Wüstenschiffe am Niederrhein
Kamele am Niederrhein. Das klingt zunächst exotisch, ist aber wahr. Natürlich laufen sie hier nicht frei herum. Die im allgemeinen Sprachgebrauch auch „Wüstenschiffe“ genannten Tiere leben auf einer Kamelfarm in Issum. Hier können sie vom Frühjahr bis zum Herbst von Leuten besucht werden, die diese erstaunlichen Tiere mal richtig aus der Nähe kennen lernen möchten.
„Ja, Kamele sind in der Tat ungewöhnlich“, weiß Anja Peters. „Jedes Tier hat seinen ganz eigenen, unverwechselbaren Charakter.“ Die 52-jährige Besitzerin der Issumer Kamelfarm muss es wissen. Sie beherbergt zurzeit 25 Kamele und Dromedare auf ihrem rund sechs Hektar großen Hofgelände. Dabei galt ihre Liebe in jungen Jahren eher den Pferden. Hier bestritt sie damals als Springreiterin immerhin Turniere in der sportlich hochwertigen S-Klasse. Doch dann nahmen ihre beruflichen Verpflichtungen in dem in Duisburg-Rheinhausen ansässigen elterlichen Unternehmen für angewandtes Qualitätsmanagement ihre Zeit so sehr in Anspruch, dass sie den Reitsport aufgeben musste. Was blieb war die Liebe zu Tieren und der Traum, eines Tages eine eigene Pferdefarm zu besitzen.
Auf's Kamel gekommen
Dieser Traum erfüllte sich schließlich vor zwölf Jahren, als sie das inzwischen von den Eltern übernommene Unternehmen verkaufen konnte und den damals noch relativ neuen, aus Weiden, Ställen und einem großen Wohnhaus bestehenden Hof in Issum fand. Hier züchtete sie zunächst Springpferde, bis ihr eines Tages ein alter Freund über den Weg lief, der kurz vorher einem Zirkus drei zu diesem Zeitpunkt ziemlich vernachlässigte Kamele, einen Hengst und zwei Stuten abgekauft hatte, und nun für sie ein liebevolles Zuhause suchte. „Ich wusste damals über Kamele nur das, was auch andere Leute wussten“, erinnert sich Anja Peters mit einem Lächeln: „Zum Beispiel, dass sie in der Sahara als Lasten- und Reittiere dienen, aber auch Fleisch, Milch und Wolle liefern. Und dass sie heute gerne von Touristen geritten werden.“ Was sie außerdem wusste, war, dass Kamele im Gegensatz zu Pferden keine Fluchttiere sind, sondern im Gegenteil, sehr wehrhaft sein können. „Ehrlich gesagt, hatte ich anfangs vor ihnen sogar ein wenig Angst. Vor allem vor dem Hengst.“ Dennoch kaufte sie dem Freund die drei Tiere ab, und war angenehm überrascht, wie „interessant, eigenwillig, und trotzdem ungewöhnlich freundlich“ sie waren, und „wieviel Ruhe und Souveränität sie ausstrahlten“.
Natürlich war das Ganze auch eine Herausforderung für mich“, erzählt sie weiter. „Ich habe mir dann, um mit ihnen nichts falsch zu machen, von einer professionellen Kameltrainerin alles über Haltung, Pflege und Ernährung von Kamelen beibringen lassen.“ Eine weise Maßnahme, denn wenig später brachte ihr Freund noch vier weitere Kamele, die sie, weil er Deutschland demnächst verlassen wollte, ebenfalls kaufte. „Ja und? Was mache ich jetzt mit ihnen?“ hatte sie ihn damals etwas hilflos gefragt? „Du könntest sie zum Reiten für Besucher anbieten“, lautete sein Vorschlag. „Schließlich sind sie als Reittiere ausgebildet. Das wäre doch eine Möglichkeit?“ „Warum nicht?“ Aber wie das Angebot erstmal bekannt machen? Mit ihrer Erfahrung als gelernte Industriekauffrau und langjährige Qualitätsmanagerin entschied sie sich dabei, im Internet eine Art Gutschein-Kampagne für Ausritte, Wanderungen oder einfach nur zum Kennenlernen ihrer Kamele zu starten, was auch gelang. Allerdings erst nach einer längeren Anlaufzeit. „Damals war ich schon kurz davor, die Idee wieder aufzugeben“, erzählt sie: „Aber dann kamen die Leute plötzlich mit ihren Gutscheinen an. Da konnte ich sie ja nicht einfach wieder nach Hause schicken.“ So hatte schließlich alles angefangen.
