Schreibe, wie du sprichst
Kein anderer Mensch hat die deutsche Sprache mehr beeinflusst als Konrad Duden. Seine Wiege steht in Wesel am Niederrhein. Axel Küppers ist für uns Spurensuche gegangen.
In Wesel treffe ich einen Mann, der mich die längste Zeit meines Lebens begleitet hat. Ein stiller Berater, ein zugewandter Lehrmeister, eine Institution mit natürlicher Autorität: Konrad Duden (1829-1911). Der preußische Gymnasiallehrer hat mit seinem 1880 veröffentlichten orthographischen Wörterbuch der deutschen Sprache dazu beigetragen, dass wir alle ein mehr oder weniger gepflegtes Deutsch sprechen und schreiben.
Für mich als Junge aus einem Mönchengladbacher Dorf mit ausgeprägter Plattdeutsch-Prägung war Duden mein nachhaltigster Lehrer. Das ist mir freilich erst beim Schreiben dieses Artikels bewusst geworden. Mein strenger Deutschlehrer in der Sexta des Gymnasiums hielt uns zu Beginn jeder Deutschstunde den Duden wie eine Monstranz vor Augen. Das Regelwerk, Symphonie aufgrund seiner griechischen Wurzeln mit „y“ und „ph“ zu schreiben, ansonsten aber den Satz „Schreibe, wie du sprichst“ zu beherzigen, hatten wir binnen drei Jahren verinnerlicht. Ab Untertertia war der Duden-Kanon eingebrannt in unsere jugendlichen Köpfe. Vielen von uns wies diese gute Schule indirekt einen Weg in die Berufswelt: Ich wurde nach einem Philologie-Studium Redakteur, weil ich Dudens sprachlogische Strenge liebte. Mofa-Kumpel Peter, eher den Zahlen zugetan, wurde Ingenieur. Petra aus der ersten Reihe wurde Lehrerin, weil sie Duden förmlich anhimmelte.
Heute, fast ein halbes Jahrhundert später nach der Pennälerzeit, begeben wir uns im Weseler Stadtteil Lackhausen im Nordosten der Hansestadt Wesel am Rhein auf Spurensuche. Getrieben von Fragen wie: Wie war Duden wirklich? Wie ist der kleine Konrad zum großen Duden geworden? Was hat ihn angetrieben für sein Orthographisches Wörterbuch? Und welche Rolle hat der Niederrhein für seine Entwicklung gespielt?
Geboren in einem Herrenhaus
Wir stehen am Gut Bossigt an der Konrad-Duden-Straße 99. Hier wird Konrad Duden am 3. Januar 1829 als zweitältester Sohn von insgesamt acht Kindern von Johann Konrad Duden und dessen Frau Juliane Charlotte geboren. Das Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert, in dem sich heute das Vier-Sterne-Hotel Haus Duden befindet, strahlt Bourgeoisie aus. Doch der Schein trügt: Dudens Vater ist ein erfolgloser Geschäftsmann, der mit allem, was er anfängt, scheitert. Die Mutter, eine geborene Monjé aus gutem Hause, kann die Kreditgeber nur vorübergehend bei Laune halten. Bereits mit vier Jahren muss der kleine Konrad das erste Mal mit der Familie in ein weniger repräsentatives Domizil in Richtung Altstadt umziehen. Soziale Not sowie familiärer Stress aufgrund monetärer Engpässe sind ihm nicht unbekannt.
Freilich, er ist ein guter Schüler. Professor Ludwig Bischoff, Direktor am Gymnasium in Wesel und von Haus aus Philologe, setzt sich dafür ein, dass Konrad und sein Bruder in das städtische Waisenhaus umziehen und dadurch „die Gelegenheit erhalten, sich tüchtige Schulkenntnisse zu erwerben, um dereinst in der Welt fortkommen zu können“, wie Bischoff am 27. Dezember in einem Sütterlin-Brief schreibt. Das wirkt: Konrad Duden legt unter Bischoff seine Reifeprüfung ab und nimmt an der Bonner Universität ein Studium der Germanistik und klassischen Philologie auf.
Aus humanistischer Überzeugung
Diese frühe Entwicklung ist eng verknüpft mit dem Wörterbuch, das Duden 34 Jahre später herausgibt. Als kluger Kopf, familiär keineswegs auf Rosen gebettet, wird er aus sozialer Empathie und humanistischer Überzeugung seiner Lehrer gefördert. So wird ein Juwel geschliffen, das man zufällig beim Spaziergang am Wegesrand aufgelesen hat. Hinzu kommt, dass Duden in Wesel in einer liberalen Atmosphäre aufwächst. „Dem Anschein nach wirkte Duden streng, aber sein Denken und Handeln ist geprägt von Herzlichkeit und Güte“, sagt die Weseler Stadtführerin Anne Klein bei einem Cappuccino in der Dudenstube des Hotels. Die Öffentlichkeitsarbeiterin macht Besucher mit dem größten Sohn der Stadt bekannt. Das protestantische Wesel ist offen für Glaubensflüchtlinge aus aller Herren Länder, berichtet Anne Klein. Das Humboldt’sche Bildungsideal findet hier einen Humus. Den Begriff der Allgemeinbildung hat Duden über das Waisenhaus, das Gymnasium und fürsorgliche Pädagogen wie Prof. Bischoff verinnerlicht. In dieser zwar preußischen, aber keineswegs gedrillten Welt hat er die ersten 17 Jahre seines Lebens verbracht.
