Ihr Vorstandskollege in der Deutschen-Knigge-Gesellschaft bezeichnet sie gerne als „modernes Fräulein Rottenmeier“. Ein Augenzwinkern wird bei dieser Formulierung zwar gleich mitgeliefert, aber irgendwie hat Clemens Graf von Hoyos auch recht. Linda Kaiser ist eine selbstbewusste Frau mit Stil: Kleidung, Körperhaltung, Sprache, Attitüde – all das deutet auf eine Persönlichkeit hin, für die gute Umgangsformen kein Korsett, sondern vielmehr Flügel sind. Nach unserem dreistündigen Treffen mit Linda Kaiser, einer der versiertesten Knigge-Expert*innen Deutschlands, wissen wir, dass die Knigge-Botschaft vielmehr beinhaltet als das pure Einhalten strenger Tischsitten. Doch genau dort, an einem gedeckten Tisch in einem Krefelder Restaurant, beginnt vor über 30 Jahren die Geschichte von Linda Kaiser.
Stil ist keine Frage des Geldbeutels
„Schon als Kind fiel ich auf. Das mag an meinem exotischen Aussehen gelegen haben, aber ich konnte auch schon immer gut mit Messer und Gabel umgehen und saß im Gegensatz zu vielen anderen Kindern immer still am Tisch. Darauf wurde bei uns zuhause großer Wert gelegt, ebenso wie auf den Tagesgruß und die berühmten Wörter ,bitte‘ und ,danke‘ “, erzählt die Frau, die heute als Businesscoach Geschäftsleuten den perfekten Umgang auf beruflichem Parkett vermittelt. Linda Kaiser wuchs zunächst ohne ihren Vater, der aus der Karibik stammt, in einem „starken niederrheinischen Frauenhaushalt“ mit Mutter, Großmutter und Großtante auf, wie sie erzählt.
Ihre Wurzeln hat sie in Krefeld. Abitur machte Linda Kaiser in Neuss, bevor sie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Germanistik und Medienwissenschaften studierte. Die Begeisterung für die deutsche Sprache und Kommunikation begleiten Linda Kaiser bis heute. Darüber hinaus eröffneten ihr apartes, ungewöhnliches Äußeres und eine scheinbar auf den Leib geworfene Eleganz der jungen, selbstbewussten Frau bereits zu Studienzeiten vielfältige Möglichkeiten: Sie arbeitete als Plus-Size-Model und Moderatorin, als Messehostess und Verkäuferin von Herrenbekleidung. Bei einer Veranstaltungsagentur bekam sie ihre erste Festanstellung und übernahm dort die Projekt- und PR-Arbeit. Für eine Spielzeit war sie Assistentin des Geschäftsführers des Capitol Theaters, bis sie in die Industrie wechselte. Bei einem technischen Fachverband ist sie seitdem verantwortlich für Öffentlichkeitsarbeit, Events und Mitgliederkommunikation.
Aus ihrer Leidenschaft für guten Stil und ebensolches Benehmen ergaben sich für Linda Kaiser darüber hinaus eine Reihe von Nebenjobs: Sie wurde Stil- und Imageberaterin, legte 2012 die Prüfung zur IHK-zertifizierten Trainerin für Business-Etikette ab und wurde zertifizierte Trainerin bei der Knigge-Akademie. Seit 2014 ist sie stellvertretende Vorsitzende der Deutschen-Knigge-Gesellschaft mit Sitz in Essen.
Business-Etikette ist mehr als eine interessante Vokabel
„Business-Etikette“ – eine interessante Vokabel, die es lohnt, näher erläutert zu werden. Linda Kaiser zählt auf, was dazugehört: „Es ist einfach alles, was für ein gutes Miteinander im beruflichen Kontext hilfreich oder erforderlich ist, angefangen beim Begrüßen und Vorstellen über stilvolle Kommunikation per Telefon, E-Mail oder Videocall, aber auch das „Wer-sitzt-wo“ im Meeting, wertschätzende Gesprächsführung, die Kleidung am Schreibtisch bis hin zu Fragen rund um das Geschäftsessen oder ob man zur Betriebsfeier gehen muss und wieviel Alkohol man dort trinken darf. Auch der richtige Umgang mit Kunden und Gästen gehört dazu.“ Ihr Wissen gibt Linda Kaiser an Unternehmen, Verwaltungen und Hochschulen weiter.
