Das schwarze Schaf vom Niederrhein

Hanns Dieter Hüsch hat als Kabarettist Spuren hinterlassen. Sein Freund Jürgen Pankarz erinnert sich. Der Illustrator aus Kempen hält die Erinnerung an den Kleinkünstler aus Moers wach.

Es war Jürgen Pankarz, der Illustrator aus Kempen, der 1975 seinem Freund Hanns Dieter Hüsch das schwarze Schaf und damit einer ganzen Kabarettisten-Generation eine Symbolfigur schenkte. Foto: Axel Küppers

»Wir sind unsere eigenen Philosophen. Und wenn der Rheinländer auf die Frage „Wie isset?“ „Gut“ sagt, dann sagt der Niederrheiner: „Wie sollet sein?“ Ja, aus uns krisse so schnell nix raus.«
[Hanns Dieter Hüsch]

 

Wer schreibt, der bleibt. Wer zeichnet, auch. Jürgen Pankarz hat die meiste Zeit seiner knapp 78 Lebensjahre gezeichnet. In Kempen, am Niederrhein und in Deutschland dürfte es kaum einen Menschen geben, der nicht schon einmal über die Zeichnungen von Moses geschmunzelt hat. Moses nennen den Illustrator seine Freunde seit Urzeiten. Männekes nennt er selbst seine typischen Figuren. Die fließen Moses zu jeder Tages- und Nachtzeit aus dem weichen Bleistift aufs Papier. Mit leichter Hand, fast schon verträumt, liebevoll beobachtet hat Pankarz sein Talent zum Beruf gemacht und arbeitet seit 52 Jahren selbstständig.

Moses‘ Malereien kommen zwar leicht, aber mit Tiefgang rüber. Ein Eulenspiegel mit Bleistift in der Hand, den Schalk im Nacken, auf leiser Sohle unterwegs, in seinen Bildgeschichten ein Erzähler. Meist merken es seine Mitmenschen gar nicht, wie scharf er sie beobachtet, ihre Marotten und Spleens ins Bild setzt, aber auch ihre Vorzüge pointiert reflektiert. Der Inspektor mit Bauch so dick wie ein Fußball; die Serviererin mit dem allzu tiefen Ausschnitt; der geizige Hagestolz mit den klapprig dürren Beinen; die Bäuerin mit Armpaketen wie Beckhams rechter Oberschenkel; der König mit den Manieren eines Ferkels. Bekannt geworden sind die Illustrationen durch Hanns Dieter Hüsch, den guten Freund. Doch dazu später.

Moses musste, anders als sein biblischer Namenspatron, nicht 40 Jahre auf Wanderschaft gehen, um sich freizuzeichnen. Spätestens mit 15, als er die Schule verließ, hatte er die Ketten abgeworfen, die sein strenger Vater ihm auferlegen wollte. Der alte Herr, preußischer Beamter und von Berliner Chuzpe, zog der Karriere zuliebe mit der Familie von Lübeck nach Duisburg. 1952 war das. Zuvor hatte Moses mit seiner schwedischen Mutter und den beiden Brüdern eine Odyssee erlebt. Der Vater war während dieser Wanderjahre im Krieg. Die Reise führte von Mogilno, Moses‘ Geburtsort in der Nähe von Posen, über Berlin nach Ystad in Südschweden. Drei Jahre später war die Familie wieder zusammen in Lübeck vereint. Pankarz Senior hatte den jüngsten der drei Söhne für akademische Weihen vorgesehen. Dagegen hatte sich Moses erfolgreich gewehrt.

Hanns Dieter Hüsch: „Schlottmann bei dem Silberhochzeit war” ©Jürgen Pankarz- HDH Finartprints
Hanns Dieter Hüsch: „Siste datis daedol utmoers” ©Jürgen Pankarz- HDH Finartprints
Falscher Hase ©Jürgen Pankarz- HDH Finartprints

Als Wandervogel durch die Länder gezogen

Eine natürliche Abneigung gegen preußischen Drill und den rechten Winkel machten dies zunichte. Mit 19 Jahren – wir schreiben das piefige Jahr 1962 – trieb es Moses aus dem engen Zuhause raus in die Welt. Mit Stift, Blatt Papier und den Kopf voller Blödsinn trampte er durch Europa. Als Freigeist in Wandervogel-Kluft zog der Jungspund durch die Länder, vom Polarkreis über Irland bis in den Süden. Wie Heinrich Böll verliebte er sich in die grüne Insel. Kehrt aber bis zum heutigen Tag gerne zurück nach Schweden, wo seine Familie mütterlicherseits herkam und wo der ältere Bruder seit über 60 Jahren wieder lebt. Aber weder von der Mutter noch vom Vater hat Moses wohl sein Zeichentalent geerbt, bekennt er freimütig. „Doch es gab“, erinnert er sich, „da einen Urgroßvater, der im 19. Jahrhundert in Stockholm als Fotograf unterwegs war – als diese Form der Bildkunst gerade laufen lernte.“

