol, Bremen, Mönchengladbach, Cambridge, Oxford, London, Krefeld – Orte, die zum Leben von Helena Jackson gehören wie ihre unbändige Kaffeelust. Ihre Zukunft stellt sie sich zwischen England und Deutschland vor. Ihr Traum wäre eine eigene Inszenierung von Benjamin Britten’s Oper „Ein Sommernachtsraum“ nach dem Drama von William Shakespeare. „Ich liebe Shakespeare und Britten. Und ich liebe das Libretto“, schwärmt die taffe Theaterfrau und fügt hinzu: „Das wäre wirklich ein Traum“. Angesichts der unbändigen Energie und Kreativität von Helena Jackson wird das sicherlich kein Traum bleiben.

Text: Petra Verhasselt | Bilder: Michael Ricks | NiederRhein Edition, Ausgabe 01/2021

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