Projekt Heldencamper: Reisefieber gegen Krebs

Mit ihrem sozialen Projekt Heldencamper ist Andrea Voß flott unterwegs. Die 40-Jährige schenkt Krebs-Patienten Urlaub. Als ehemals Betroffene tut sie dies aus Überzeugung und hat eine Welle der Hilfsbereitschaft ausgelöst.

Andrea Voß im Heldencamper-Kastenwagen vor dem Stahlwerk Becker in Willich, wo sich die Zentrale der Agentur befindet. Foto: Axel Küppers

»We are Heroes – Wir sind Helden«

 

Das ist das Lebensmotto von Andrea Voß. Die 40-Jährige aus Willich hat zweimal den Krebs besiegt. Sie weiß, was es bedeutet, in jungen Jahren todkrank und mittellos zu sein. Ein Tag an der See, ein kleiner Spaziergang in den Bergen, eine Nacht unter sternenklarem Himmel jenseits Großstadtmief und Lärm, Krafttanken vor der nächsten Chemo, ein Roadtrip für die geschundene Seele – das kann Wunder bewirken.

Aus dieser Motivation heraus hat die gebürtige Duisburgerin 2016 den Verein Wir können Helden sein! e.V. gegründet. „Wir verschenken Glücksmomente an junge Erwachsene, die gegen den Krebs kämpfen oder ihn vor kurzem besiegt haben“, beschreibt die gelernte Einzelhandels-Kauffrau, die heute als Synchronsprecherin arbeitet. Heldencamper ist mithin ein Reiseprojekt für junge Erwachsene mit und nach Krebs.

Ein Glücksmoment befindet sich bei Andrea Voß in Willich vor der Haustür. Auf dem großen Stellplatz des Stahlwerks Becker, das heute als Gründerzentrum genutzt wird, parkt ein Renault-Kastenwagen. In weniger als zwei Minuten und mit ein paar gezielten Handgriffen macht die 40-Jährige daraus ein Campingmobil, das allen Ansprüchen eines Camping-Urlaubs genügt. Mit funktionalen Gelegenheiten zum Schlafen und Kochen, genügend Stauraum für Gepäck und die Sieben-Sachen, Werkzeug, Besteck, Zubehör – sprich, alles was das Herz des Heldencampers begehrt.  Das ist mehr als eine Geschäftsidee. Dahinter steckt ein ganzes junges Leben voller Idealismus und ansteckender Lebensfreude. Andrea Voß, die sich als digital native in den sozialen Netzwerken auskennt und diese für ihr Projekt nutzt, hat seit Gründung des Vereins einen Riesenerfolg. Ihr Anliegen, Urlaube an Bedürftige zu verschenken oder für kleines Geld zu vermitteln, findet nicht nur Follower in der Camper-Community, sondern auch Spender und Sponsoren, die eher auf der Sonnenseite des Lebens zuhause sind. Die Fahrzeugflotte der Heldencamper ist mittlerweile auf ein halbes Dutzend Fahrzeuge gewachsen, die in Willich, im Münsterland und in Stuttgart startklar sind für Abenteuer-Urlauber. Es sind Campingmobile, Wohnwagen und Dachzeltautos.

Das ist mein Leben!

Vor einem Jahr hat Andrea Voß gespürt: Das ist mein Leben! Da stand die zierliche junge Frau auf der Festivalbühne am Nürnberger Brombachsee und erzählte mit ihrer sonoren Stimme von ihrer Initiative. 2.000 Menschen waren aus dem Häuschen, in drei Tagen floss ein fünfstelliger Euro-Betrag auf das Reisekonto der Heldencamper. „Davon konnten wir den Dachzeltwagen finanzieren, der hier in Willich angedockt ist“, berichtet Andrea Voß. Ein Fulltime-Job: Ihr Start-up läuft so gut, dass sie selbst noch nie in die Versuchung kommen konnte, sich selbst ein paar Tage Urlaub als Dachzelt-Nomadin zu gönnen. Im neu eingerichteten Büro im Stahlwerk Becker ist sie intensiv damit beschäftigt, erholsame Urlaube zu organisieren und die logistischen Voraussetzungen für die Trips zu schaffen. Mit ihrem Ehemann, der Fachinformatiker ist, wohnt sie gleich um die Ecke. „Wir fühlen uns in Willich wohl und möchten hier langfristig bleiben.“ Ansonsten tourt sie zu Reise- und Freizeitmessen wie die Bayerische Bus Manufaktur in München oder Festivals wie Parookaville in Weeze oder das Berlin Travel Festival, um ihre Botschaft ins Land zu tragen. Die Message lautet: „Mitfühlen, nicht mitleiden.“

