Eine Kindheit zwischen Marienkirche und Förderturm

Sie ist Ehefrau, dreifache Mutter, Hausfrau aus Überzeugung, Hauswirtschaftsmeisterin, Verbraucherjournalistin, Moderatorin vom „WDR Haushaltscheck” und gebürtige Kamp-Lintforterin: Yvonne Willicks.

Sie hat uns eingeladen, die Wurzeln ihrer Kindheit und Jugend rund um die traditionsreiche Altsiedlung mit den Fensterläden aus Holz und den roten Spitzdächern zu besuchen. Wir erfahren von der alten Zechenbrücke, ersten Integrationserfahrungen in der Ebertschule, ihrem Engagement in der Gemeinde der mittlerweile profanierten Marienkirche und ihrer Hochzeitsfeier auf Kloster Kamp.

Text: Petra Verhasselt | Bilder: Tina Hirop | NiederRhein Edition, 02/2015

Man spürt es sofort: Yvonne Willicks ist gerne in ihrer alten Heimat, auch wenn Besuche aufgrund starker beruflicher Belastung und einer Wochenend-Familienbeziehung rar sind. Montags bis freitags lebt und arbeitet die WDR-Fernsehmoderatorin in Köln; am Wochenende fährt sie zu ihrer Familie nach Hamburg. Seit über 20 Jahren lebt Yvonne Willicks mit Ehemann Markus, Sohn Jan-Niklas und den beiden Töchtern Anne-Lena und Leonie in Süderelbe bei Harburg, einer ländlichen Gegend, knapp 25 Autominuten von Hamburg entfernt. „Markus, mein Verlobter aus Kamp-Lintfort, bekam damals in Hamburg eine Stelle als Maschinenbau-Ingenieur.“

Während sie darüber spricht, kommt Yvonne Willicks eine schöne Erinnerung an ihre Kennenlernzeit: die Zechenbrücke. „Die verband die sogenannte Altsiedlung, aus der ich stamme, mit dem Gestfeld. Dort wohnte mein jetziger Mann. Und immer, wenn ich ihn besuchte, ging ich mit klopfendem Herzen voller Vorfreude über die Zechenbrücke. Leider wurde sie mittlerweile abgerissen.“

Ihre Brücken zum Niederrhein hat Yvonne Willicks nie abgebrochen. Alle zwei bis drei Monate kommt sie zu Familienfeiern, Treffen mit alten Schulfreundinnen und. manchmal auch, um dienstliche Aufgaben wahrzunehmen wie die Moderation des 50jährigen Jubiläums ihres alten „Gymi“, dem heutigen Georg Forster-Gymnasium. Dabei hat Yvonne Willicks auch einige ihrer früheren Lehrer getroffen, die sich erstaunt über ihre Entwicklung äußerten, weil sie ihre ehemalige Schülerin so eloquent nicht kannten. Es fielen Sätze wie: „Meine Güte, Yvonne, Sie sind uns im Unterricht gar nicht aufgefallen.“ Diesen Monat steht 25jähriges Abiturtreffen an. „Darauf freue ich mich schon sehr“, erzählt Yvonne Willicks. Im Dezember ist sie wieder in Kamp-Lintfort: beim traditionellen   Barbaramarkt im Andenken an die Schutzpatronin der Bergleute auf dem Platz vor der mittlerweile profanierten und zu einer Kindertagesstätte umgebauten Marienkirche: „Hier treffe ich viele Freunde aus meiner Jugend,  die zwischenzeitlich auch weggezogen sind und zu diesem Termin alle wiederkommen. Dann lassen wir bei einem Glühwein die alten Zeiten aufleben.“

 

Ja, die „alten“ Zeiten – die hat Yvonne Willicks in der Altsiedlung verbracht – einer der größten Bergarbeitersiedlungen des Rheinisch-Westfälischen Industriegebietes. „Wir waren ganz viel draußen. Neben meinem Kindergarten an der Franzstraße war das DLRG-Schwimmbad. Da habe ich in eiskaltem Wasser mit fünf Jahren mein Freischwimmerabzeichen gemacht und später das Deutsche Jugendschwimmabzeichen in Bronze, Silber und Gold. Und im Sportverein ‚Allemania Kamp‘ war ich Leichtathletin und wurde sogar Stadtmeisterin im Schlagball – es gab allerdings auch nur zwei Mitbewerber.“

