Bauhaus mit Stijl

Zu Besuch auf der Prins Hendriklaan 50 in Utrecht

Das Rietveld-Schröder-Haus auf der Prins Hendriklaan 50 in 3583 EP Utrecht, Niederlande Foto: Rietveld Schröderhuis (Sammlung Centraal Museum), Fotografie Stijn Poelstra

Text : Axel Küppers |  Bilder: Axel Küpers, NBTC, Rietveld-Schröder-Haus (Sammlung Centraal Museum) / NiederRhein Edition, Ausgabe 02/2019

Wir schreiben das Bauhausjahr 2019. In den Niederlanden heißt Bauhaus „De Stijl“. Nirgends kann man die holländische Variante besser nachempfinden als an der Prins Hendriklaan 50 in Utrecht. Dort steht ein bis heute avantgardistisch wirkendes Wohnhaus. Der Möbeldesigner Gerrit Rietveld hat es 1924 entworfen und ab 1957 und mit seiner Muse Truus Schröder bewohnt. Die aus gutbürgerlichen Verhältnissen stammende Truus Schröder wohnt von 1925 bis zu ihrem Tod im Jahr 1985 in dem kubischen Bauhaus mit der charakteristischen weiß-grauen Putzfassade, die nur vereinzelt Farbelemente in Rot, Blau und Gelb zulässt. Das kleine Haus im Osten der Stadt – damals noch mit Ausblick auf die Polderlandschaft – gilt als architektonischer Höhepunkt von „De Stijl“ – eine Ikone des Bauhaus. Rietveld hat später sein Atelier im Erdgeschoss des Hauses. Er lebt dort bis zu seinem Tod 1964. Das Rietveld-Schröder-Haus steht seit 1976 unter Denkmalschutz und seit 2000 auf der UNESCO-Liste des Welterbes. 

Das Rietveld-Schröder-Haus wäre undenkbar gewesen ohne die Liaison von Bauherrin und Architekt. Die aus einem katholischen Elternhaus stammende Truus Schröder-Schräder gilt als eine der ersten Freidenkerinnen ihrer Zeit. Nach dem Tode ihres Ehemannes, dem Rechtsanwalt Frits Schröder, will sie aus dem bürgerlichen Ambiente raus. Das Haus entstauben, vom Muff befreien, Luft und Licht reinlassen, Ideen Raum geben. Und findet in Rietveld einen Kreativen, der ihren Phantasien einen Ausdruck gibt. Aus einer Art Urgewalt des Handwerks und ohne akademische Ausbildung geht der Möbeldesigner an die Entwürfe, die er erst später – wenn überhaupt - in Zeichnungen fasst. Aber immer konsequent umsetzt. Als Mitglied von „De Stijl“ kann Rietveld sich in dem Auftrag verwirklichen und den universellen Stil umsetzen: klar, nüchtern, ohne überflüssige Elemente.

Typisch Rietveld: Es gibt gerade mal drei Skizzen vom Hausentwurf. Der Rietveld-Stuhl in Rot und Blau – reduziert, zackig und für die meisten Popos unbequem – spielt im Mobiliar an der Prins Hendriklaan 50 natürlich eine zentrale Rolle. Aber Rietveld ist alles andere als selbstverliebt in seine Entwürfe. Ihm ist wichtig, dass seine Möbel maschinell zu fertigen sind, was seinem sozialen Engagement entspricht: die Massenproduktion soll geringere Preise garantieren, so dass sich auch ein Handwerker einen Stuhl oder ein Bett aus der Werkstatt des Meisters leisten kann. Da das Haus mit seinen riesigen Fensterflächen und den großflächigen glatten Fassadenteilen gegenüber der Nachbarbebauung im eher kleinzeiligen Charakter heraussticht und atypisch für ganz Utrecht ist, muss Rietveld gegenüber den Baubehörden eine Menge Überredungskunst anwenden. Bis es zur Realisierung des Wunschhauses einer emanzipierten Frau am Ende der Straße zum Polder hin kommt, ist es ein steiniger Weg. Die Zeit scheint noch nicht reif für moderne Hausbauer.

Architekten wie Berlage bestimmen die Szenerie in den Niederlanden. Doch diesen Geist will Tuus Schröder aus ihren Gemächern vertreiben. Am Ende entsteht auf 225 Quadratmetern für 17.000 Gulden eine Idee von Haus, die den Historismus eines Berlage hinter sich lässt und stilbildend für die Moderne ist. „Dieses Haus verströmt einen starken Sinn von Freude“, schreibt Truus Schröder in ihren Tagebüchern. „Und das ist eine reine Frage der Proportionen und des Lichts; dem Licht im Haus und dem Licht draußen.“ Kein Architekt in heutiger Zeit wird leugnen, dass es sich für die damalige Zeit vor knapp 100 Jahren um einen radikalen Entwurf gehandelt hat. Aus der inspirierenden Beziehung heraus schafft Gerrit Rietveld in der Folge in der näheren Umgebung, aber auch in Amsterdam, in Haarlem und anderswo Stadthäuser, luftige Sommerresidenzen, Kinos, Appartements und weitere Gebäude, die aus dem Geiste des Bauhaus konzipiert sind.

