Jörg Schieb: Ein Tausendsassa in Sachen Digitalisierung

Permanente Neugier und der Wunsch, zu verstehen.

Er hat mehrmals Bill Gates interviewt, wurde allerdings nie so recht warm mit ihm. Er beantwortet Fragen rund um Fake News, Alexa und den Datenschutz bei Facebook & Co. Er schreibt für sämtliche Computerfachzeitschriften, aber auch für Spiegel, Stern und Handelsblatt. Die Stiftung Warentest greift auf sein Wissen zurück, und man kennt ihn nicht zuletzt als ARD-Digitalexperten, der seit 1995 jede Woche die WDR-Servicesendung „Angeklickt“ in der Aktuellen Stunde moderiert.

Jörg Schieb (56) ist in den Mönchengladbacher Stadtteilen Rheydt und Neuwerk aufgewachsen und hat sein Zuhause seit 25 Jahren in Meerbusch. Was den Menschen und Privatmann umtreibt, hat er uns erzählt.

Die erste Internetseite, die Jörg Schieb angeklickt hat, war in den 1980er Jahren die der „Library of Congress“ in Washington D.C., weil damals nur Universitäten und Institutionen im Netz vertreten waren. „Ich musste aufwändige ,Tricks‘ anwenden, um da als Privatmensch vor der offiziellen Öffnung des Internets rein zu kommen“, verrät er und erzählt, dass ihm das durch eine Mailbox in San Francisco gelungen sei, für die er als Journalist einen Zugang bekommen hatte. „Dafür musste ich mit Hilfe eines Akustikkopplers in San Francisco anrufen, der die Daten über meine analoge Telefonleitung übertrug. Meine Telefonrechnung lag Monate lang bei rund 1.000 Mark.“
Das war die Zeit, als Jörg Schieb seine Ausbildung zum kaufmännischen Programmierer bei Data Becker in Düsseldorf begonnen hatte und nicht ahnen konnte, dass er keine zehn Jahre später eine eigene Rubrik im WDR-Fernsehen bekommen würde. Oder vielleicht doch?

Immerhin hatte sich der Rheydter bewusst für das Neusprachliche Gymnasium in Mönchengladbach (NGM), eine der wenigen Ganztagsschulen in Nordrhein-Westfalen, entschieden, „weil die eine Computer-AG hatten und ich dort meine Begeisterung für Digitales entwickeln konnte“, resümiert Jörg Schieb. In dieser Zeit habe er viel gelernt, und so verwundert es auch nicht, dass der Gymnasiast mit den Leistungskursen Mathe und Physik und einem großen Faible für die französische Sprache Informatik studieren wollte. Allerdings nicht, ohne vorher praktische Erfahrungen gesammelt zu haben. Ein weiser und vor allem richtungsweisender Entschluss!

Nach ersten Artikeln in der Hauszeitschrift von Data Becker – übrigens nicht nur ein Unternehmen für Software und Computerzubehör, sondern auch einer der ersten deutschen IT-Fachverlage – schrieb der 20-Jährige bald schon Fachbeiträge für Computerzeitschriften wie die CHIP und später populärwissenschaftliche Kolumnen und Artikel für Spiegel, Stern, FAZ und das Handelsblatt. Was den pfiffigen Niederrheiner schon damals neben seinem Fachverstand rund ums Programmieren und die verschiedensten Lösungen für  Anwendungssoftware auszeichnete, war sein Talent, komplizierte Computer-themen allgemeinverständlich zu formulieren. Da war das erste eigene Buch nur eine Frage der Zeit, wobei sich die Schieb‘sche Zeitrechnung nicht in Monaten, sondern eher in 5G-Geschwindigkeit messen lässt…

»Frank Plasberg entdeckte mich fürs Fernsehen«

„Mein erstes Fachbuch handelte vom Floppylaufwerk des Schneider-CPC“, schmunzelt Jörg Schieb heute, wohlwissend, dass der Titel damals sehr begehrt war. Er ergänzt: „Dabei habe ich gemerkt, wieviel Spaß es machen kann, in ein Thema tief einzusteigen und andere daran teilhaben zu lassen.“ Bis heute hat der Digitalexperte über 140 Bücher veröffentlicht, zum Teil allein, zum Teil mit angesehenen Co-Autoren. 3,3 Millionen weltweit verkaufte Exemplare in Englisch, Französisch, Russisch, Holländisch, Dänisch, Japanisch und Chinesisch sind die stolze Bilanz. Aber erst durch das Radio und das Fernsehen wurde der damals hauptsächlich in Fachkreisen bekannte Bestsellerautor dann auch für uns „Otto Normalverbraucher“ interessant. Er erinnert sich: „Ich wurde als regionaler ,Promi‘ zu einem Radiointerview eingeladen. Die Redakteure waren wohl recht angetan von der Leichtigkeit, mit der ich erklärte und engagierten mich danach häufiger.“ Von allen Jobs habe Jörg Schieb viel mitgenommen, wie er zugibt: „Bei der FAZ habe ich die Liebe zur Sprache entdeckt, beim Spiegel den Magazin-Stil und die Detailtreue, beim Stern, auch in Bildern zu denken.“

