Könnten Sie sich vorstellen, für einen Bausatz von Lego 3.500 Euro auszugeben? Das ist ein Preis, den das Original-Sammlerset des „Star Wars Millenium Falcon 10179“ durchaus erzielen kann. Bei amazon gab es Anfang des Jahres sogar ein „Angebot“ über 6.725 Euro. Dafür muss dieser Lego-Bausatz mit 5.197 Einzelteilen allerdings original verpackt sein. Die internationale Lego-Welt ist schon verrückt. Das hat auch Kristina Hahn aus Viersen gespürt und 2016 ein Geschäft daraus gemacht.
Das verlorengegangene Goldene „Lego-Dingsbums” mit Spitzen
Das Wohnhaus von Familie Hahn im Viersener Stadtteil Bockert ist ein Paradies für internationale Lego-Fans. In mehreren Kellerräumen lagern in tausenden säuberlich beschrifteten Schublädchen 3,5 Millionen Legosteine in allen erdenklichen Farben und Formen sowie 10.000 Zubehörteile wie Köpfe, Frisuren und Oberkörper und Alltagszubehör im Miniaturformat wie Lebensmittel, Werkzeuge, Blumen und Tiere. „Absoluter Knaller ist der Luftballon-Pudel“, freut sich Kristina Hahn, die von morgens bis abends in ihrem Lager kleinste Teile für die vielen Online-Bestellungen aus aller Welt zusammensucht, in Tütchen packt, beschriftet und versendet. Wegen der großen Nachfrage hat die Lego-Liebhaberin, die eigentlich gelernte technische Zeichnerin ist, aus ihrem 2016 gestarteten Nebenerwerb nach ihrer Elternzeit einen Hauptjob gemacht.
Anfragen kommen hauptsächlich aus Europa, den USA und China. „Es gibt aber auch Bestellungen aus Ländern, über die ich mich freue, weil ich es so faszinierend finde, dass einer von so weit weg bei mir in Viersen bestellt“, erzählt Kristina Hahn und nennt als Beispiele Neuseeland, Puerto Rico und Kenia. Die Gründerin des Onlineshops „BricksCreations“ hat eine Kundenstruktur, die so bunt und vielfältig ist wie die Legosteine selbst. Sie beschreibt sie so: „Es ist der Professor einer Technischen Universität, der Straßenbauarbeiter, der bei mir vor Ort seine Bestellung abholt oder der Geschäftsmann aus den USA, der seine Ersatzteile im Rahmen einer Geschäftsreise in einem Münchener Hotel abholen möchte. Es ist der Großvater, der für seine Enkelkinder das Set aus seiner eigenen Kindheit vervollständigen möchte oder der Zehnjährige, der in seiner E-Mail erklärt, dass Mama bezahlt und er für sein Ninjago-Flugsegler-Schiff dringend das verlorengegangene ,goldene runde Dingsbums mit Spitzen‘ braucht.“
200 Euro für einen vier Zentimeter großen „Darth Vader“
Genau hier sind wir beim Geheimnis des Erfolges: Kristina Hahn verkauft weniger fertige Sets, sondern hauptsächlich Einzel- und Ersatzteile. Das erklärt auch ihren riesigen Fundus an Klemmbausteinen. So werden die Legosteine von Fachleuten genannt. Mit ihrem Shop bedient die quirlige Lego-Lady eine Marktlücke, weil Lego selbst nur noch komplette Baukastensysteme, aber eben keine Einzelteile, anbietet. Regelmäßig staunt sie über kuriose Anfragen wie diese: „Einmal bestellte eine Firma 1.200 verschiedene Bionicle- und Hero Factory-Elemente und fragte, ob man die jeweilige Teilenummer außen auf den Beutel schreiben könnte. Ich habe drei Tage dafür gebraucht! Die zweite Anfrage kam von einer Privatperson, die 24.000 ‚2x4‘ Steine in Rot bestellt hat. Mit Verpackung waren das 70 Kilo, die ich in drei großen Paketen verschicken musste.“ Übrigens, der „2x4“-Legostein ist der Klassiker mit den acht Augen. Der Basis-Baustein 3001 ist der am häufigsten gefragte und macht deshalb einen Großteil des Lagerbestandes aus. Außergewöhnlich sind dagegen Minifiguren aus der Star Wars-Reihe wie Boba Fett in Weiß, Ahsoka Tano und Darth Vader in Chrom-Schwarz – sehr klein, aber auch oft ziemlich teuer, weil selten. 200 Euro ist der nicht einmal vier Zentimeter große Darth Vader in dieser Sonderedition im unbenutzten Zustand wert. Wer solche Figuren bestellen möchte, muss die exakte Seriennummer kennen. Je komplizierter der Legostein, desto länger die Nummer. So kann schonmal ein Code wie dieser herauskommen: „Part Number 30603pb08 - Brick, Modified 2 x 2 No Studs, Sloped with 6 Side Pistons Raised and Freeze Blue, Silver, and Orange Pattern“. „Übersetzt“ sind das zwei quadratische weiße Steine mit abgeschrägten Kanten und einem aufgedruckten Motiv in Blau, Silber und Orange. Dieses Teil gehört zu einem relativ unbekannten Set der Xalax Reihe aus 2001: Ice Ramp Racers #4579. Jeden einzelnen neuen Stein muss Kristina Hahn sorgfältig in ihren Onlineshop einpflegen und per Hand in die passende Minischublade einsortieren. „Ich habe mein ganz spezielles Ordnungssystem und lasse mir deshalb auch nur ungerne helfen“, schmunzelt sie.
