»Willst du immer weiter schweifen? Sieh das Gute liegt so nah.«
Getreu dem Goethewort empfehlen wir heute eine Radtour rund um Wachtendonk. Jetzt im Frühjahr ist das bezaubernde Festungsstädtchen mit seiner typisch niederrheinischen Natur und seinen zwei Flüssen Niers und Nette einen Tagesausflug wert.
Tour de Wachtendonk
Wir starten südlich der Gemeinde auf Grefrather Gebiet. An der Abtei Mariendonk einen Steinwurf von der Niers können wir unser Auto sicher abstellen. Durchs Schleckgebiet – die heute privat genutzte Neersdommer Mühle lassen wir links liegen – geht es nördlich über Wirtschaftswege.
Linkerhand fließt die Niers. Ein paar 100 Meter hinter dem Plätzchen aus Grenzsteinen lohnt ein Abstecher zum Rastplatz Schlick. Dort grasen Pferde, vom Wasser im Zaum gehalten. Die ersten Kanufahrer winken, in dicke Pullover gehüllt. Sie sind flussaufwärts Richtung Wachtendonk und Geldern unterwegs. Ab dem Rastplatz radeln wir nun ein Stück direkt am Niersufer entlang.
Vor der A 40 müssen wir freilich rechts weg vom Fluss, um durch die Unterführung die Autobahn hinter uns zu lassen. Rechts der Klösters-Baggersee, links ausladende Gehöfte mit teilweise geschwungenen Giebeln. Wir radeln weiter den Schlecker Weg – rechts kleinzeilige Wohngebiete, links bäuerliche Anwesen, Felder und Wiesen in der Niersniederung.
Den Schoelkensdyck geht es nun links durch einen schmalen Grünstreifen. Vorsicht ist geboten, um nicht von der Piste abzukommen oder Fußgänger zu touchieren. Nach 500 Metern der erste Höhepunkt: die Wachtendonker Burgruine inmitten eines Wäldchens lädt zum Spaziergang oder einer Rast auf historischen Backsteinmauern ein. Die Burg zeugt vom wehrhaften Charakter des Städtchens an der Ostgrenze des Herzogtums Geldern. Die Burg stammt wohl aus dem 14. Jahrhundert. Vor 400 Jahren wurde sie so stark beschädigt, dass sie nicht wieder aufgebaut wurde. Gut so, wir fühlen uns wohl. Und kehren zurück auf unseren schmalen Pfad, radeln links weiter, um auf den Pulverturm zu stoßen.
Der imposante Backsteinbau ist nicht nur wegen seines Platanenbiergartens mit angeschlossenem Restaurant – mediterrane Ausrichtung – ein Ausflugsziel. Der Legende nach gab es zwischen Pulverturm und Burg einen unterirdischen Gang, über den die Menschen Rettung gesucht haben, wenn die Festung mal wieder angegriffen wurde. Eine schöne Geschichte, die gerne von Stadtführern angeführt wird. Aber auch ohne die Legenden hat Wachtendonk einiges zu bieten.
Wir sind jetzt am Pulverturm bereits im Ortskern. Der Nukleus mit seinen 120 denkmalgeschützten Gebäuden steht komplett unter Schutz. Der Ortskern ist geprägt von filigraner Architektur. Die weitgehend historische Bausubstanz spiegelt rheinisch-limburgischen Touch. Drum sollten wir nun unser Rad schieben und uns zu Fuß treiben lassen, um diesen malerischen Ort zu genießen. Wir empfehlen die Route Neustraße – An de Schanz – Endepoel – Weinstraße – und laufen direkt auf Haus Püllen zu, dem wohl anmutigsten Haus Wachtendonks. Wenn es die Zeit zulässt, sollten wir nicht nur die zwei Barockgiebel des knapp 400 Jahre alten Gebäudes bewundern. Reingehen lohnt! Neben dem Touristik-Zentrum der Gemeinde hat sich hier seit 24 Jahren der Naturpark Schwalm-Nette eingerichtet. Natur und Landschaft der Gegend werden dort anschaulich. Wer durchgeht in den Innenhof, entdeckt einen gut gepflegten Kräutergarten mit Hochbeeten direkt an der plätschernden Niers.
Die Neustraße ist reich an historischem Baubestand. Einer, der sich dort besonders gut auskennt, ist der Immobilien-Experte Claus Linssen. Der 69-Jährige ist im früheren Krankenhaus an der Klosterstraße im Schatten der Pfarrkirche St. Michael geboren. „Hier bin ich Mensch“, sagt Claus Linssen beim Radeln über die Neustraße, wo er jeden Stein kennt. Allein diese kurze Straße hat 15 Baudenkmäler, eines schöner als das andere. Ein Prachtbau ist beispielsweise der Prinzenhof, im Volksmund „Der Hoff“ oder „Haus Wachtendonk“ genannt. Der Backsteinbau ist um 1620 errichtet und vor 20 Jahren vom örtlichen Hausarzt Dr. Detlev Kiss und seiner Frau Monika liebevoll restauriert worden. „Der Hoff war lange Sitz der Herren von Wachtendonk“, berichtet Dr. Kiss.
