Zugegeben der Titel des Buches mag in Anbetracht der derzeitigen Lage in der wir uns alle durch Covid-19 befinden irritieren und zynisch klingen. »Frohe Botschaft: Es steht nicht gut um die Menschheit – aber besser als jemals zuvor« von Walter Wüllenweber ist allerdings bereits 2018 im Verlag DVA erschienen. Also lange vor der Corona-Pandemie. Seither habe ich das Buch allerdings immer mal wieder zur Hand genommen und darin gelesen. Und ganz besonders aktuell, wenn einem alles nur noch düster und schwarz vorkommt, kann es durchaus hilfreich dabei sein, sich einzunorden und zu erkennen, dass es eben nicht nur Schwarz oder Weiß gibt sondern auch ganz viele Grautöne und Lichter dazwischen. Die »Frohe Botschaft« ist sicher nicht der Weisheit letzter Schluss, aber Walter Wüllenweber zeigt auf wieviel gute Nachrichten, positive Entwicklungen und Ergebnisse in den letzten Jahrzehnten es eigentlich gegeben hat und gibt. Wir nehmen die guten Nachrichten einfach oft nicht mehr wahr oder verdrängen das Gute schlicht ganz schnell wieder. Wüllenweber zeigt Fakten auf und zieht Vergleiche und selbst wenn man vielleicht nicht bei allem den freudig nickendenden Wackeldackel macht, so regt es zum Nachdenken und Perspektivwechsel und vielleicht auch ein bisschen zur Selbstreflexion an.
Wenn man sich die belgebaren Fakten wie z.B., dass wir in Deutschland Stand 2018/2019: die Massenarbeitslosigkeit überwunden haben, der Staatshaushalt im fünften Jahr in Folge ausgeglichen gewesen ist (wovon wir sicherlich auch gerade jetzt profitieren), die Kriminalitätsrate auf dem niedrigsten Stand der Wiedervereinigung und Ostdeutschland die wirtschaftlich stärkste Region des gesamten ehemaligen Ostblocks ist – dann möchte man doch das Fenster aufreißen und rausbrüllen: „Nehmt das, AFD und Konsorten!“
Wir haben es geschafft, dass sich das Ozonloch wieder schließt. Milliarden Chinesen und Inder haben es seit den 1980er Jahren geschafft sich aus bitterster Armut zu befreien und sind in eine gesicherte Mittelschicht aufgestiegen. Kinderarbeit, Kindersterblichkeit und Analphabetismus konnten in den letzten drei Jahrzehnten entscheidend reduziert werden. Terror und Krieg bestimmen zwar die Nachrichten, doch weltweit ist die Wahrscheinlichkeit, bei kriegerischen Kampfhandlungen getötet zu werden, heute siebenmal geringer als noch in den 1970er Jahren. Und in Westeuropa ist die Zahl der jährlichen Terroropfer im selben Zeitraum um 85 Prozent gesunken. [Auszug aus »Frohe Botschaft: Es steht nicht gut um die Menschheit – aber besser als jemals zuvor« von Walter Wüllenweber]
Natürlich ist dadurch noch lange nicht alles gut und es gibt noch viel zu tun, aber es sind doch sensationell positive Entwicklungen, die auch Mut machen. Die deutlich machen, dass sich all die Mühen lohnen – auch wenn es manchmal etwas Zeit braucht.
Dennoch: diese Meldungen dringen nicht in unser Bewusstsein vor. Oder hätte das einer von euch so auf dem Schirm gehabt?
Der Pessimismusreflex
Grund dafür ist eine physiologische Überlebensreaktion: der Pessimismusreflex. Der, wie könnte es anders sein, wohl ein Erbe unserer steinzeitlichen Vorfahren ist. Diesen Pessimismusreflex, so erklärt es Wüllenweber, machen sich auch die Medien zu Nutzen. Seit den 1960er Jahren hat sich die Mediennutzungszeit in Deutschland verdreifacht, auf 10 Stunden pro Tag. Das beginnt mit dem Radiowecker oder dem Blick aufs Handy am Morgen, zahlreichen Meldungen über Kriege, Hungersnöte, Koalitionsstreits, Anschläge, entgleiste Züge in Australien, etc. über den Tag verteilt, bis zu dem Moment bevor wir Abends wieder einschlafen. „Alle diese Meldungen sind korrekt, wichtig, und es ist notwendig, sie zu verbreiten. Doch zusammen erzeugt der ununterbrochene Strom richtiger Horrornachrichten ein falsches Bild: Alles verschlechtert sich“, so Wüllenweber. Hinzu kommt, wie Medienwissenschaftler herausgefunden haben, dass die Meldungen, die über Social Media-Kanäle verbreitet werden, durchweg erheblich negativer, alarmistischer sind, als die Nachrichten in klassischen Medien. Es ist also durchaus nachvollziehbar, dass „Frohe Botschaften“ bei all dem täglichen medialen Overflow dem wir uns aussetzen, kaum eine Chance haben kann gegen den steinzeitlichen Pessimismusreflex in unserem Gehirn.
Dank Wüllenwebers „Froher Botschaft“ bin ich mir nicht nur meines Pessimismusreflex bewusst geworden, sondern habe auch noch manch anderen wirklich interessanten Blickwinkel kennengelernt. Die „Frohe Botschaft“ ist unterhaltsam und Walter Wüllenwebers Worten kann man wirklich gut folgen, denn er schreibt nicht von oben herab. Deshalb: Wer jetzt neugierig geworden ist, den möchte ich nicht länger aufhalten. Denn auch, wenn die Menschheit in den letzten Jahrzehnten den größeren Fortschritt in ihrer Geschichte bewirkt hat, so reicht das noch lange nicht. (Anmerkung: Nein das ist jetzt kein Pessimismusreflex). Um Herausforderungen wie den Klimawandel, die rasante Digitalisierung und die noch immer obszön ungerechte Verteilung des Reichtums zu bewältigen, Herr über eine Pandemie zu werden, muss die Welt noch eine Schippe drauflegen. Unsere Gesellschaft hat gelernt, aus ihren Fehlern zu lernen. In Zukunft muss sie zusätzlich auch die Lehren aus ihren Erfolgen ziehen, aus den frohen Botschaften.
In dem Sinne, frohes Lesevergnügen!
[Text: Sonja Raimann]