»Ich mag die Altsiedlung sehr, die an vielen Stellen liebevoll saniert worden ist. Genau hier, zwischen Kirchturm und Zechenturm, bin ich großgeworden.«

Später zog die Familie von der Augustraße ins Don Bosco-Haus in der Altsiedlung. In der ehemaligen Wohnstätte für angehende Bergleute und späteren Altenwohnanlage hatten die Eltern Mitte der achtziger Jahre die Hausmeisterwohnung bezogen. Mutter Dagmar Korosec wohnt heute noch in dem Haus. Sichtbare Zeugen einer glücklichen Kindheit im Schatten der Marienkirche sind der kleine Kinderzimmerbalkon und der große Nussbaum mit dem gewaltigen Blätterdach. „Damals haben meine Schwester Katja und ich unser Pony hier auf der Wiese an einem schweren Stein angeleint. Wir hatten nämlich keine Weide“, erinnert sich Yvonne Willicks und ergänzt: „Die Senioren haben aus den Fenstern Brot auf die Wiese geworfen, und der Pastor, der Hausherr über das Gelände, das Gebäude und die angrenzende Marienkirche war, ließ uns machen.“

Marienkirche ist schon das nächste Stichwort. Rund um den Glockenturm, der jede Viertelstunde die Zeit schlug und ihr bis heute in angenehmer Erinnerung blieb, erlebte Yvonne Willicks zusammen mit ihrer Schwester ein intensives kirchliches und gemeinschaftliches Miteinander als Kommunionkind, Messdienerin, Sängerin im Jugendchor, Gruppenkind, Gruppenleiterin in der Kinder- und Jugendarbeit, Betreuerin im Ferienlager der Gemeinde und als Lektorin in der Sonntagsmesse. Ihren Mann Markus hat sie natürlich auch hier geheiratet.

„Ich werde niemals vergessen, wo ich herkomme."

Aber wir drehen die Zeit noch einmal zurück und fahren zur Ebertschule, der Grundschule von Yvonne Willicks. Als Sechsjährige hat sie hier an der Auguststraße mitten in der Bergarbeiterkolonie nicht nur Rechnen und Schreiben gelernt, sondern auch Integration. „Meine Mitschüler waren Türken, Jugoslawen, Italiener, Spanier. Viele lebten in einer Notunterkunft am Vinnmannsweg und waren sehr arm. Trotz Sprachbarrieren haben wir wie selbstverständlich miteinander gespielt  –  und gestritten. Berührungsängste kannten wir nicht. Heute weiß ich, dass es wichtig war, unterschiedliche Schichten kennengelernt zu haben. Das ist ein Pfund, das mir bei meiner Fernseharbeit hilft. Ich interviewe den Müllfahrer und den Bundesminister, und alle sollen sich verstanden fühlen“, erzählt Yvonne Willicks, und ihre großen braunen Augen leuchten vor Dankbarkeit für diese Erfahrung. Dann schiebt sie hinterher: „Meine erste große Liebe hieß übrigens Manolito Exposito“. Auf dem Schulhof zeigt Yvonne Willicks auf verwitterte ehemals dunklere Pflastersteine in U-Form: „Hier haben wir uns nach der Pause in Zweier-Reihen aufgestellt, und dort drüben haben wir immer Plumpssack gespielt“.

Hochzeit in Kamp-Lintfort: Yvonne Willicks und ihr Markus. Foto: Yvonne Willicks privat
Yvonne Willicks im Terrassengarten von Kloster Kamp. Foto: Tina Hirop
Mit Yvonne Willicks auf Spurensuche durch die Altsiedlung in Kamp-Lintfort. Foto: Tina Hirop

Jetzt geht es zum Kloster Kamp mit seiner wunderschönen Grünanlage. Dort haben Yvonne Korosec und Markus Willicks an einem heißen Sommertag im Jahr 1992 ihre Hochzeit gefeiert. Auch die Hochzeitsfotos sind hier entstanden. „Heute sieht der Terrassengarten sogar noch ein bisschen schöner aus“, meint Yvonne Willicks und erinnert an ein geflügeltes Wort, das seinen Ursprung genau hier hat: „Wenn man mal Mist gebaut hatte, sagten die Eltern: ‚Pass mal auf, Du kriegst gleich den Segen von Kloster Kamp‘“. Ursprünglich bezeichnet dieses Sprichwort das Donnerwetter, das über die Pächter hereinbrach, wenn sie den Pachtzins schuldig blieben. So berichtet Mathias Dicks in „Die Abtei Camp am Niederrhein“, das Ende des 13. Jahrhunderts Papst Nikolaus IV. auf Bitten von Abt Giselbert anordnete, die säumigen Zahler notfalls durch kirchliche Strafen zur Zahlung zu zwingen.