Vielleicht rührte es daher, dass Moses in den 1960er-Jahren in einer Duisburger Fotowerkstatt ein einjähriges Volontariat antrat. Es folgte eine dreijährige Lehre als Trickfilmzeichner in Düsseldorf. Die Grundkenntnisse des Sehens hat er während dieser zwei Stellen erworben. Vertieft wurde dies in seiner einzigen Station als Angestellter in der Essener Agentur „Die Werbe“. Sie gehörte zu der Zeit zu den drei größten Werbeagenturen Deutschlands. Nach der Lehrzeit arbeitete er dort sieben Jahre. Spätestens seitdem weiß er, wie Werbung funktioniert. Und dass Tiefe häufig an der Oberfläche zu finden ist. „Wenn’s um die Wurst geht“ oder „Mach mal Pause“ sind Werbeslogans, mit denen sein Agentur-Chef für Furore sorgte. Opel, Schwarzkopf, Coca-Cola … – alles wird mit Stift markenbildend stilisiert und dem sich nach leichten Bildern sehnenden Volk präsentiert. Diese sieben Essener Jahre waren es, in denen sich Moses künstlerisch entwickelte und seinen eigenen Stil fand.

Moses in seinem kreativen Refugium. Foto: Axel Küppers
Moses in seinem kreativen Refugium. Foto: Axel Küppers
Moses‘ Malereien kommen zwar leicht, aber mit Tiefgang rüber. Ein Eulenspiegel mit Bleistift in der Hand, den Schalk im Nacken… Foto. Axel Küppers

St. Huberter Mühle als Troubadouren-Herberge

Weil Moses das Flachland und die Natur liebt, zog er 1966 an den Niederrhein in das ländliche Dorf St. Hubert. Dort baute er die Wackertapp-Mühle aus. Dabei handelt es sich um ein Denkmal des Kempener Stadtteils, erbaut im Jahr 1842. Mittlerweile gehörte der zeichnende Vagabund, noch Junggeselle, zu einem kreativen Freidenker-Zirkel. Als Troubadouren-Herberge probten dort singende Poeten wie Schobert & Black, Ulrich Roski, Hannes Wader und viele mehr ihr taufrisches Liedgut aus dem Gitarrenkoffer. Womit wir bei Hüsch wären. Hanns Dieter, der große Kabarettist, das Schwarze Schaf vom Niederrhein, 1925 in Moers geboren, war gerne und ausgiebig in Moses‘ Mühle zu Gast. Wie Pankarz war er zwar ein Verehrer von Willy Brandt und dessen sozial ausgerichteter Politik. Aber in eine Schublade stecken lassen wollten sich die beiden nie. Eben in jenem historischen Jahr 1968 lernte Moses Hanns Dieter Hüsch bei den „Essener Songtagen“ unter schwierigen Umständen kennen. Die sozialistischen Studenten wollten Hüsch einen politischen Stempel auf die damals noch haarbelaubte Stirn drücken und störten seine Auftritte. Das wühlte den feinsinnigen Hüsch auf.

Collage mit Hanns Dieter im Matrosenanzug

Am 6. Mai 1975 war es dann, als Moses seinem Freund Hüsch das schwarze Schaf und damit einer ganzen Kabarettisten-Generation eine Symbolfigur schenkte. „Mein Geschenk zum 50. Geburtstag war ein kleines Bild – eine Collage mit Hanns Dieter im Matrosenanzug, mit Reif und Stöckchen und einem schwarzen Schaf in einer fotografierten Niederrhein-Landschaft“, erinnert sich Moses an die nette Gesellschaft zu fünft. „Kieler Anzugsmutation“ nannte Hüsch selbst diese Darstellung. Er war spontan begeistert und wünschte sich später ein Tourneeplakat und ein Platten-Cover mit diesem Motiv. Durch seine Geschichten als „Schwarzes Schaf vom Niederrhein“ erreichte Hüsch Popularität als Unterhaltungskünstler in breiten Bevölkerungsschichten. Der Titel „Das schwarze Schaf vom Niederrhein“ war aber auch eine Anspielung auf das damalige Verhältnis zu seiner Heimatstadt, wo Hüsch als zu politisch, zu links und zu krass galt. Jürgen Pankarz: „Deshalb hat er lange Zeit einen großen Bogen um Moers gemacht.“ Angenähert hat er sich später seiner Heimatstadt durch die Freundschaft mit Holk Freytag, dem Intendanten des Moerser Schlosstheaters.

