Sprachrohr der Wirtschaft: Unternehmerschaft Niederrhein blickt auf 75 teilweise turbulente Jahre zurück

»Gewalt nicht noch Geld formen die Welt, geistige Kraft, sittliches Handeln vermögen Welten zu wandeln.« Diese Worte hat Jean Lenzen (1873-1952), der Ehrenvorsitzende der Unternehmerschaft Niederrhein, dem Haus am Krefelder Ostwall 227 gewidmet. Der Spruch ist auf einer Bronzetafel festgehalten. 1952 – sieben Jahre nach dem Gründungsjahr – erfolgte der erste Spatenstich für das stattliche Gebäude in bester Citylage. Ein Jahr später zog der Arbeitgeberverband ein. Das Haus ist bis zum heutigen Tag steinernes Symbol für den Verband, der im mittlerweile 76. Jahr seines Bestehens eine Säule der Wirtschaft am Niederrhein ist.

Jean Lenzen (1873-1952), der erste Vorsitzende der 1945 gegründeten Unternehmerschaft Niederrhein.
1947: Bau des Gebäudes der Unternehmerschaft Niederrhein am Ostwall 227 in Krefeld. Foto: Axel Küppers
2021: Die Geschäftsstelle der Unternehmerschaft Niederrhein am Krefelder Ostwall heute. Foto: Axel Küppers
Unternehmerschaft Niederrhein unterstützt Jugend forscht
Jugend forscht: Leuchtturmprojekt der Unternehmerschaft Niederrhein

Wegen Corona musste die Unternehmerschaft ihren für Herbst 2020 geplanten Festakt zum „75-Jährigen“ verschieben. Der findet nun aller Voraussicht nach mit einjähriger Verspätung statt. Am 29. August 1945 hob eine Handvoll Unternehmer vom Niederrhein im Gemeinschaftsraum der Krefelder Firma Lenzen & Co. den Verband aus der Taufe. Kurz nach der Stunde Null hatten sich die Gewerkschaften positioniert. Um das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in schwieriger Zeit von Anfang an in eine Balance zu bringen, formierten sich nun auch - unter Vorsitz von Jean Lenzen – die Industriebetriebe unterschiedlicher Ausrichtung. Sie alle fanden in dem Dachverband ihr Sprachrohr.

Zuversicht, Fleiß, Hoffnung und Pioniergeist

Mit Zuversicht, Fleiß, Hoffnung und Pioniergeist entwickelte der Zusammenschluss in kriegszerbombten Städten ein starkes Band, das die Unternehmerschaft bis heute zusammenhält. In den Anfangsjahrzehnten stand das konstruktive Ringen mit den Gewerkschaften um Löhne und Gehälter, Arbeitszeiten und -bedingungen im Fokus. Leitthemen in 75 Jahren waren Gründerjahre, 68er-Unruhen, Integration von Gastarbeitern, Arbeitslosigkeit, soziale Marktwirtschaft, Europäisierung und Globalisierung. Die Herausforderungen der Gegenwart heißen – neben Corona – Digitalisierung, Fachkräfte-Rekrutierung, Nachwuchsförderung, Bildung, unternehmerische Außendarstellung und Qualität der Arbeit vor dem Hintergrund Work-Life-Balance. Zu all diesen Themen hat der Verband Angebote entwickelt, Brücken gebaut und Kooperationen geschmiedet.