Um dies zu untermauern, fährt Anne Klein nun mit uns von Haus Duden zur Konrad-Duden-Büste. Der Bronzekopf auf einer Granitstele steht keineswegs mitten in der Weseler City, wo Duden mit Gymnasium, Waisenhaus und Willibrordi-Dom (wo er konfirmiert wurde) immerhin drei Wirkungsstätten erster Güte hatte. Die Büste drei Kilometer entfernt an einer Fahrradstraße steht auf den ersten Blick eher zufällig zwischen einem Neubaugebiet und einem Einkaufszentrum an der Julius-Leber-Straße.
Mitmachen & Gewinnen
In Kooperation mit der WeselMarketing GmbH verlosen wir drei Stadtführungen bei Anne Klein „Auf den Spuren von Konrad Duden in Wesel“.
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Denkmal zwischen Lavendel und Ginkgo
„Es wird viel diskutiert in Wesel, ob dieser vor 13 Jahren eingeweihte Standort angemessen ist“, berichtet die Stadtführerin und gibt die Frage an die Besuchergruppe weiter. Duden ist inmitten dieser hektischen Betriebsamkeit nicht auf Rosen gebettet inmitten einer prächtigen Altstadtkulisse, wie Wesel sie bietet. Ihn umgibt vielmehr sachlicher Vorstadtcharme. Statt stylischer Sitzgelegenheit und deutschem Eichenlaubdach über der Denkerstirn muss Duden mit Lavendelfeld, zwei harten Stahlbänken und einem exotischen Ginkgobaum hinter sich Vorlieb nehmen. Achtlos weggeworfene Pizzakartons, leere Colaflaschen und Zigarettenschachteln neben dem Papierkorb verraten, dass abends eine Klientel an dem Plätzchen verkehrt, der mehr Duden und weniger Kippen gut täte. „Möglicherweise ist das genau der richtige Weg, und das Denkmal steht goldrichtig“, wirft eine pensionierte Grundschullehrerin in die Runde.
Dass das Leben kein Rosengarten ist, aber höhere Bildung ideal vor den Dornen der Armut schützt, spürt Konrad Duden auch als Student in Bonn. Nach vier Semestern bricht er ab, um nun für ein paar Jahre als Hauslehrer in Frankfurt und anderen Gegenden Geld zu verdienen und sich sprachlich weiterzubilden. Auch in Bonn erkennen seine Professoren sein Talent. Dennoch ist Duden kein Überflieger. Das Examensprotokoll der Bonner Fakultät vermerkt 1854 „schöne Kenntnisse in alten und neuen Sprachen sowie auch in der philosophischen Literatur“. Die Alma Mater bemängelt aber auch seinen Wissensstand in deutscher Literaturgeschichte und Grammatik. Die Fakultät warnt ihn, „in didaktischer Beziehung den streng grammatischen Standpunkt nicht durch ästhetische Interpretation zu verwässern“. Das sitzt!
Bildungsfernen Schichten das Lesen und Schreiben erleichtert
26 Jahre später veröffentlicht Duden, mittlerweile als Gymnasialdirektor zur anerkannten Autorität der deutschen Sprache gereift, sein Orthographisches Wörterbuch. Hier tritt ein Moment hervor, das ohne eine Jugend am Niederrhein undenkbar gewesen wäre. Im thüringischen Schleiz nahe der Saale, wo er jetzt die Bildungsfahnen hochhält, treffen fränkische, thüringische und sächsische Dialekte zusammen. Diesen Konflikt, was denn nun gutes Deutsch ist, kennt er von seiner Weseler Heimatgemeinde Lackhausen, wo die Menschen anders sprechen, als in der Stadt, als in der Metropole, als in anderen Regionen, die er später kennen lernen soll.
Also tritt Duden mit seinem Wörterbuch an – ganz seiner humanistisch geprägten DNA folgend – , ein Standardwerk für alle zu schaffen. Und Sprache niederschwellig ohne Dünkel zu vermitteln. In dieser Haltung steht nicht die Herkunft des Schülers bzw. von dessen Lehrmeister im Vordergrund, sondern die Allgemeingültigkeit einer einheitlichen Sprache mitsamt verbindlichem Regelwerk. Das hatte einen hohen sozialen Impetus! Insbesondere bildungsfernen Schichten ist dadurch das Lesen und Schreiben erleichtert worden. Womit wir gedanklich wieder am Denkmal an der Julius-Leber-Straße in Wesel sind, wo die Halbstarken lieber googeln als im Duden zu blättern und auf Groß-/Kleinschreibung pfeifen.
Unter dem Strich bleibt festzuhalten, dass Duden die Kindheit und Jugend in Wesel verbracht hat und nach seinem Abitur nie mehr zurückkam. Dennoch wäre sein Standartwerk – so etwas wie die Bibel der deutschen Sprache und mittlerweile in 28. Auflage anno 2020 vom Duden-Verlag in Leipzig aufgelegt – undenkbar ohne den Geist, in dem er aufgewachsen ist. Das wissen die Weseler zu schätzen und haben ihm ein passendes Denkmal gesetzt.