Ritterschlag für Restauratoren

Ausflugstipp: Das Wasserschloss Raesfeld ist eine Renaissance-Perle im Münsterland. Das Baudenkmal ist auch die Heimat der Akademie des Handwerks.

Akademie des Handwerks - Schloss Raesfeld – Foto: Axel Küppers

Ein Ausflug zu Schloss Raesfeld im westlichen Münsterland ist mehr als spazieren gehen und Kaffee trinken. Das Wasserschloss im Kreis Borken, 75 Kilometer von Krefeld entfernt, bietet ein ganzes Bündel an kulturhistorischen Eindrücken. Neben Schlossanlagen, Tiergarten im Naturpark Hohe Mark, Museum, Naturparkhaus, Hotel sowie exklusiven Fachgeschäften und Gaststätten im Dorfkontext sorgt insbesondere die Akademie des Handwerks Schloss Raesfeld für Nachhaltigkeit.

Die Einrichtung dient dem Zweck, wertvolles Baukulturgut über eine gute Qualität im Handwerk zu schützen“, sagt Eckard Zurheide, der Ausbildungsleiter der Akademie des Handwerks. Die im 12. Jahrhundert entstandene Schlossanlage, ab dem 17. Jahrhundert unter den Herren von Raesfeld und von Reichsgraf Alexander II. von Velen als Residenzschloss zur Blüte getrieben und als Perle der Renaissance ausgebaut, ist sozusagen der Grund für die Akademie. Um den Kern der Akademie zu verstehen, muss man in die Geschichte von Schloss Raesfeld blicken. In der ersten Hälfte des 
18. Jahrhunderts starb das Geschlecht der von Velen zu Raesfeld aus; das Schloss wurde nur noch unregelmäßig bewohnt und verfiel allmählich.

Zu Anfang des 19. Jahrhunderts wurden Teile der Anlage abgerissen oder bis ins 20. Jahrhundert als landwirtschaftlicher Gutshof genutzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg ließen es die Handwerkskammern des Landes Nordrhein-Westfalen als neue Besitzer restaurieren. „In diesem Ensemble können wir authentisch lehren und zugleich zur Pflege der Handwerkskultur beitragen“, so der Diplom-Ingenieur Zurheide.  Seit 1980, als das NRW-Denkmalschutzgesetz in Kraft trat, steht das verlorengehende Wissen um die handwerklichen Traditionen im Fokus der Bildungsarbeit. Steinmetze zur Weiterbildung als „Restaurator im Handwerk“, ebenso wie Maler, Zimmerer, Tischler, Stuckateure, Maurer, Metallbauer und Raumausstatter verfeinern ihr Wissen und werden für die Herausforderungen ihrer Zunft gewappnet.

Ein perfekter Lernort für motivierte Handwerker

„Ein gutes Beispiel für das an den Tag gelegte Handwerksniveau ist der Renaissancegiebel an der Vorburg, den wir im Jahr 1989 behutsam bearbeitet haben“, sagt Steinmetzmeister und Restaurator Manfred Messing. Der Kempener bildet sich seit Jahrzehnten in Raesfeld weiter und ist dort seit 1998 als Dozent sowie im Prüfungsausschuss „Restaurator im Handwerk“ tätig. „Im bedeutenden Baudenkmal Schloss Raesfeld finden motivierte Handwerker genau den Lernort, der ihnen fundierte Kenntnisse für die Herausforderungen des handwerklichen Arbeitens im historischen Baubestand vermittelt“, betont Eckard Zurheide. Auch hier hat Manfred Messing ein praktisches Beispiel zur Hand: An vielen Fenstern der historischen Schlossanlage haben die Restauratoren sogenannte Kerbbossensteine eingesetzt. Heute sind sie teilweise Rekonstruktionen der verwitterten Originale und aus mineralischen Mörtelmischungen in Formen gepresst. „Diese Steine, die händisch von Restauratoren im Handwerk hergestellt werden, stabilisieren die Konstruktion und geben dem Rahmen auch ein ästhetisch ansprechendes Äußeres“, sagt Messing. Solche Kerbbossensteine hat der 56-Jährige selbst zum Beispiel am Sterndeuterturm in der Vorburg eingesetzt. Der Turm, wo sich heute u.a. Verwaltung und Bibliothek der Akademie befinden, soll von Alexander II. von Velen für astrologische Untersuchungen genutzt worden sein.

