Text + Bilder: Axel Küppers | Niederrhein Edition, Ausgabe 01/2019
Fachkräftemangel, Akademisierungswelle, demographischer Wandel – mit Blick auf diese drei Schlagworte liegt Jürgen Steinmetz kein Thema mehr am Herzen als Ausbildung und Berufsqualifizierung. „Es ist für die Entwicklung unserer Wirtschaft von entscheidender Bedeutung, junge Menschen gut auszubilden und so die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft zu stellen“, sagt der Hauptgeschäftsführer der IHK Mittlerer Niederrhein. Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen ist der 51-Jährige mit Blick auf die aktuellen Zahlen optimistisch, dass sich Industrie und Handel am Niederrhein entwickeln. Als „ausgesprochen erfreulich“ kommentiert der gebürtige Krefelder die Zahl 4446. Das sind die Ausbildungsverträge zum Herbst 2018. Die Zahl liegt, so Steinmetz, mit 106 über dem Vorjahresniveau. „Mit diesem Plus liegen wir deutlich über dem Landestrend.“
Jürgen Steinmetz ist dabei alles andere als ein Statistiker. Er sucht vielmehr den direkten Draht zu den Unternehmen und zum Nachwuchs. Das entspricht seinem Naturell. Im eher ländlichen Kaarst-Büttgen zwischen Neuss und Mönchengladbach aufgewachsen, prägen der Fußball und das Brauchtum seine Kindheit und Jugend. Die Rolle, die er in der Elf stets einnahm, ist bezeichnend für sein Wesen: „Das zentrale Mittelfeld war meine Position. Mein Vater war mein erster Trainer. Er hat mir Tugenden wie Teamfähigkeit, Ehrgeiz und Fairness vermittelt.“
„Wenn es notwendig ist, dann muss ich auch mal die Grätsche der Kritik ausfahren.“
Als Denker und Lenker macht Jürgen Steinmetz später auf sich aufmerksam, ob als Abiturient des Georg-Büchner-Gymnasiums, als Absolvent der Düsseldorfer Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, in der Verwaltung des Rhein-Kreises Neuss oder seit 2015 bei der IHK Mittlerer Niederrhein. Dort schätzt das Präsidium seine Fähigkeiten und hat den Vertrag mit ihm vorzeitig bis 2027 verlängert. „Die IHK hat sich mit Jürgen Steinmetz prima entwickelt, vor allem in den Bereichen Politikberatung, Dienstleistungen für kleine Unternehmen sowie Aus- und Weiterbildung“, sagt Präsident Elmar te Neues. Die „erfreulichen Zahlen“, die Jürgen Steinmetz zusammen mit Vertretern der Arbeitsagenturen sowie der Kreishandwerkerschaften präsentierte, sind auch das Ergebnis von vielen Gesprächen, Brückenbauen, Klinkenputzen und programmatischen Ansprachen. „Wenn es notwendig ist, dann muss ich auch mal die Grätsche der Kritik ausfahren“, sagt Jürgen Steinmetz, wobei er – typisch für ihn – dabei spitzbübisch die Mundwinkel hochzieht. Der Sohn eines Kaufmanns meint es immer gut mit den Betrieben, mit der Jugend und „seiner“ Scholle Niederrhein. Deshalb hört man ihm auch genau zu, wenn er mal den Finger in eine Wunde legt. „Für viele Jugendliche, die schnurstracks zur Uni wollen, wäre es besser, wenn sie erst mal eine Ausbildung machen würden“, sagt der Diplom-Verwaltungswirt. Jürgen Steinmetz ist ein ausgesprochener Fan der dualen Ausbildung auf der einen Seite und der differenzierten Angebote der Wirtschaft auf der anderen Seite: „Neben den zehn beliebtesten Berufen im kaufmännischen und gewerblich-technischen Bereich bieten sich den jungen Leuten in unserer Region Chancen in Sparten, die weniger bekannt sind.“ Da hat er Kaufleute im Gesundheitswesen ebenso im Blick wie den Packmitteltechnologen. „Diese Ausbildungen können Türöffner für eine weitere berufliche Laufbahn mit Aufstiegsmöglichkeiten sein“, betont Steinmetz. Im IHK-Bezirk Mittlerer Niederrhein mit Krefeld, Mönchengladbach und den Kreisen Viersen und Neuss bieten zurzeit fünf Unternehmen eine Ausbildung zum Packmitteltechnologen an. „Dieser Beruf hat Zukunft, weil sich die Packmittelhersteller stetig neuen Technologien und Kundenanforderungen stellen müssen.“ Um diese positiven Botschaften zu verbreiten, fährt Jürgen Steinmetz 45.000 Kilometer im Jahr durch den IHK-Bezirk.