Die Hälfte des Wohnhauses besteht aus Lego
Damit die vielen Sammlerherzen auf der ganzen Welt befriedigt werden können, kauft die 47-Jährige großzügig auf Vorrat ein: „Lego beliefert mich nicht anders als jeden anderen. Weitere Quellen sind klassische Spielwarengeschäfte oder Privatpersonen, die ihre Sammlungen abgeben möchten“, erzählt sie. Trotz 3,5 Millionen einzelner Steine und 10.000 Figuren kann auch Kristina Hahn nicht alles anbieten, denn sie weiß: „Es gibt keinen Shop auf der Welt, der wirklich alles hat. Dafür ist das Sortiment aller jemals erschienenen Sets und Steine viel zu groß. Ich versuche aber, immer das auf Lager zu haben, was der AFOL, der Adult Fan of Lego, benötigt. Aber kaum hat man etwas hochgeladen, kauft jemand die komplette Menge auf, und ein bestimmter Stein in einer bestimmten Farbe fehlt damit schon wieder. Deshalb heißt meine Devise: Mut zur Lücke.“ Viele Lücken sind im Wohnhaus von Familie Hahn nicht auszumachen. Immerhin sind 50 Prozent mit Lego belegt, auch die Sauna… Auf der Wohnzimmercouch steckt der achtjährige Elias gerade seinen „Sturmtruppentransporter“ zusammen – alles übrigens ohne Anleitung, sondern nur nach einem Foto aus einem Lego-Buch aus der Bücherei. Und nebenan, am Küchentisch, zeigt uns die sechsjährige Miriam ihr Märchenschloss mit pinkfarbenen Türmen, großer Freitreppe und unterirdischen Seen. Eine Familie im Legofieber, dem man allerdings mit kühlem Kopf begegnet. So ist vor einiger Zeit ein 150 Quadratmeter großer Präsentations- und Lagerraum in einem anderen Haus in Viersen dazugekommen – natürlich alarmgesichert.
Tarzans Urwald und die Welt der Flintstones
Mit dem Eintreten tauchen wir ein in eine Traumwelt und kommen beim Durchschreiten der Räume aus dem Staunen nicht heraus: Aus Setzkästen begrüßen uns hunderte originelle Minifiguren, darunter bekannte Fußballnationalspieler oder die Freiheitsstatue. Auf dem Tisch überrascht ein Blumenstrauß, dessen Blüten erst auf den zweiten Blick als Legosteine zu erkennen sind, und an der Wand hängt das berühmte Star Wars-Raumschiff „Millenium Falcon 75192“ mit blinkenden LEDs. Ein Raum weiter, bis unter die Decke hunderte original verpackte Sets von „Herr der Ringe“ über „Harry Potter“ bis „Star Wars“. Kristina Hahn kauft viele Sets auf Gefühl ein: „Sobald ein neuer Film rauskommt, spüre auch ich den Hype um diese Bausätze. Darauf möchte ich vorbereitet sein.“ Am Fuß der Regale sind kleinere Sets aufgebaut, die in Tarzans Urwald, die Welt der Flintstones oder des kleinen Hobbit entführen. Die Augen der drahtigen Rothaarigen leuchten: „Ich liebe diese bunte Puppenhäuschen-Atmosphäre mit den kleinen Küchen, Bettchen und Utensilien.“
Im größten und letzten Raum erfahren wir von der begeisterten Legolady dann auch, wie es überhaupt zu ihrem Onlineshop gekommen ist. Während unsere Augen über ein christliches Wandmosaik, eine detailreich gestaltete kleine Stadt und eine riesige, noch unvollendete Piratenszenerie mit einigen Schiffs-Selbstbauten streifen, erzählt Kristina Hahn: „Auslöser war unser Weihnachtsgeschenke-Einkauf im Dezember 2013. Dabei fragte ich meinen Mann, was er sich eigentlich wünschte. Bei seiner beiläufigen Erwähnung, dass es mal etwas anderes sein sollte als eine Kettensäge oder eine Axt, standen wir gerade an einem Lego-Regal, und sein Blick fiel auf ein Set aus der Fantasyreihe ,Der Hobbit‘ mit dem Namen ,Eine unerwartete Zusammenkunft‘. Mein Mann war völlig fasziniert vom Detailreichtum der Minifiguren und sagte: ,Das wünsche ich mir!‘“