 

Möglichst viel erhalten, wenig neu machen

In Raesfeld herrscht folgende Überzeugung: Ein Handwerker, der die Raesfelder Philosophie „möglichst viel erhalten, wenig neu machen“ verinnerlicht, tritt künftig mit einem anderen Bewusstsein an seine restauratorischen Arbeiten heran. „Ich engagiere mich an der Akademie, um dieses Wissen weiterzutragen und damit die Baukultur zu erhalten – aus Respekt vor dem Handwerk und den Leistungen der Vorfahren“, betont Messing. So wie der Steinmetz denken in den benachbarten Raesfelder Werkstätten auch die Tischler, die Maler, die Stuckateure, die Maurer, die …

Der Tiergarten lädt für Aktivitäten aller Art ein

Für die Handwerker, die sich über die Akademie-Seminare weiterbilden, ist dieser Flecken ein ebenso inspirierender Ort wie für die Erholungssuchenden, die das einzigartige Ensemble Schloss Raesfeld 22 Kilometer nordöstlich von Wesel besuchen. „Ich nutze vor meinen Seminaren die frühe Stunde, um im Tiergarten eine Runde zu joggen oder abends auf Fotosafari zu gehen“, so Manfred Messing.
Der 100 Hektar große Park ist Teil des Hohe Mark Steig im gleichnamigen Naturpark und eingebunden in das „Europaen Garden Heritage Network”. Dichte Wälder, verträumte Moore, malerische Auen- und Seenlandschaften prägen die Landschaft.  Angelegt hat ihn 1658 Alexander II. von Velen. Genutzt wurde er für wirtschaftliche Zwecke wie Fischerei, Wild-, Mühlen- und Forstwirtschaft. Was heute natürlich aussieht, ist unter der historischen Lupe Ergebnis künstlicher Umstaltung. Alle Teiche wurden beispielsweise durch Grabungen und Dämme planmäßig geschaffen, das Terrain aufwändig entwässert. Exotische Bäume und Büsche, aber auch Tiere unterstrichen den weltmännischen Anspruch jener Zeit.

Nun, die Tiere und Pflanzen sind mittlerweile heimisch geworden in Raesfeld. Der Charakter des renaissancezeitlichen Tiergartens ist dem Areal dank baulicher und forstlicher Maßnahmen in den Jahren 2004 und 2005 wiedergegeben. Der Tiergarten ist heute eines der seltenen Beispiele einer alten und kontinuierlich wirtschaftlich genutzten Kulturlandschaft in Deutschland. Die Öffentlichkeit soll daran teilhaben, Agricultura und Naturerlebnis bilden eine Einheit. Alexanders Eden durchläuft sogar ein Pilgerweg.Das ist die Botschaft, die das architektonisch anmutende Naturparkhaus an der Schwelle von Schlossanlagen und Tierpark transportiert. In dieser 2005 gebauten Einrichtung befinden sich neben der Tourist-Info die Vereine Träger Tiergarten Schloss Raesfeld, Naturpark Hohe Mark – Westmünsterland sowie das Raesfelder Ortsmarketing. Die angeschlossene Lernwerkstatt dient als außerschulischer Lernort dem Zweck, Natur und Kultur mit allen Sinnen erlebbar zu machen. Ähnlich der Akademie des Handwerks dient das Naturparkhaus dazu, Wissen zu vermitteln und die nachkommenden Generationen für die Anliegen von Natur und Kultur zu sensibilisieren.