Während wir über den Segen von Kloster Kamp philosophieren, sehen wir im Augenwinkel, wie eine Besuchergruppe Yvonne Willicks mustert. Eine Dame fragt: „Sind Sie es?“ Und eine andere bedankt sich „für die tollen Tipps zum Einkaufen“. Leider hat die beliebte Moderatorin keine Autogrammkarten dabei, lässt sich aber gerne mit der Reisegruppe aus Köln-Wesseling fotografieren. Ihre offene Art kommt an. So sind sie eben, die Niederrheiner, die zwischen Kirchturm und Förderturm groß geworden sind.

„Ich werde niemals vergessen, wo ich herkomme. Das ist der Schatz meiner Jugend, aus dem ich bis heute schöpfen kann“, unterstreicht Yvonne Willicks und betont einmal mehr ihre Verbundenheit zur Stadt und der Bergbauregion: „Es ist dieses Kumpelige, dass die Menschen hier auszeichnet. Man kann sich aufeinander verlassen. Gerade das war ja unter Tage eminent wichtig – und das ist auch eine meiner Grundeigenschaften: Mein Wort gilt und wird nicht gebrochen.“

»Der Umzug vom Niederrhein nach Hamburg war der größte Umbruch in meinem Leben – inklusive zehn Jahre schlimmes Heimweh.«

Ein bisschen Wehmut schwingt bei diesen Worten mit. Und auch einen Hauch von Heimweh spüren wir in diesem Moment bei der Frau, die vor über 20 Jahren ihre Heimat gen Norden verließ. Yvonne Willicks vermisst bei den Hamburgern „am meisten die Fähigkeit, Smalltalk zu halten, ohne dass man gleich für ein ganzes Leben befreundet sein muss. Die Menschen dort sind ganz, ganz anders. Vier Jahre lang bin ich regelmäßig in denselben Supermarkt gegangen, und die Leute kannten mich trotzdem nicht. Die Folge war mindestens zehn Jahre lang schlimmes Heimweh. Der Umzug vom Niederrhein nach Hamburg war definitiv der größte Umbruch meines Lebens.“

Wenn Yvonne Willicks nach Kamp-Lintfort kommt, denkt sie an das Bodenständige des Ruhrgebiets und die von Hanns Dieter Hüsch so oft propagierte leichte Schwermütigkeit der Niederrheiner, allerdings verbunden mit einem ungebrochenen Optimismus: „Der Niederrheiner weiß zu allem wat zu sagen. So isset ja bei mir auch“, schmunzelt sie im leichten Slang ihrer Heimat. In Kamp-Lintfort hat Yvonne Willicks beide Mentalitäten verinnerlicht, denn die Stadt liegt genau zwischen dem Niederrhein und dem Ruhrpott.

»Meine Lieblingsgerichte waren ‚Bohnen untereinander‘ und ‚Hühnerfrikassee mit Reis‘.«

Vom Kloster Kamp geht es jetzt zum Marktplatz – möglicherweise war der Wochenmarkt sogar die Quelle ihrer Begeisterung für hauswirtschaftliche Themen. Yvonne Willicks erinnert sich an den samstäglichen Gang „einmal übern Markt“, den Klatsch und Tratsch mit Marktleuten und anderen Bekannten und vor allem an den Anblick der frischen Lebensmittel, die sie schon in ihrer Kindheit fasziniert haben: „Meine Mutter hat zuhause immer frisch gekocht  –  mittags für uns Kinder und abends nochmal für unseren Vater, der von der Zeche kam. Meine Lieblingsgerichte waren Bohnen untereinander und Hühnerfrikassee mit Reis. Spargel kannten wir damals nicht.“ Das Lieblingsgericht ihrer eigenen Kinder ist übrigens „Ching mit Chung“. Was Chinesisch klingt, ist ein klassisches „Reste-Essen“. Yvonne Willicks erklärt: „Dafür hole ich alles aus dem Kühlschrank heraus, was übrig ist und kreiere daraus ein individuelles Gericht. Das ist einmalig und nicht wiederholbar.“