Beeindruckende Eigenkreationen
Am zweiten Weihnachtstag war es um Marc Hahn geschehen. Dem ersten Set folgten hunderte weitere Modelle rund um den Hobbit und „Herr der Ringe“. „Irgendwann wurde dann die Serie von Lego beendet. Viele Hauptschauplätze aus den Filmen wurden jedoch nicht als Sets realisiert, und so kam ich auf die Idee, zum Beispiel das Schwanenschiff selbst zu bauen“, erläutert Marc Hahn. Ab diesem Zeitpunkt war er allerdings auf Einzelteile angewiesen, die er im Netz bestellen musste. Diese Marktlücke erkannte auch seine Frau und baute während ihrer Elternzeit im Keller ein kleines Lego-Lager auf. Die Nachfrage stieg stetig, und die steigenden Einnahmen wurden für den Kauf neuer Teile genutzt. Sukzessive wuchs der Keller Raum für Raum zu einem stattlichen Lager an. In den folgenden Jahren baute Marc Hahn beeindruckende Eigenkreationen, die in der Fachwelt „My own creations“ (MOC) genannt werden. Dazu gehörten Selbstbauten von Mittelerde und dem schiefen Turm von Pisa, der „Palast der Züge“ aus „1001 Nacht“ oder Szenen aus Fantasy-Reihen wie „The walking Dead“, „Harry Potter“ und „Game of Thrones“. Das Modell vom Roten Bergfried aus dieser Serie war sein anspruchsvollstes Projekt. „Ich habe es mit Hilfe eines Modellbauers für Programmierung und Technik gebaut. Vier Computerbausteine und 16 Motoren haben das 70 Kilo schwere Modell in Bewegung gesetzt und ließen so das Intro der Serie Wirklichkeit werden. Ausgestellt wurde das Modell erstmals im Rahmen der ComicCon in Stuttgart. Außerdem konnten die Zuschauer des US-amerikanischen Fernsehsenders Discovery Channel ,Lego – The red keep in motion‘ miterleben“, freut sich Marc Hahn. Größtes Bauwerk war übrigens „Die Kathedrale am Meer“ mit 800.000 Steinen auf einer Grundfläche von sechs mal zwei Metern und einer Höhe von einem Meter. Zwischen 2013 und 2018 holte der Hobby-Modellbauer aus Viersen jede Menge Preise auf der Plattform www.1000steine.de, der größten Online-Lego-Community. Auch auf Spielemessen in Deutschland, Frankreich und der Schweiz begeisterte er mit Können und Kreativität. Dann die Krönung im wahrsten Sinne des Wortes: 2018 gewann Marc Hahn zusammen mit seinem Spielpartner Christoph Helfenbein die ersten RTL „Lego Masters“. Der gelbe Pokal – natürlich aus Lego – steht in einer eigenen Vitrine im Showroom des Legomasters.
Aktuell verfolgt Marc Hahn aus gesundheitlichen Gründen zwar kein Projekt, erlebt aber beim Run auf den Onlineshop seiner Frau täglich zuhause mit, dass der weltweite Hype um die bunten Plastiksteine ungebrochen ist. Niemals hätte er gedacht, dass sein damaliges Weihnachtsgeschenk „Eine unerwartete Zusammenkunft“ der Familie eine nicht zu erwartende berufliche Zukunft mit „BricksCreations“ bescheren könnte.
Text: Petra Verhasselt | Bilder: Michael Ricks | NIederRhein Editio, Ausgabe 01/2021