Im Gespräch über „Business-Etikette“ kommt auch das Thema „Tisch-Etikette“ auf. Linda Kaiser erzählt nämlich von „moderierten Mittagessen“, und wir ahnen: Das sind die „Eclairs“ auf der „Menükarte“ der Knigge-Spezialistin. „Diese Angebote werden von Unternehmen gerne als Unterhaltungsprogramm zusätzlich zum Tagesseminar oder für die Betriebsfeier gebucht. Die meisten sind nämlich der Auffassung, zu mindestens 90 Prozent alles richtig zu machen. Aber schon während des Essens, bei dem ich sie begleite und Ratschläge gebe, müssen sie sich eingestehen, dass sie zu 99 Prozent keine Ahnung davon haben, wie man sich bei Tisch richtig verhält. Und dabei sprechen wir nicht vom Umgang mit dem berühmten Hummer.“
»Man bewegt die Gabel über den Teller, nicht das Messer«
Ein erster Fehler passiere bereits beim Verzehr des sogenannten „Couvertbrotes“, das häufig als Beigabe zu einer Mahlzeit gereicht wird. „Man schmiert nicht jede einzelne Brotscheibe und führt sie zum Mund, sondern bricht sie in kleine Stücke, bestreicht sie dann mit Butter und verzehrt sie“, betont Linda Kaiser, die jetzt doch ein wenig an Fräulein Rottenmeier aus den „Heidi-Filmen“ erinnert. Oder die Sache mit dem Besteck. „Ich bewege die Gabel über den Teller, nicht das Messer. Die Soße gehört zum Fleisch und nicht zu den Beilagen“, erläutert die Fachfrau für gutes Benehmen, die aber auch immer wieder einschiebt: „Es sind nur Kleinigkeiten. Knigge-gerechtes Verhalten ist ein Angebot für Menschen, denen es aus verschiedensten Gründen wichtig ist.“ Viel wichtiger als das sture Befolgen von Knigge-Regeln sei der gute Umgang miteinander, so Linda Kaiser. Sie selbst mag den Begriff „Knigge-Regeln“ nicht und verweist auf das Standardwerk von Adolph Freiherr von Knigge, das den Titel trägt „Über den Umgang mit Menschen“. „Regeln haben immer so einen Beiklang von ,Du musst dies oder jenes tun.‘ Das wird der Idee, die hinter Knigges Werk steht, nicht gerecht. Ich spreche lieber von Empfehlungen, die auf der Erfahrung im Umgang miteinander beruhen.“
Man mag Linda Kaiser immer weiter zuhören, denn alles, was sie erzählt, hat Hand und Fuß. Ihr seriöses, verbindliches und stilsicheres Auftreten gibt ihrem Gegenüber das Gefühl: „Ich kann von dir nur Gutes lernen. Ich möchte aus deinem Knigge-Schatz das für mich Passende mitnehmen.“ Genau diese Spiegelung durch ihr Umfeld hat dazu geführt, dass Linda Kaiser Business-Coach wurde oder – wie sie es ausdrückt: „Die Idee ist auf mich zugekommen. Immer wieder wurde ich auf meinen offensichtlich angenehmen Auftritt im geschäftlichen und privaten Kreis angesprochen, verbunden mit der Bitte, mein Erfolgsrezept doch mit anderen zu teilen. Daraufhin habe ich erst im kleinen Rahmen mit der Beratung angefangen und später im erweiterten Kreis. Ich habe Kleiderschränke sortiert und Stilkonzepte entwickelt. Und wer gut aussieht, der sollte sich auch gut benehmen.“ Somit war die Ausbildung zur Knigge-Trainerin eine logische und sinnvolle Ergänzung. „Zumal ich mich nie in der klassischen Farb- und Stilberatung zu Hause gefühlt habe. Ich habe einen ausschließlich strategischen Ansatz bei der Stilberatung. Der Schwerpunkt meiner Arbeit in der Einzelberatung ist eher die Entwicklung eines persönlichen Markenimages“, ergänzt die Knigge-Fachfrau.
Ihre Kundinnen und Kunden sind in erster Linie Menschen, die sich beruflich an einem Wendepunkt befinden und sich neu positionieren wollen oder müssen. Linda Kaiser arbeitet aber nicht nur mit „Businessleuten“, sondern auch mit Frauen, die nach der Elternzeit wieder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen wollen „und sich in Windelchaos und Jogginghosen irgendwo verloren haben. Manchmal sind auch persönliche Gründe wie eine Trennung oder ein runder Geburtstag Auslöser für einen Anruf bei mir“, erzählt sie.