Dromedar-Mann Abu ist der Star der Issumer Kamelfarm
Heute leben, bis auf ihr letztes Springpferd Carino, das dort als 30-jähriger Hengst sein Gnadenbrot hat, auf Anja Peters‘ Farm keine Pferde mehr. Dafür aber inzwischen 25 Kamele und Dromedare, und wenn es nach ihr geht, sollen es demnächst noch ein paar mehr werden. „Leider mussten wir unseren letzten Kamelhengst erst kürzlich einschläfern lassen, aber ich habe meine Fühler schon nach einem neuen ausgestreckt“, berichtet sie. Die übrigen auf der Farm lebenden männlichen Tiere sind alles Wallache, können also keinen Nachwuchs zeugen. Das gilt auch für Dromedar-Mann Abu. Mit seinem schneeweißen Fell und seiner imposanten Gestalt ist er der Star der Issumer Kamelfarm und geht auch schon mal mit den örtlichen Sternsingern von Haus zu Haus. Wie die meisten anderen Kamele auf der Farm lässt er sich aber auch gerne reiten und streicheln, was vor allem für kleine Besucher ein ganz besonderes Erlebnis ist. „Wir hatten hier vor einiger Zeit mal eine Gruppe behinderter Kinder. Eines davon war autistisch und sprach mit niemandem“, erinnert sich Anja Peters. „Und dann begann der Junge nach etwa einer Stunde zur Verblüffung der Begleiterinnen mit einem der Kamele zu sprechen. Die Tiere haben einfach eine besondere Ausstrahlung.“ Das habe sie übrigens auch schon an sich selber festgestellt: „Früher hatte ich oft einen viel zu hohen Blutdruck, aber seit ich mit den Kamelen arbeite, ist das vorbei.“ „Also so ähnlich wie Schwimmen mit Delphinen.“ „Nein, nein“, winkt sie dazu vehement ab. „Meine Kamele sind keine Therapeuten. Und ich auch nicht. Dazu habe ich zu wenig Ahnung von der Materie. In solchen Fällen erwarten wir, dass die Gruppen von sachkundigen Betreuern, beziehungsweise ausgebildeten Therapeuten begleitet werden. Wir erarbeiten aber gerne mit ihnen zusammen ein entsprechendes Konzept.“
Für alle anderen Besucher ist die Begegnung mit den majestätischen Issumer Wüstenschiffen jedoch eher ein ungewöhnliches Freizeitvergnügen. Dafür muss man übrigens nicht unbedingt auf ihnen reiten, sondern kann auch nur mit ihnen spazieren gehen, sie füttern, streicheln oder sich mit ihnen fotografieren lassen. Einige von Anja Peters Kamelen waren aber auch schon auf Junggesellenabschieden, Hochzeiten, Stadtfesten und Werbeveranstaltungen. Besonders gefragt sind jedoch die von ihr auf der Farm organisierten Kindergeburtstage. „Kamele sind unheimlich geduldig und friedfertig. Sie lassen sich gerne streicheln und riechen außerdem ganz toll. Das mögen die Kinder“, weiß Anja Peters und hat deswegen in ihrem Wohnhaus zusätzlich einen kleinen Laden eingerichtet, in dem ihre Besucher zur Erinnerung neben kuscheligen Plüschkamelen und anderen Souvenirs auch hochwertige Kamelhaarwolle kaufen können. Dass auch ein paar Knäuel vom Winterfell ihres majestätischen, weißen Abu mit dabei sind, konnte Anja Peters jedoch nicht garantieren.
Weitere Informationen
www.kamelfarm-am-niederrhein.de
www.facebook.com/KamelfarmamNiederrhein/
[Text: Jutta Langhoff | Fotos: Anja Peters, Jutta Langhoff | NiederRhein Edition, Ausgabe 01/2020]