»Es gibt keine Hausarbeit, die ich nicht gern mache. Voraussetzung ist allerdings gutes Handwerkszeug.«

Man spürt, hier steht eine Haushaltsexpertin vor uns, die immer eine Idee hat und begeisterungsfähig ist für jede Art von Hausarbeit. Stimmt das wirklich? „Ich fand Putzen immer gut, denn man hat einen Effekt. Eigentlich gibt es nichts, was ich nicht gerne mache, denn ich weiß bei allen Arbeiten, wie ich sie schnell und effektiv erledigen kann. Vor allem habe ich das richtige Handwerkszeug: ein vernünftiges Bügeleisen und ein zweckmäßiges Wischsystem. Und Aufräumen liebe ich! Das gelingt übrigens am allerbesten, wenn ich wütend bin, was meine Familie auch extrem ausnutzt und mich manchmal so lange trietzt, bis der Keller aufgeräumt ist. Eine zeitlang habe ich allerdings nicht gerne die Spülmaschine ausgeräumt. Doch dann habe ich mal die Zeit gemessen, die ich dafür benötige: zweieinhalb Minuten! Da hat das Gestöhne darüber, dass ich das machen muss, mehr Zeit gekostet.“ Einen Tick hat Yvonne Willicks auch noch. Sie sortiert alles nach Farben: Bücher, Apps, Kleidung. Dazu sagte sie: „Dann weiß ich auch, dass ich keine schwarze Hose mehr brauche, weil schon zehn im Schrank hängen. Ich brauche diese optische Grundordnung, denn ich bin eigentlich ein ,durcheinanderer‘ Typ. Als Kind war ich oft ungeduldig und hab überall dran rumgefummelt.“

Und wie hat der „WDR Haushaltscheck“ die eigene Hausarbeit verändert?

„Indem ich auf Nachhaltigkeit achte. Im Haushaltscheck haben wir ja Themen wie Schadstoffe, vernünftiges Einkaufen, fairen Handel. Das habe ich mir auch zu eigen gemacht. Und so kam es, dass ich bei einem meiner letzten Termine etwas pampig wurde und gefragt habe, warum es den Kaffee aus Plastikbechern gab. Das ist ja überhaupt nicht mehr zeitgemäß“, ergänzt Yvonne Willicks.

Zum Schluss hat Yvonnne Willicks noch diesen Tipp: „Viele Leute haben Probleme mit müffelnder Wäsche. Das liegt daran, dass nur mit Flüssigwaschmittel und bei niedriger Temperatur gewaschen wird. Ich rate: Waschmittelschublade saubermachen und einmal mit einem Vollwaschmittel bei 60 Grad waschen. Dann ist das Problem gelöst.“

Liebe Yvonne Willicks, wir danken Ihnen, für diesen Tipp und einen unterhaltsamen Rundgang zu den Wurzeln Ihrer Kindheit!

Auf Wikipedia wird Yvonne Willicks unter der Rubrik „Söhne und Töchter der Stadt“ geführt. „Das wusste ich bisher gar nicht“, sagt sie verwundert und schiebt hinterher: „Ich google meinen Namen nicht jede Woche.“ Was sie aus Wikipedia auch jetzt erst erfahren hat, ist, dass sie dort zusammen mit Steffen Brückner, dem Gitarristen des deutschen Folk-Duos „Mrs. Greenbird“ (Siegerband „X-Faktor“ 2012) und RAF-Terroristin Brigitte Asdonk genannt wird. Diese war an der gewaltsamen Befreiung von Andreas Baader 1970 aus der Haft in Berlin beteiligt. „Mein Mutter hat uns damals von der Terroristin nichts erzählt, um uns nicht zu beunruhigen. Aber ich erinnere mich noch gut an die Fahndungsplakate, die überall hingen: in der Post, im Schwimmbad. Da hatte ich schon Angst“, erzählt Yvonne Willicks.

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