Auch Linda Kaiser selbst prüft sich immer wieder. Beispiel: Unser Fototermin in der Bvlgari-Filiale an der Düsseldorfer Königsallee, wo sie nach einer neuen Armbanduhr Ausschau hält. Verkaufsberaterin Elena Busch ist eine enge Freundin. Kennengelernt haben sich die beiden durch ihre Arbeit als Knigge-Trainerinnen. Zwischen den beiden Frauen liegt eine Uhr mit einem grünen Zifferblatt, das von einem Gliederarmband aus Edelstahl eingefasst ist. „Ich mag Grün, und es ist auch eine Farbe, die stilmäßig zu mir passt, mir allerdings nicht gut zu Gesicht steht. Deshalb trage ich Grün eben an einer anderen Stelle“, schmunzelt Linda Kaiser und holt noch ein wenig weiter aus: „Jahrelang habe ich keine Armbanduhr getragen und daher in meinen Seminaren immer einen Teilnehmer gebeten, für alle die Zeit im Blick zu haben. Mein Handy mit eingeschaltetem Timer vor mir auf den Tisch zu legen, war nie eine Option. Das empfinde ich als extrem unhöflich. Also habe ich mir gedacht, dass ich jetzt endlich mal eine eigene Armbanduhr haben sollte.“ Spricht es aus und stellt sich vor einen Ganzkörperspiegel, um ihr Gesamtbild zu betrachten. „Auch Schmuck sollte man vor dem Spiegel ausprobieren“, sagt Linda Kaiser. Stimmt.
Mit kritischem Blick dreht sich Linda Kaiser in ihrem gepunkteten schwarzen zeitlosen Kleid mit der Perlenbrosche vom Trödelmarkt, hautfarbenen Nylons und schwarzen Pumps vor dem Spiegel ein wenig hin und her und befindet: Das Bild gibt einen würdigen Rahmen für die Uhr an ihrem Handgelenk ab. Auch ihre großen Barockperlen-Ohrringe – übrigens keine echten – und die dezenten Goldringe, alte Stücke aus Familienbesitz, konkurrieren nicht mit dem neuen Stück. Alles strahlt. Gekauft.
Jetzt noch ein Kaffee im Steigenberger Parkhotel. Das wäre ein schöner Abschluss unseres Kennenlernens gewesen. Aber Corona lässt das nicht zu. Wir schließen einen kurzen Bummel über die Königsallee an, und Linda Kaiser erlaubt uns einen Blick in ihre Kinderseele: „Damals war die Kö für mich ein Sehnsuchtsort, ein Platz, an dem das Leben so ganz anders verlief als in meinem gewohnten Umfeld. Es gab hier ganz viele Sachen zu sehen, die ich nur aus Zeitschriften kannte: Die Leute waren irgendwie schöner gekleidet, und es zeigte sich ein ganz anderer, in meiner damaligen Vorstellung, besserer Lebensstil. Davon wollte ich ein Teil sein.“
Ähnlich wie die Kö faszinierten Linda Kaiser immer auch schon traditionsreiche Luxushotels: „Das waren für mich die Orte, an denen ein anderes, besseres Leben stattfand. Auch heute genieße ich die Ruhe, die man dort finden kann, dieses Abtauchen in eine Parallelwelt, die einen entschleunigt und zum Genießen animiert. Da ich oftmals in solchen Hotels auch selbst Veranstaltungen organisiert habe, weiß ich, dass sich dieses Gefühl auch auf die Arbeit auswirken kann. Ich habe einfach ein gutes Gefühl dort, weil jeder bemüht ist, eine gewisse Leichtigkeit und Eleganz aufrecht zu erhalten. Hier kann man erfahren, wie sich gute Manieren positiv entlastend auf das Miteinander auswirken und Raum schaffen für die eigentlich wichtigen Dinge.“ Mit diesen Worten verabschiedet sich Linda Kaiser von uns und wird gleich die Autobahn Richtung Korschenbroich nehmen, wo sie abseits der Großstadt im beschaulichen Liedberg ins Private abtauchen kann: in ihre Wohnung mit Garten und Hund.
An ihrem Dorf schätzt sie „die freundlichen und aufgeschlossenen Menschen, die aber nie aufdringlich sind. Außerdem kann man dort stundenlang spazieren gehen und entdeckt immer neue, schöne Fleckchen in der Natur. Es ist ein bisschen wie Urlaub, es ist ruhig, und ich fühle mich sicher.“ Düsseldorf sei eine wunderbare Stadt zum Arbeiten und für das gesellschaftliche Leben, „aber um zur Ruhe zu kommen, benötige ich eine räumliche Trennung von Arbeit und Privatleben. Dabei schätze ich das Gefühl sehr, jeden Tag wieder in die andere Welt wechseln zu können“, so Linda Kaiser, die in ihrem Leben für sich und andere immer wieder gute Lebenswelten erschafft, die hoffen lassen, dass ein besseres, gesellschaftliches Miteinander mit Stil möglich ist.
Text: Petra Verhasselt | Foto: Michael Ricks | NiederRhein Edition, Ausgabe 01/2021