Ein Abstecher zur Jugendburg Gemen lohnt

Wer das Ensemble Schloss Raesfeld entdeckt hat, sollte auch – am besten mit dem Rad - einen Abstecher zur 13 Kilometer weiter nördlich gelegenen Jugendburg Gemen unternehmen. Hier das filigrane backsteinrote Renaissanceschloss, dort die wehrhafte beigefarbene Wasserburg, die trutzig und doch nahbar zum Spaziergang einlädt. Die Edelherren von Gemen hat die Burg vor mehr als 900 Jahren ins Sumpfgebiet Bocholter Aa hingesetzt, um ihren territorialen Anspruch gegenüber dem fürstbischöflichen Münster zu untermauern. So avancierte das Geschlecht Gemen zu einer der wichtigsten Adelsdynastien in Westfalen, wozu nicht nur Rüstung, Helm und Schild, sondern auch die kluge Heiratspolitik beitrug. Während in Raesfeld ein überwiegend akademisches Publikum verkehrt, begegnet man in Gemen auf Schritt und Tritt der Jugend. Schloss Gemen ist seit 1946 Jugendbildungsstätte des Bistums Münster und genießt als „Jugendburg“ einen überregional guten Ruf. Die musikpädagogische Ausrichtung ist prägend, die jährliche Hauptaktivität ist eine Chor- und Instrumentalwoche unter dem Dach der „Werksgemeinschaft Musik im Bistum Münster“.

Schloss Raesfeld

Die Anlage Schloss Raesfeld steht im Zusammenhang mit den Schlossbauten im geldrisch-limburgischen Maastal. Raesfeld bildet den östlichsten Ausläufer einer im 17. Jahrhundert herausgebildeten Maastal-Backstein-Architektur. In seiner entscheidenden Bauphase wurde 1646 der Kapuziner und Architekt Michael van Gent engagiert, der zu dieser Zeit in Münster lebte. Als Michael nach Rom berufen wurde, führten Jacob und Johann Schmidt aus Roermond die Arbeiten nach seinem Modell fort.

Die Steinmetzarbeiten erledigte Remigius Roßkotten. Um 1648 war die Vorburg und um 1653 die Oberburg fertiggestellt. Die Baukosten betrugen etwa 80.000 Reichstaler. Als Baumaterial wurde vor allem Backsteinziegel benutzt. Für die Portale, die Balken und Rahmen der Fenster, die Eckquaderungen und das Schmuckwerk kam heller Baumberger Sandstein zum Einsatz.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erhielten die Fensterläden und Portale den Raesfeld-typischen rot-gelben Anstrich. Die Dächer wurden mit roten Dachziegeln, die Turmhauben mit Moselschiefer eingedeckt. Von den ehemals vier Flügeln des Oberburg stehen heute noch der Westflügel mit dem markanten stufenförmigen Turm und der nördlich angrenzende Altbau mit einem wiederaufgebauten Rundturm. Wassergräben trennen die Oberburg von der Vorburg und der dörflichen Schlossfreiheit mit der Schlosskapelle.

Schloss Raesfeld
Freiheit 27
46348 Raesfeld

Öffnungszeiten
Der Tiergarten, die Außenbereiche und der Innenhof sind ganzjährig frei zugänglich.

Öffnungszeiten Besucherzentrum

April – September
Montag – Freitag: 09.30 bis 12.30 Uhr, 13.30 bis 17.00 Uhr
Samstag: 13.30 bis 17.00 Uhr
Sonntag, Feiertag: 11.00 bis 17.00 Uhr

Oktober – März
Montag – Freitag: 09.30 bis 12.30 Uhr, 13.30 bis 16.00 Uhr
Samstag, Sonntag, Feiertag: 13.00 bis 16.00 Uhr

Text: Axel Küppers | Bilder: Manfred Messing, Axel Küppers | Niederrhein Edition, Ausgabe 02/2021

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