Johanna, breit` den Mantel aus
Vielleicht ist die Familie Gerresheim aber im Krieg auch unversehrt geblieben, weil seine Mutter und er öfter nach Kevelaer gepilgert sind und in der Basilika eine Kerze angezündet haben – wer weiß. Im Alter von sechs Jahren zeichnete er auf jeden Fall das erste Mal das Kevelaerer „Gnadenbild“. Mit einem großen schützenden Mantel habe er die „Trösterin der Betrübten“, die Mutter Maria, „Consolatrix afflictorum“, gemalt, erinnert sich Gerresheim. „Die Skizze habe ich auch noch, leider weiß ich nicht mehr wo.“ Dieses schützende Thema haftet – vielleicht unbewusst – auch seiner aktuellen Darstellung der Düsseldorfer Galeristin und Künstlermäzenin Johanna Ey an. Gerresheim, der ein Anhänger des weltlichen Franziskanerordens ist, baut sie gerade übergroß, fast drei Meter hoch als Bronzestatue – mit einem weiten schwarzen Rock. 19 Künstler zitiert er in das Bildnis hinein, denn ‚Mutter Ey‘ protegierte einst einige bekannte Schaffende in Düsseldorf. „Man kann fast sagen: ‚Johanna, breit` den Mantel aus‘, scherzt Bert Gerresheim. Der bedeutende Surrealist Max Ernst, aber auch Otto Dix sollen ihr mehrfach in Düsseldorf Werke von sich verkauft haben, wenn sie dringend Geld brauchten. „Nach dem Ersten Weltkrieg war sie eine Anlaufstelle für die ‚brotlosen‘ Künstler hier in der Stadt“, erzählt Bert Gerresheim, der Johanna Ey noch persönlich gekannt hat. Sie habe ihm wohl abgeraten den elterlichen Betrieb – eine große Transport-Firma – zu übernehmen. ‚Den Jungen, lasst den mal kritzeln‘, habe sie seinen Eltern nahe gelegt, nachdem sie seine frühen Zeichnungen gesehen hatte. Bloß was mit den Händen solle er machen, denn die können einfach nicht still stehen.
Auch beim Gespräch gestalten seine Hände seine Aussagen mit Nachdruck und visualisieren das Gesagte. Spricht er von der Höhle des Franziskus, in der er aus Recherchegründen mit seinem Mitarbeiter Francisco Ces Hernandez, seiner „rechten Hand“, übernachtet hat, um dann die Bildhaftigkeit des Heiligen Franziskus von Assisi zu erleben, so formt er im Dialog ein überdachtes Rund nach, und zieht den Gesprächspartner wie auf einem Traumpfad in sie hinein. Als Zuhörer erscheint überhaupt alles, was er sagt, plastisch. So nimmt selbst eine Unterhaltung über das kollektive Unbewusste im Sinne des Psychoanalytikers C. G. Jung durch seine Gestik eine bestimmte Kontur an. Man merkt, dieser Mann ist fest in der Realität verankert: bei aller Träumerei, ein Macher. „Viele andere Künstler haben damals Drogen genommen, um ihr Bewusstsein zu erweitern – ich nicht. Ich habe lieber gelesen oder bin in den 1960er-Jahren zu den Originalschauplätzen der Heiligen gereist.“ Gemeint sind die Heiligen, die er porträtieren sollte für die verschiedenen Kirchen, von denen er die Aufträge bekam. So steht die Figur des Heiligen Franziskus jetzt vor einer modernen Kirche in Mönchengladbach, die vom zeitgenössischen Architekten Gottfried Böhm gestaltet wurde.
Mehr als 50 Werke von ihm gibt es allein in Kevelaer zu sehen. Angefangen mit dem gotischen Holzkreuz, das bei einem Kirchenbrand von St. Antonius im Januar 1982 fast vollständig verkohlt wäre und von Bert Gerresheim restauriert und als bronzener Lebensbaum, als Ursprung allen Daseins, umfunktioniert wurde: „Ich habe dem Ausschuss damals gesagt: ‚Ihr seid unter diesem Kreuz getauft worden und gestorben, habt davor geheiratet und die heilige Kommunion empfangen!‘.“ Die Gemeinde bemerkte nach diesen Worten die Bedeutung des Kreuzes für sich und ließ es von ihm erneuern, anstatt ein neues in Auftrag zu geben.Die ‚Kevelaerer Apokalypse’ über dem Westportal der Marienbasilika wurde im Jahr 2002 eingeweiht. „Menschliches – Allzu Menschliches“ findet man in ihr, fast ist es so, als ob sich der Bildhauer Gerresheim auf die Spur des Philosophen Friedrich Nietzsche begeben hat: „Ich wollte einfach eine Darstellung des Jüngsten Gerichts mit Menschen des aktuellen Zeitgeschehens zeigen. Die Kirche denkt ja in Jahrhunderten, soviel Zeit hatte ich nicht.“ Deshalb beschränkte er sich auf sein Zeitalter: Hitler, Mussolini, Stalin, Osama bin Laden, Popieluszko, Johannes Paul II, Mutter Theresa – alle treten vor das Antlitz Gottes. „Ich möchte dabei nicht über die einzelnen Charaktere richten – das tut in dem Fall ein anderer. Ich selbst bin ja neun Monate schon durch das Jüngste Gericht in meiner Werkstatt gestakst – auf 15 Quadratmetern Bronze“, erzählt Gerresheim nicht ohne einen Anflug von Ironie und lächelt.
Mystik, ungewöhnliches und abwegiges
Überhaupt Bildwitz ist seine Waffe. So bekommt die Mutter Ey noch ein wirkliches „Ei“ untergejubelt und der Dichter Heinrich Heine verspürt in einer Statue einen tiefen Riss auf seiner Wange. „Er war ja auch irgendwie zerrissen“, weiß Bert Gerresheim. Irgendwann fanden sich auch die Mitarbeiter des Bayrischen Ministerrats damit ab, als er einen solchen Heine 2010 als Büste für die Walhalla in Donaustauf, der bayrischen Gedenkstätte für die berühmtesten deutschsprachigen Persönlichkeiten, ablieferte. Und in der Marienbasilika zu Kevelaer findet man kleine Erdkröten von ihm als Türstopper für die schweren Bronzetüren an den Portalen. „Jetzt denken manche bestimmt, solche Wesen haben in einem Gotteshaus nichts verloren – aber es sind eigentlich Symbole für die Auferstehung“, erklärt der gläubige Christ. Mystik, Ungewöhnliches und Abwegiges wird weiterhin in seinen Werken mitschwingen. „Denn das macht Kunst aus“, sagt Bert Gerresheim. Und seine innerliche Bildhaftigkeit sowieso.