„Unternehmen müssen junge Leute ausbilden, die nicht zu 100 Prozent den Anforderungen entsprechen. Und junge Leute auch eine Ausbildung machen, die nicht ihrem ersten Wunsch entspricht oder lange Anfahrtzeiten notwendig macht.“
Das „Konjunkturrisiko Nr. 1“ Fachkräftemangel und erkennbar sinkende Zahlen bei Schulabgängen erfordern laut Steinmetz Flexibilisierung auf beiden Seiten: „Unternehmen müssen junge Leute ausbilden, die nicht zu 100 Prozent den Anforderungen entsprechen. Und junge Leute auch eine Ausbildung machen, die nicht ihrem ersten Wunsch entspricht oder lange Anfahrtzeiten notwendig macht.“ Unsere Tournee mit Jürgen Steinmetz am Niederrhein beginnt am Krefelder Nordwall 39. Dort hat die IHK Mittlerer Niederrhein ihre Hauptgeschäftsstelle. Einen Steinwurf von seinem Büro entfernt befindet sich das Prüfungs- und Weiterbildungszentrum, das 2016 in Betrieb genommen wurde. Transparent, offen, lichtdurchflutet: Es riecht nach Bildung und Innovation. „Hier werden pro Jahr über 400 Seminare angeboten“, sagt Jürgen Steinmetz. Das Zentrum steht für die Aufbruchstimmung, die die IHK der bildungsbereiten Jugend vermittelt.
Station Nr. 2 ist der Neusser Hafen. Der Blick von der Hammer Landstraße am ehemaligen Seitenarm des Rheins auf die fünf Hafenbecken ist für Jürgen Steinmetz Symbol für Heimat, Wirtschaftskraft und die besondere Form der niederrheinischen Ästhetik, die er so mag. Ölmühlen, Containerstationen, Hebekräne, Kontore von Feinkostproduzenten oder Automobilzulieferern sowie die Produktionsstandorte verschiedener Firmen bestimmen die Kulisse. Wenn er den Kopf wendet Richtung Münster St. Quirinus, sieht er sich vor dem inneren Auge als Schütze in der schwarz-gold-grünen Uniform des Hubertuscorps durch die Innenstadt marschieren. Nach einem Wimpernschlag Nostalgie ist Jürgen Steinmetz wieder im Hier und Jetzt: „Die verkehrliche Infrastruktur liegt mir am Herzen. Vor dem Hintergrund, dass unsere Straßen mehr und mehr verstopfen, sollten die Binnenschifffahrt und die Häfen Neuss und Krefeld eine zunehmend wichtige Rolle spielen.“
Die Elf vom Niederrhein ist tief in der DNA des IHK-Kapitäns verwurzelt.
Station Nr. 3 führt geradewegs in den Mönchengladbacher Westen an die Hennes-Weisweiler-Allee 1. Im Borussia-Park leuchten die Augen des immer noch ballverliebten IHK-Kapitäns. Im Stadion lässt er den Derby-Star noch ebenso elegant tanzen wie früher im Trikot des VfR Neuss. Die Pokale der Fohlen, der Blick in die Nordkurve, das satte Grün des VfL-Rasens, Currywurst und Altbier, die XXL-Poster von Idolen wie Jensen, Netzer, Simonsen und Bonhof – all das ist tief in der DNA des 1967er-Jahrgangs verwurzelt. Zur Zeit seiner Geburt, als ein 21-jähriger Verteidiger namens Hans-Hubert Vogts aus Büttgen seine Weltkarriere startete, gingen die Spiele noch 8:2 oder 10:0 (für die niederrheinische Borussia) aus. Den Offensivgeist jener Zeit hat Jürgen Steinmetz mit ins Leben genommen. Heute schweift der Blick über den Borussia-Park hinaus in das weitläufige Nordpark-Terrain der ehemaligen britischen Kaserne. Dort haben sich mit der Strahlkraft der Elf vom Niederrhein große Unternehmen, Büros und Behörden angesiedelt.
Umwidmungen ehemaliger Industriebrachen faszinieren Jürgen Steinmetz und nötigen ihm ungeheuren Respekt ab.
Die letzte Station führt nach Viersen zur Krefelder Straße. Am Ortsausgang Richtung Willich ist in einer ehemaligen Papierfabrik auf 25.000 Quadratmetern eine Start-up-Kaderschmiede für Dienstleister, Gastronomen und Gewerbetreibende dabei, sich zu entwickeln. In den 150 Jahre alten Industriebau aus Millionen Backsteinen ziehen jetzt die ersten Mieter ein – vom Bauunternehmer und Sozialkaufhaus bis hin zum IT-Spezialisten und zur Hundephysio. Die Umwidmung einer ehemaligen Industriebrache fasziniert Jürgen Steinmetz und nötigt ihm ungeheuren Respekt ab. „Es ist eine großartige Leistung, was die Viersener aus eigener Kraft und mit unternehmerischem Mut aus diesem Areal geschaffen haben.“
„Ich empfinde das nicht als Arbeit, sondern als Freude, in einer spannenden Region gestalterisch tätig sein zu dürfen.“
Obwohl es nun Freitag später Nachmittag ist, fährt Jürgen Steinmetz zurück zum Krefelder Nordwall 39. Dort warten noch einige Papiere auf Erledigung. Die 18 Kilometer dorthin nutzt der Chef-Netzwerker der Kammer für ein halbes Dutzend Telefonate.„Ich empfinde das nicht als Arbeit, sondern als Freude, in einer spannenden Region gestalterisch tätig sein zu dürfen“, sagt der IHK-Regisseur.