Das Andenken des 2005 verstorbenen Freundes hält Moses in vielfältiger Weise hoch. Eine würdige Erinnerungsstätte in Moers, die Ausgabe „Der große Hüsch“ im zweibändigen Schuber, unzählige illustre Lesungen und Kleinkunst-Abende gehen auf Pankarz‘ Initiative zurück. Typisch sind die Hüsch-Figuren, die Moses als der kongeniale Partner von Hanns Dieter Hüsch geschaffen hat und die die Erinnerung wachhalten. Solche Figuren tauchen in vielfältigen Variationen im Schaffenswerk von Moses bis heute in Büchern, Spielen, Plakaten, Puzzles, Platten- und CD-Covern oder Emblemen auf. Insgesamt hat Moses fünf Bücher zusammen mit Hüsch gemacht.

Moses Collage mit Hanns Dieter im Matrosenanzug: Kieler Anzugsmutation“ nannte Hüsch selbst diese Darstellung. Foto: Axel Küppers
Moses Erinnerungsstücke: Tourplakat HDH
Moses Erinnerungsstücke: Tourplakat HDH
Jürgen Pankarz mit unserer NiederRhein Edition. Foto: Axel Küppers

Pfingstmontag Spargelessen auf dem Bliexhof

Auf dem Bliexhof, einen Steinwurf von der Mühle, gibt es bis heute immer am Pfingstmontag ein Spargelessen zu Ehren von Hanns Dieter Hüsch. Daran nehmen neben Weggefährten und Freunden die Witwe Christiane Hüsch-von Aprath teil. Das bäuerliche Anwesen Bliexhof hat Pankarz 1980 erworben und behutsam restauriert. Moses lebt und arbeitet dort seit 1994, zusammen mit seiner Frau Ulla. Das Anwesen teilt er sich mit seinem Sohn Florian und dessen Familie. Die drei Jahre ältere Tochter Nina lebt in Bonn. Die ganze Familie inklusive der sechs Enkelkinder ist sich einig: Hüsch und Moses sind nicht nur Brüder im Geiste, sondern ähneln sich auch äußerlich. „Wir sind Zwillingsbrüder“ hatte Hüsch einmal Mitte der 1990er-Jahre bei einem Talk in Kempen auf die Frage einer Besucherin geantwortet, woher die Ähnlichkeit käme.

Was kann jetzt noch kommen? Mit noch nicht einmal 80 Jahren hat Moses alles erlebt. Doch das schwarze Schaf, das natürlich als Skulptur in seinem Bliexhof-Garten grast, hat immer noch Hunger nach Leben, nach Kreativität, nach Kultur, nach Menschlichkeit in ihrer reinsten Form. Über eine späte Freundschaft mit dem Kempener Bildhauer Manfred Messing hat Moses in den letzten Jahren erfahren, dass Sehen nicht zwingend nur zweidimensional wie seine Zeichnungen und Fotografien sein muss. Über Papierplastiken beispielsweise könnte dieser Weg führen.

Wie alle großen Künstler, so spürt auch Moses in der Reife des Alters eine neue Perspektive in sich. Vor dem inneren Auge hat sie sich bereits aufgetan, nicht nur bei den täglichen Fahrradtouren am Niederrhein, seinen Fotosafaris mit der Leica oder den heimischen Kochfestivals in trauter Runde mit Pankarz am Herd. Wir dürfen gespannt sein, was da noch kommt…  

Pankarz zu…
... seiner Begegnung als Kind mit dem rheinischen Katholizismus:  
»Das war für mich ein Kulturschock.«
... Hüschs Liebe zum Zugfahren und seine Kenntnisse über sämtliche Fahrpläne:
»Er war das wandelnde Kursbuch der Bundesbahn.«
... Ideen, die ihn bewegen:
»Es fehlt einfach die Zeit, sie umzusetzen.«
... seiner Liebe zum platten Land:
»In den Bergen leben – das kann ich nur im Urlaub.«
... seine Beziehung zu Fast-Food und seinen Lieblingsplatz in der Bliexhof-Küche:
»Kochen vor Wut.«


Text: Axel Küppers | Bilder: Axel Küppers und Jürgen Pankarz | NiederRhein Editon, 01/2021
 

 

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