Rietvelds Ursprünge

1888 in Utrecht geboren, fängt der kleine Gerrit bereits mit elf Jahren an, in der Möbelwerkstatt des Vaters zu arbeiten. 1917 eröffnet der Tischler aus einfachen Verhältnissen sein eigenes Möbelgeschäft. Vier Jahre später kommt es zur ersten Begegnung mit Truus Schröder. Der streng protestantisch erzogene Rietveld entwirft für die wohlhabende Katholikin einen Raum in deren Haus an der Biltstraat 135 in Utrecht. Als die Partner von beiden versterben, ziehen die Stilästheten aus so unterschiedlichen Milieus schließlich in Liebe ergeben zusammen. Eine moderne Ehe ohne Trauschein. Für die insgesamt neun Kinder aus vorheriger Partnerschaft ist es nicht immer einfach …

Die Moderne bricht sich Bahn

Ab 1925 wird aus dem Möbeldesigner im Studio an der Prins Hendriklaan 50 ein Schaffender von internationalem Rang, der Architekturgeschichte schreibt. Es ist die Zeit der Industrialisierung, die Moderne bricht sich Bahn, die Kultur bekommt Flügel. Sieben Jahre später entwirft Rietveld den Zickzack-Stuhl, der bis heute sein Markenzeichen ist und in seiner reduzierten Form dem Geist der Epoche entspricht. Er steht in Utrecht in fast jedem Schaufenster. Auftritte in Wien, Amsterdam, Venedig, Arnheim und Amersfoort begründen den Weltruhm. Ganze Wohnsiedlungen und Stadtteile tragen den Stempel des Utrechters.

Von all dem spürt der Tourist eine Menge, wenn er an der Prins Hendriklaan 50 sein Auto parkt, das Rietveld-Schröder-Haus besichtigt und sich auf einen Spaziergang in die Utrechter City einlässt. Von den Poldern, die Truus Schröder verzauberten, ist leider nichts mehr zu sehen. Statt dessen zieht eine Hauptverkehrsader fast durch den Garten des Rietveld-Schröder-Hauses. Aber die Utrechter Stadtväter haben diese Bausünde so gut es geht kaschiert. 

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Nach „100 Jahre Bauhaus“ darf Utrecht in fünf Jahren das Jubiläum „100 Jahre Rietveld-Schröder-Haus“ feiern. Die stilbildende Brücke quer durch Europa verläuft von Dessau über den Niederrhein nach Utrecht. 

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Das Rietveld-Schröder-Haus ist seit 1987 als Museum für die Öffentlichkeit zugänglich und Teil des ‚Centraal Museums Utrecht‘. Bereits 1970 gründete Truus Schröder eine Stiftung, in deren Besitz das Huis in guten Händen ist. Von hier aus bis zum zentralen Domplein sind es 2,2 Kilometer Fußmarsch, die sich auch bei schlechtem Wetter gut bewältigen lassen. Auf diesen 2200 Metern wandert der Kulturinteressierte förmlich von der Moderne ins Mittelalter. Das Mittelalter spiegelt sich im Stadtkern durch Kanäle, christliche Denkmäler, den Dom, prächtige Häuserzeilen und eine altehrwürdige Universität wider. Ohne diese architektonischen Vorgaben wäre ein Rietveld nicht möglich gewesen. Ohne die Bildhauer, Steinmetze und Bildschnitzer in den zahlreichen Kirchen, Klöstern und Abteien hätte es für einen modernen Kreativen der Generation Bauhaus keine Inspiration gegeben. Und ohne das Geld der einflussreichen Kaufleute und wohlhabenden Bürger wohl auch keine Aufträge. 

Die Besichtigung des Rietveld-Schröder-Haus ist dienstags bis sonntags von 11:00 bis 17:00 Uhr möglich – allerdings nur im Rahmen der angebotenen Sonderführungen. Diese Führung mit Audiotour finden fünfmal täglich statt und dauern jeweils etwa eine Stunde. Die Teilnehmerzahl pro Führung ist auf 12 Personen beschränkt und die Führungen heiß begehrt. Wer also das Rietveld-Schröder-Haus auch von Innen erleben möchte, dem sei die rechtzeitige Anmeldung und Buchung der Führung dringend empfohlen!

Weitere Informationen sowie Buchungmöglichkeiten finden Sie auf www.rietveldschroderhuis.nl/de

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