Moderner Dienstleister für die kleinen, mittleren und großen Unternehmen am Niederrhein

Der Arbeitgeberverband versteht sich heute als moderner Dienstleister für die kleinen, mittleren und großen Unternehmen am Niederrhein. Arbeits- und Sozialrecht, Tarifrecht, Arbeitswissenschaft, Wirtschaftsmediation, Öffentlichkeitsarbeit und Netzwerk sowie Weiterbildung sind die Felder, die vom Krefelder Ostwall aus unbürokratisch beackert werden. 24 Mitarbeiter sorgen auf der Geschäftsstelle für effektives Arbeiten an der Seite der Unternehmen. Zur Unternehmerschaft Niederrhein gehören sechs Mitgliedsverbände, die die Interessen von rund 800 überwiegend mittelständischen Unternehmen mit etwa 90.000 Beschäftigten vertreten. Mitglieder sind auf freiwilliger Basis Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie, der chemischen Industrie, der papierverarbeitenden Industrie, der Nahrungs- und Genussmittelindustrie, des Groß- und Außenhandels sowie des Dienstleistungsbereichs in den Kreisen Kleve, Viersen, Wesel (linksrheinisch) und Neuss sowie den Städten Krefeld und Mönchengladbach. Branchenübergreifend rundet der Allgemeine Verband niederrheinischer Arbeitgeber für nichttarifgebundene Unternehmen das Angebot ab.


Drei Fragen an Kirsten Wittke-Lemm


Kirsten Wittke-Lemm ist seit 2013 Geschäftsführerin und seit dem 8. Februar 2021 Hauptgeschäftsführerin der Unternehmerschaft Niederrhein. Als Juristin unterstützt und begleitet die gebürtige Mönchengladbacherin die Mitgliedsunternehmen in arbeitsrechtlichen Fragestellungen rund um das Personal, beim Abschluss von Betriebsvereinbarungen und bei der Umsetzung der tarifverträglichen Regelungen in die Praxis. Die 53-Jährige, die in Neukirchen-Vluyn lebt, liebt klassische Musik, Kultur und gemeinsame Radtouren mit ihrem Mann.

In der tarifpolitischen Auseinandersetzung mit Betriebsräten und Gewerkschaften vertritt die Unternehmerschaft Niederrhein die Interessen der Unternehmen. Eine undankbare Aufgabe?
Keineswegs. Wir sprechen von Sozialpartnerschaft und leben diese auch. Natürlich verhandeln wir intensiv und wenn es sein muss auch hart. Aber ich habe in all den Jahren noch keinen einzigen Fall erlebt, wo die Fronten verhärtet waren und wir keine einvernehmliche Lösung oder zumindest einen guten Kompromiss gefunden hätten. Der konstruktive Austausch mit den genannten Gremien macht mir persönlich Spaß. Unsere Überzeugung lautet: Eine starke Wirtschaft gedeiht nur in einem partnerschaftlichen Miteinander mit gegenseitigem Vertrauen und Respekt.

Wie stehen Sie zu Homeoffice?
In der Tat ist das seit Ausbruch der Pandemie eine der am häufigsten gestellten Fragen aus unseren Mitgliedsunternehmen. Mobiles und flexibles Arbeiten ist schon lang gelebte betriebliche Praxis. Jetzt – in Zeiten von Corona – ist mobiles Arbeiten ein Ventil, das Infektionsrisiko zu minimieren. Und es entspricht vielfach dem Idealbild des modernen Arbeitens. Allerdings sollte jeder Unternehmer selbst entscheiden, wo und in welchem Umfang Homeoffice für seinen Betrieb Sinn macht. Homeoffice ist ein Instrument, aber kein Allheilmittel. Von der Politik wünsche ich mir, dass sie der Wirtschaft hier mehr Vertrauen schenkt.

Was ist aus juristischer Sicht die größte Herausforderung für die Unternehmerschaft Niederrhein?
Die Arbeitswelt verändert sich rasant und damit auch die Anforderungen an den modernen Arbeitsplatz. Digitalisierung, Ergonomie, das schon angesprochene Mobile Arbeiten, bei dem auch ein vernünftiges Ruhezeiten-Management eine wichtige Rolle spielt, Kurzarbeit in Corona-Zeiten oder Work-Life-Balance sind hier zu nennen. Ideen wie eine Pflegezusatzversicherung müssen juristisch in einen stabilen Rahmen gefasst werden, damit Arbeitgeber wie Arbeitnehmer Sicherheit haben. Bei all dem arbeiten wir konstruktiv mit der anderen Seite am Verhandlungstisch zusammen.


