Es gibt wohl keinen, der, wenn er an ein Wolfsrudel denkt, nicht die Vorstellung von einem Alpha-Tier hat. Automatisch assoziieren wir Führungshierarchien im Tierreich, die wir nahtlos in unsere Berufswelt übernommen haben. „Dabei ist das gar nicht so“, meint der Verhaltenstherapeut für Hunde, Jos de Bruin, der jetzt als Wolfsbotschafter weltweit agiert. „Die Wölfe wollen lieber paarweise zusammen leben, nicht im Rudel“, erklärt er, „Sie denken in dem klassischen Familiensinn wie wir Menschen. In der freien Wildbahn haben sie Quadratkilometer große Reviere und da leben sie unter sich in einer Familie, die die jungen Wölfe nach zwei Jahren verlassen. Und irgendwo daneben befindet sich das Gebiet der anderen Wolfsfamilie, ohne dass sie in einer Konkurrenzsituation zueinander stehen." Nur in Zoos würden Wölfe zu einem Rudel zusammengepfercht. „In der freien Natur entspricht das nicht wirklich der Realität und natürlich kommt es so in den Tierparks öfters auch zu konkurrierendem Verhalten bis hin zu Aggressivität“, so der 51-jährige.
Jos de Bruin: Botschafter für Wölfe
Vor zwanzig Jahren als Jos de Bruin noch in den Niederlanden lebte, brachte er einen vereinsamten Wolf mit nach Hause. Das führte nicht nur zur Trennung von seiner damaligen Frau. Er wurde obdachlos und zog fortan mit seinem Gefährten durch die Lande. Das ging so lange gut, bis der Wolf ein Schaf riss – woraufhin das Wildtier eingeschläfert werden musste. Jos de Bruin machte alsbald eine Ausbildung zum Verhaltenstherapeut für Hunde. Dann begegnete der Tierliebhaber seiner heutigen Frau. Auch sie besaß Wolfshunde. Gemeinsam beschlossen sie am Niederrhein, in der Nähe von Sonsbeck, ein großes Grundstück zu kaufen und dort in Not geratene Wölfe, Wolfshunde und Hybriden kurzfristig aufzunehmen und aufzupäppeln, um sie an Wildgehege und Tierparks weiterzuvermitteln. Zwei Wölfe brachte das Paar aus den Niederlanden mit. Auch da gab es zuerst Probleme mit umliegenden Nachbarn, schließlich hatten anrainende Bauern Angst um ihre Kinder und Pferde. „Sie hatten Sorge wegen des vermeintlichen Wolfsgeheuls am Abend, was es aber nicht gibt“, erinnert sich Jos de Bruin.
Wölfe, Wolfshunde, Hybriden und ein alter Dingo
Auf einer Fläche von 3.500 Quadratmetern leben momentan neun Wölfe, Wolfshunde und Hybriden, sowie ein alter Dingo, friedlich miteinander. Drei Meter hohe Metallzäune grenzen ihr Revier ein. Die Tiere leben paarweise in unterteilten Gehegen. „Immer ein Weibchen und ein Männchen, das machen wir Menschen doch auch“, erklärt de Bruin gelassen.
Überhaupt pflegt er einen entspannten Umgang mit den Tieren. „Ja, sicherlich, gibt es Kabbeleien, das ist natürlich und bei uns Menschen nicht anders. Du musst dann nur ganz gelassen bleiben und kurz dazwischen gehen.“ Ihn mit seinen Tieren zu erleben ist faszinierend. Er ist Gleicher unter Gleichen, quasi ein Kumpel, so erscheint es, wenn er mit seinen Wolfshunden spielt und entspricht seiner Philosophie der Tiertherapie. Und es wirkt, als ob gelenkige Yogafiguren wie „einsamer“ oder „heulender Wolf“ dabei entstehen, wenn er geschmeidig mit ihnen kabbelt. Sofort sind sie bei ihm, wenn er sich auf den Boden setzt und umringen ihn. „Du kannst sie nie ganz domestizieren“, weiß de Bruin. Und wenn sie dann zusammen heulen, ist es etwas anderes, als wenn Hunde bellen – und auf dem sonst so lauschigen Sonsbecker Feld wird es um einige Dezibel lauter. Von Aggressivität der Tiere ist dabei allerdings nichts zu spüren: Wölfe, die heulen, beißen nicht.