Humor statt Melancholie

Wie wird ein Mensch so? Ihr Krebsschicksal, das sie nach sieben gesunden Jahren offenbar besiegt hat, ist das eine. Ihre Herkunft mit fünf Geschwistern im Duisburger Arbeiterbezirk Beeck mit Blick auf Hochöfen und Schlote. Mindestens einmal im Jahr packten sich die Eltern Rita und Klaus die Kinderschar untern Arm. „Im VW-Bus ging es von Meiderich nach Holland, ans Meer, das war herrlich“, erinnert sich Andrea Voß an ihre glückliche Kindheit im Pütt. Alles wurde geteilt, vom Fischbrötchen auf der Promenade in Zoutelande bis zum Schlafplatz im Bulli direkt am Deich. Zusammengeschweißt hat die Familie umso mehr, als Andrea und ihr Vater fast zeitgleich an Krebs erkrankten. Mit positiver Einstellung und Hartnäckigkeit haben beide die mörderischen Zellen aus ihrem Körper vertrieben. Die Überlebensstrategie bringt Andrea Voß mit drei Worten auf den Punkt: „Humor statt Melancholie.“ Nichts kann sie heute aus der Fassung bringen. „Ich bin gestern von einer Messe in Bayern zurück an den Niederrhein gefahren und habe zwei Stunden im Stau gestanden. Alle haben geflucht. Ich habe im Auto gesungen und gelacht.“

Ob Lagerfeuerromantik am Dachzeltauto, mit dem Camping- oder Wohnmobil auf  Almwiesen, im  Wald, auf Bauernhöfe,  in der Sonne oder am See oder Meer…– wo die Heldencamper Rast machen, lässt es sich aushalten. Erholung pur für Menschen, deren Gesundheit angeschlagen ist.

Heldencamper ist auch eine Austauschplattform

Über die Urlaube hinaus ist das Projekt Heldencamper eine Austausch-Plattform. Man spricht offen über Ängste und Trauer. Und über die Arbeit. „Versuchen Sie mal, nach einer Krebserkrankungen wieder in den Job einzusteigen“, macht Andrea Voß auf ein Problem aufmerksam, das sie selbst am eigenen Leib erfahren hat. Viele Unternehmer haben – ohne es zu formulieren – im Hinterkopf: Die könnte ja wieder krank werden. Andrea Voß weiß, dass der Krebs immer noch ein Tabuthema ist und als die Geißel unserer Zeit betrachtet wird. Und dass trotz guter Behandlungs- und Heilungschancen in der modernen Medizin in der Bevölkerung viele Vorurteile herrschen. Einige Betroffene, für die die Wiedereingliederung schwierig war, sind heute in ihrer eigenen Agentur Heldencamper beschäftigt, Andrea Voß ist also selbst Arbeitgeberin geworden.

Wie Don Quijote im Kampf gegen Windmühlenflügel kommt sich die 40-Jährige mitunter vor, wenn es um die Anerkennung des Vereins Heldencamper als gemeinnützig geht. Für Vater Staat ist das, was sie tut, zunächst ein Start-up, das über den gleichen Kamm geschoren werden soll wie vergleichbare Jungunternehmen mit kommerziellem Ansatz. „Man könnte meinen, ich würde hier ein Luxusproblem beackern“, sagt Andrea Voß. Aber auch im Ringen um die behördliche Akzeptanz kommt ihre Kämpfernatur zum Tragen. Ebenso in der medizinischen Landschaft gibt es nach Überzeugung von Andrea Voß Luft nach oben. „Es gibt gerade mal zwei Reha-Kliniken in Deutschland, die junge an Krebs erkrankte Patienten behandeln.“ Dabei, so weiß sie, ist die Krankheit nicht mit dem Alter verbunden. „Junge Menschen können genauso erkranken wie Ältere.“ Die Möglichkeiten für Therapien und Reha sind ebenso an einer Hand abzuzählen. Rund 15.000 neue Diagnosen treffen in jedem Jahr in Deutschland Menschen zwischen 15 und 39 Jahren. „Da klafft eine Lücke“, sagt Andrea Voß. Wobei, so betont, sie, die Chancen auf Heilung in den letzten Jahren stetig gestiegen sind. „Ich würde nach meiner Erfahrung niemanden davon abhalten wollen, sich auf eine Chemotherapie einzulassen.“

Das vierte Element, das Andrea Voß Bauchschmerzen bereitet und sie antreibt in ihrem Projekt: das Geldproblem. Medikamente, monatelange Klinikaufenthalte, Therapien und fehlende Gehaltsbezüge fressen schnell monetäre Reserven der Betroffenen auf. Die staatliche Unterstützung im Gesundheitssystem ist überschaubar. „Zu den unmittelbaren medizinischen Folgen einer Diagnose kommt bei jungen Menschen mit Krebs ein erhöhtes Armutsrisiko, das die schwierige Situation noch deutlich verschärft“, sagt der Krebsspezialist Mathias Freund von der Uni Rostock, Geschäftsführender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie und Vorsitzender der Deutschen Stiftung für Junge Erwachsene mit Krebs.

„Wer jung ist und an Krebs erkrankt, muss sein Leben komplett umstellen und neu regeln“, sagt Andrea Voß. Hier will sie Ratgeberin sein – und Glücksmomente vermitteln. Eine Heldin.

 

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www.projekt-heldencamper.de

 

Text: Axel Küppers | Bilder: Axel Küppers, Andrea Voß | NiederRhein Edition, Ausgabe 01/2020

 

 

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