Im Gespräch mit Ralf Schwartz

Ist die Unternehmerschaft Niederrhein gut aufgestellt für die Zukunft?

Grundsätzlich ja. Wir vertreten die Branchen Metall und Elektro, Chemie, Papierverarbeitung, Nahrung und Genuss, Groß- und Außenhandel sowie querbeet die nicht tarifgebundenen Unternehmen. Vorstellbar wäre ein siebter Mitgliedsverband „Gesundheitswesen“, denn dieser wichtige Wirtschaftszweig könnte davon stark profitieren.

Was unterscheidet die Unternehmerschaft Niederrhein von der Industrie- und Handelskammer?

Die IHK nimmt nicht nur, aber doch sehr viele hoheitliche Aufgaben wahr und sichert für die jeweilige Region den fairen Wettbewerb. Wir sind ein Verein, dem die Unternehmen auf freiwilliger Basis beitreten. Unsere Aufgabe besteht darin, als Sozialpartner Tarifpolitik zu gestalten und für unsere Mitgliedsunternehmen das Beste auszuhandeln. Die Aufgaben sind also klar verteilt. Was uns verbindet: Im Schulterschluss mit der IHK sind wir Sprachrohr der Wirtschaft.

Warum ist für Firmen eine Mitgliedschaft bei der Unternehmerschaft Niederrhein interessant?

Salopp gesagt: Mit den ersparten Kosten für nur einen Arbeitsrechtsprozess hat man den Mitgliedsbeitrag schon wieder raus. Und unsere Juristen vertreten das Unternehmen sehr gut. Darüber hinaus verfügen wir über ein veritables Netzwerk, bieten Austausch auf vielfältigen Ebenen an, haben den Finger am Puls der aktuellen Wirtschaftsthemen und die Möglichkeit, das Unternehmen in der Öffentlichkeit zu positionieren. Unter dem Strich ein All-inclusive-Paket. 

Wie würden Sie die Arbeit der Unternehmerschaft Niederrhein charakterisieren?

Wir waren nie ein lauter Verband. Viele kennen uns als Ausrichter von „Jugend forscht“, das ist unser Leuchtturm. Wir sind präsent, wenn es gilt, die Interessen der Unternehmen zu vertreten. Akribisch, nachhaltig, ideenreich, geradlinig und mit starkem Rücken halten wir das Steuer in der Hand. Ich bin davon überzeugt, dass dies der Region Niederrhein als Ganzes zugute gekommen ist.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Ich bin jetzt 58 Jahre und übernehme seit 23 Jahren ehrenamtlich Verantwortung in der Unternehmerschaft Niederrhein. Und es macht immer noch Freude, man lernt täglich dazu. Diesen Enthusiasmus möchte ich gerne weitergeben und junge Unternehmer ermuntern, zu uns auf die Kommandobrücke zu treten und das Schiff Unternehmerschaft Niederrhein auf Kurs zu halten.


Mehr  als  ein Arbeitgeberverband: Die Unternehmerschaft Niederrhein bietet ihren Mitgliedsunternehmen eine Kompetenz-Flatrate durch ein multiprofessionelles Experten-Team. Von arbeitsrechtlicher und arbeitswissenschaftlicher Beratung über tarifpolitische Fragen bis hin zu Öffentlichkeitsarbeit und Weiterbildung – Mitgliedsfirmen bekommen bei der Unternehmerschaft Niederrhein das Rundum-Sorglos-Paket. Aktuell wird es von rund  800  Unternehmen  mit  ca. 90.000 Beschäftigten in Anspruch genommen. Verbandsgebiet ist der linke Niederrhein. Mehr erfahren: www.un-agv.de

Text: Axel Küppers | Bilder: Unternehmerschaft Niederrhein / Niederrhein Edition, Ausgabe 01/2021

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