Der sportliche Senior Claus Linssen schwingt sich ein paar 100 Meter mit uns aufs Rad und zeigt uns eine weitere schöne Ecke. Gen Westen geht es wieder raus aus dem Festungskern, schwupp über die Nette, links rein in den Fliethweg. Nach einer Links-Rechts-Kombination entdecken wir am Ende des Wohngebiets eine Bank. „Nette-Ecke“, steht auf dem Schild. Stimmt! Der Erlebnispfad wird so beschrieben: Genießen Sie die Ruhe und abwechslungsreiche Natur an dieser kleinen Ecke der Nette, stellvertretend für den insgesamt 435 qkm großen und im Jahr 1965gegründeten Naturpark Schwalm-Nette.
„Kennt ihr die Niers-Fähre?“, fragt Claus, und sitzt schon wieder im Sattel. Nach Norden, ein Stück die Wankumer Straße entlang, dann nach 300 Metern links ins Feld. Nach ein paar Minuten stehen wir auf einer Edelstahlplatte. Auf der steht „Nette trifft Niers“. Der Naturpark Schwalm-Nette hat im Zuge eines Wettbewerbs vor zehn Jahren diese Perspektive als „Wasserblick“ auserkoren. „An dieser Stelle machen sich die zwei Wachtendonker Flüsse gemeinsam auf den Weg zur Maas“, berichtet Michael Puschmann, Geschäftsführer beim Naturpark Schwalm-Nette.
Der Wasserblick eröffnet eine schöne Aussicht auf die Mündung der Nette. Die Nette hat von ihrer Quelle in Dülken gerade mal 28 Kilometer auf dem Buckel. Im Bett der Niers schafft sie die knapp 50 Kilometer bis zur Maas im niederländischen Gennep nun spielend. Am Nette-Niers-POI in Wachtendonk ranken sich die Mythen. Die Menapier, ein keltisch-germanischer Volksstamm, soll dort rituelle Handlungen vollzogen haben. Heute entdeckt man dort mit etwas Glück den Weißstorch. Der war hier vor 2000 Jahren auch schon heimisch…
150 Meter zuvor am Niersuferweg liegt die Niersfähre AiWA – steht für „Anlage im Wasser“: eine kleine Seilkurbelfähre über die Niers, die ein wenig unsere Muskelkraft am Kurbelrad fordert und auch mit dem Rad genutzt werden kann. Aber wir wollen ja zurück zum Erlebnispfad.
Deshalb testen wir AiWA und drehen nach der Fähr-Fahrt zurück zum Fliethweg. „Tschüss, Claus“, sagen wir nach einer Bananenpause an unserer Nette-Ecke-Bank, und radeln den Fliethweg weiter. Nach ein paar Kurven entlang fetter Äcker, Nette-Gräften und verschlungenen Wäldchen wissen wir, warum die Rede von KULTUR-Landschaft ist: Im Alten Wasserwerk fließt zwar seit 1988 kein Wasser mehr. Dafür nutzen Künstler den schlichten Backsteinbau mit Satteldach als inspirierenden Ort.
Der Kulturkreis Wachtendonk mit seiner Gruppe AQUA ist hier zuhause und nutzt das Gebäude mit seinem morbiden Charme seit mehr als 20 Jahren. „Eigenständigkeit der künstlerischen Arbeiten, Originalität in der Umsetzung der Themen und Ideen sind erwünscht“, sagt Maria Mertens vom Kulturkreis Wachtendonk.
Am Ende des Fliethwegs biegen wir zwei mal links ab und sind auf dem Netteweg. Nach ein paar Metern kommen wir an eine Stelle, die auf unserer Wachtendonk-Hitparade einen Spitzenplatz belegt. Die Nette bildet hier eine Art Flussschlinge mit flachen Innenufern. Dort machen wir Rast und genießen die Aussicht.
Wir erfahren, dass der Netteverband den Fluss an dieser Stelle auf 450 Metern naturnah umgestaltet hat. Ziel ist, dass künftig wieder mehr Tiere und Pflanzen im Fluss leben. Deshalb werden die in der Vergangenheit naturfern ausgebauten Gewässerabschnitte jetzt peu à peu wieder zurückentwickelt. Ja, dieser Nette-Swing inspiriert uns. Besonders die Wurzelstubben mitten im Wasser.
An der übernächsten Ecke geht’s links über den Laerheider Weg zurück Richtung Ortskern. Die hohen Linden sind imposant, auch wenn sie ihr Laubdach jetzt im Frühjahr noch nicht ausgefahren haben. Im Feuchtklima von Niers und Nette sind die teilweise mehrere 100 Jahre alten Bäume die idealen Partner für ein gutes Klima, was Mensch und vor allem Tier erfreut. Bald geht’s wieder rechts ab zur Burgruine, wo die Niers unser Weggefährte wird.
Diesmal radeln wir am westlichen Ufer entlang der Böschung Richtung Süden. Das Prall- und Gleitufer des Flusses windet sich hier wie kaum an einer anderen Stelle im 113 Kilometer langen Niersverlauf. Rechterhand Kopfweiden, linkerhand am gegenüber liegenden Ufer ein kleiner Leuchtturm sowie der Holleshof, wo die Kanufahrer ihre Boote ins Wasser lassen. Der Mais fürs Labyrinth muss noch ein paar Wochen wachsen, bevor Kinder sich darin vergnügt verlaufen. Vor der Autobahn müssen wir noch mal links über den Fluss, staunen über die prächtige Pappelreihe, die so typisch ist für den Niederrhein. Bald wieder rechts, durchs Schleckgebiet, und in der Ferne entdecken wir schon wieder die Abtei Mariendonk.
Tschüss, Wachtendonk, was für ein schöner Tag – bis bald!
Text: Axel Küppers | Bilder: Axel Küppers / Niederrhein Edition, Ausgabe 01/2021