Für die großen Wölfe ist das Haus Tabu
Während unseres Besuchs streichen sie durch die gemütliche Sitzecke, in der wir sitzen. Nur im Haus herrscht weitestgehend „Wolfsverbot“, außer für Welpen, wie dem Polarwolfwelpen Kimba. Der liegt grad im Halbschatten und will alles kurz anbeißen, was er als neu empfindet. „Das ist aber nicht gefährlich, für ihn ist das Spielen“, beruhigt de Bruin. Nur Habseligkeiten wie die Kamera, die sollten außerhalb seiner Reichweite liegen, rät der Experte. Geht man in das Gehege der Tiere, so merkt man, dass die Wolfshunde sehr scheu sind und sich sofort in den hinteren Bereich verziehen und dort ihre Kreise drehen – nur zu Jos de Bruin kommen sie sofort und wollen seine Aufmerksamkeit erzielen. Eine Wolfshundfähe trägt den Namen „Shy“ (engl. schüchtern), die aber irgendwann auch die Angst zu den Fremdlingen zu verlieren scheint.
100 Kilogramm Fleisch benötigt Jos de Bruin für die Tiere pro Woche. Die bekommt er teilweise von Schlachthöfen oder Jägern, wenn diese Wild erlegt haben. Das Netzwerk hat er sich aufgebaut, um Kosten zu sparen. Er ist dabei auf Spenden angewiesen und hat eine eigene Organisation gegründet: „Wolves Unlimited“ setzt sich für die unter Artenschutz stehenden Tiere ein. Sonntags gibt Jos de Bruin
Seminare über Wölfe im Wildgehege Granat bei Haltern am See. Dort besitzt er eine Freilauffläche, etwa 2.500 Quadratmeter groß, auf der sich zwei Europäische Wölfe von ihm befinden. Seit zehn Jahren bietet er die Seminare auch bei sich zu Hause im Kellerraum an und richtet sich mit seinem Informationsangebot über die Wildtiere auch speziell an Jäger.
De Bruin gilt als einer der führenden Wolfsexperten bundesweit, nicht nur weil er lange mit dem kürzlich verstorbenen „Wolfspapst“ Werner Freund befreundet war, der selber Bücher über Wölfe herausbrachte und ein Wildgehege mit über 20 Wölfen in Merzig im Saarland leitete. Jos de Bruin hat auch an wissenschaftlicher Forschung mitgearbeitet. Gerade wenn ein Wolf in der Nähe von Wohngebieten gesichtet wird oder Schafe reißt, wird er oft gefragt, um welche Art von Tier es sich handelt. Doch beim Fall „Kurti“, einem Wolf in Niedersachsen, der im April 2016 in der Nähe von Wohngebieten gesichtet wurde, war das leider nicht der Fall. Er wurde von Jägern erschossen. „Man hätte versuchen können, ihn zu vergrämen, also mit Gummigeschossen von den Menschen fern zu halten, statt ihn zu töten“, bedauert der Fachmann heute noch.
Momentan leben etwa 450 Wölfe in ganz Deutschland. Teilweise sind sie besendert, ihre Wege können also vom NABU nachvollzogen werden. „Das sind mehr als 40 Familien und das ist schon eine ordentliche Anzahl“, so de Bruin. „Der Wolf ist insofern wichtig für die Natur, als dass er vorrangig alte Tiere erlegt, die keinen Reproduktionswert mehr haben und vom Jäger nicht mehr bejagt werden.“ Und was ist mit Welpen? Ideal für eine Handaufzucht sei es, wenn er den jungen Wolf, der bis etwa neun Tage nach der Geburt blind ist, bis zur vierten Woche bekommt. „Danach wird es schwierig, dass er sich an einen gewöhnt“, rät er. Jos de Bruin vermittelt von ihm aufgepäppelte Wölfe an Zoos in Deutschland, Niederlande, Spanien, Kanada und Italien und steht mit den Betreibern im ständigen Kontakt.
Weitere Informationen über Jos de Bruin und seine Arbeit finden Sie auf www.wolf-auffang.de
Interessante Fakten & Geschichten zu den heimischen Wölfen finden Sie auch auf www.nabu.de.
Text + Bilder: Stephan Sadowski | NiederRhein Edition, Ausgabe 02/2016