»Weil heute jeder jeden Unsinn verbreiten kann, haben es seriöse Quellen und Nachrichten immer schwerer. Das ist ungeheuer gefährlich.«
[Jörg Schieb]

Heute ist er der „ARD Digitalexperte“ und in dieser Funktion regelmäßiger Gast in Tagesschau und Tagesthemen, aber auch auf COSMO Radio und Phoenix, wo er aktuelle Digitalthemen mit politischer oder gesellschaftlicher Bedeutung kritisch einordnet. Und da ein Digitalexperte natürlich auch selbst mit der Zeit geht, produziert und moderiert Jörg Schieb seit einem Jahr gemeinsam mit ARD-Morgenmagazin-Kollege Dennis Horn den Podcast „Cosmotech“ des Radiosenders COSMO rund um Veränderungen in der digitalen Welt.

„Ich beobachte mit Leidenschaft, wie sich das Internet verändert – und wie es uns verändert. Es ist schon erstaunlich, wie sehr sich die Medienlandschaft dadurch im Wandel befindet. Das ist wirklich spannend, und es wird noch eine Menge passieren“, erzählt er begeistert. Allerdings treiben ihn mit Blick auf die heutige digitalisierte Gesellschaft auch große Sorgen um: „Ich erlebe, wie sich IT-Konzerne über nationales Recht, Anstand, Moral und Ethik hinwegsetzen. Ich erlebe eine Politik, die extrem träge reagiert, niemals agiert und auch nicht gestaltet. Vor allem die sogenannten Sozialen Netzwerke tragen zur Verrohung und Spaltung der Gesellschaft bei. Sie sind eine Art Turbo-Gang, allerdings nicht die Ursache. Da heute jeder jeden Unsinn verbreiten kann, haben es seriöse Quellen und Nachrichten immer schwerer. Das ist ungeheuer gefährlich.“ Deshalb fordert der Digitalexperte mehr Kompetenz in Politik und Gesellschaft: „Es braucht nicht fünf Milliarden Euro für Tablets an Schulen. Es braucht Respekt vor Bildung. Das muss aber sichtbar werden: Wir brauchen moderne, gut ausgestatte Schulen und Unis mit kompetenten Menschen, die unterrichten statt zu verwalten. Es müssen auch Menschen in die Schulen kommen, die begeistern können: Autoren, Künstler, Wissenschaftler, Sportler, Journalisten, Handwerker... Die Lehrpläne müssen dringend modernisiert werden. Digitalisierung ist nämlich kein Allheilmittel.“

Aus seiner beruflichen und persönlichen moralischen Verantwortung heraus wurde aus dem reinen Erklärer digitaler Entwicklungen ein kritischer Gesellschaftsreporter und gefragter Vortragsredner. Dabei ist Jörg Schieb immer uneitel und vor allem nah dran an den Zuschauern. Mit diesem sympathisch unprätentiösen Auftreten hat er sich automatisch weiterempfohlen, zum Beispiel für die Stiftung Warentest, um nur einen von unzähligen weiteren Auftraggebern zu nennen, die sich regelmäßig seines Wissens bedienen. Ein neues Buch ist auch bald fertig. Dazu verrät der Bestsellerautor nur das: „Es wird ein Sachbuch mit Sprengkraft. Es geht um die ungeheure Macht des Internets.“

Fahrradfahren am Rhein

Als Tausendsassa, der seinen Beruf als sein Hobby bezeichnet, schafft sich Jörg Schieb dennoch immer wieder auch private Inseln: „Am besten entspannen kann ich in der Sauna, im Kino oder in der Natur. Ich interessiere mich fürs Fotografieren und Filmen, lese gerne und freue mich, wenn ich bald wieder mein Lieblingslokal Anthony‘s besuchen und meine Freunde nicht nur digital treffen kann.“

Die persönliche Fitness des 56-Jährigen kommt allerdings ein wenig zu kurz. Während Jörg Schieb als Kind im Rheydter Turnverein das Fechten gelernt hat und später auch als Trainer aktiv war, zieht er heute den Crosstrainer oder mal eine Fahrradrunde am Rhein vor.  Am Niederrhein, liebt er „die flache Landschaft, die hohen Bäume und die Alleen“ und an den Niederrheinern „ihre Gelassenheit und herzliche Neugierde, aber auch den ständigen Disput um Kölsch und Alt.“ Und wenn der Vater zweier Töchter (12, 15), der mit seiner Lebensgefährtin in Meerbusch lebt, etwas mehr Zeit hat, zieht es ihn nach Kaiserswerth oder Zons, in die Düsseldorfer Altstadt oder – verbunden mit Erinnerungen an schöne Kindheitssommer – in den Naturpark Schwalm-Nette.

Text: Petra Verhasselt | Foto: Michael Ricks | NiederRhein Edition, Ausgabe 01/2021

Anzeige

Regiopartner