Der Schrecken vom Niederrhein

6 Grad, 6 Minuten, 40 Sekunden östlicher Länge und 51 Grad, 50 Minuten, 10 Sekunden nördlicher Breite. Dort, wo die Landschaft Natur pur ist, dort liegt Schenkenschanz, ein beschauliches Dorf am unteren Niederrhein und mit 38 ha der kleinste Ortsteil von Kleve. Die Graugänse aus dem hohen Norden haben dieses idyllische Fleckchen Erde für sich entdeckt und überwintern hier jedes Jahr aufs Neue. Denn das milde Klima in den Rheinauen und die Natur bieten den gefiederten Touristen ideale Aufenthaltsbedingungen. Wenn man dieses kleine Paradies mitten in der beschaulichen niederrheinischen Landschaft betrachtet, dann will man kaum glauben, welch bewegte Vergangenheit sich dahinter verbirgt. Und doch ist es wahr. Denn dieser Ort ist benannt nach Martin Schenk von Nideggen, dem Schrecken des Niederrheins.

Martin Schenk von Nideggen wurde etwa 1549 als Sohn des Diederich Schenk von Nideggen und der Anna von Berlaer in Goch geboren. Er residierte als Graf von Afferden und Blijenbeek auf dem gleichnamigen Schloss Blijenbeek in Limburg und gehört zu den schillerndsten Gestalten der niederrheinischen Geschichte.

Auch weil ihm alle Adjektive des Schreckens wie auf den Leib geschrieben waren: Martin Schenk von Nideggen wurde gefürchtet und gehasst, er jagte seine Feinde so lange, bis er sie wie Edelwild erlegen konnte. Er galt als gewieftes Schlitzohr, der vor keiner Art von Kampf fremd oder fies war. Besessen von Macht und der Sucht nach Anerkennung, kämpfte er während des denkwürdigen Achtzigjährigen Krieges als Heerführer für die spanischen Weltmonarchie gegen die noch junge holländische Republik. Aber, als die Spanier seine Verdienste, aus seiner Sicht, nicht ausreichend würdigten, wechselte er kurzerhand die Fronten. Er verbündete sich mit dem ehemaligen Kölner Erzbischof Gebhard und dem evangelischen Domherrn Adolf von Neuenahr und Moers. Diese wollten die Reformation einführen. Also mischten sie gemeinsam das Gebiet des Erzkatholischen Kölner Bistums auf, und mit Schenks Hilfe plünderten, belagerten und brandschatzten. Die Städte Nimwegen, Venlo, Werl und Neuss hatten besonders unter den Angriffen Schenks zu leiden. Während die Niederländer indes mit wenig Erfolg für ihre Unabhängigkeit kämpften, nannte man Schenk bald nur noch den „Schrecken des Niederrheins“.

Der Gesandte der Königin


Wann und wo Martin Schenk von Nideggen und Robert Dudley Graf von Leicester erstmalig aufeinander trafen ist nicht ganz klar. Klar ist, dass Elisabeth I. von England Dudley zur Unterstützung der Niederländer samt Soldaten und Geld über den Kanal geschickt hatte. Ob Martin Schenk von Nideggen oder der Graf von Leicester  die Idee zum Bau einer Schanz hatte,  da scheiden sich die Geister. Fakt ist, dass Dudley Schenk im Namen des britischen Empires mit dem Bau einer Festung im strategisch wichtigen Gabelungswinkel der beiden

Ströme Rhein und Waal beauftragte. Und dieser, in der Annahme die hohe Protektorin des Germanentums sei auf ihn aufmerksam geworden, ging mit Feuereifer ans Werk. Mächtige Pfähle und Balken ließ Schenk in den morastigen Inselboden rammen, dazwischen grünes Reisigholz flechten und mit Reisigbündeln die Zwischenräume füllen. Massen an Erdreich wurden aufgeschüttet und darauf die Bastionen und Kasematten hochgeführt.

Es ist nicht alles Gold was glänzt


Zum Dank für seinen Einsatz wurde Schenk von Dudley zum Ritter geschlagen, erhielt eine „güldene Kette“ im Wert von 2.000 Gulden und die entstandene Festung zudem nach ihrem Erbauer benannt: Schenkenschanz. Die vermeintliche Auszeichnung der englischen Königin durch Robert Dudley muss Schenk runtergegangen sein wie Öl. Wähnte er sich doch nun endlich am Ziel seiner Träume. Zufrieden mit dieser Entlohnung und der hohen Würdigung kämpfte Schenk endgültig auf der Seite der Niederländer. So auch im Dezember 1587, als er mit nur wenig Fußvolk von Rheinberg nach Zülpich in Richtung Bonn zog, um auch diese Stadt des Erzstiftes mit einem Täuschungsmanöver und kriegerischer List zu erobern. Während seine kleine Armee von Poppelsdorf aus das katholische Kölner Gebiet unsicher machte, erbat Schenk diesmal die Unterstützung durch Adolf von Neuenahr und der englischen Königin.  Adolf von Neuenahr hatte allerdings selber genug Probleme, konnte oder wollte nicht helfen, ja und Elisabeth I., die hatte von einem Ritter namens Martin Schenk von Nideggen noch nie etwas gehört. Es stellte sich heraus, dass Robert Dudley völlig eigenmächtig und ohne Zustimmung der Queen gehandelt hatte. Als im Sommer 1588 auch noch die Reichsacht über den „Ritter Schenk“ verhängt wurde, stand er auf verlorenem Posten in Poppelsdorf und erteilte seinen Lagerkommandanten den Befehl zur Kapitulation.


Der Untergang des Schrecklichen


Geächtet und sozusagen per Steckbrief gesucht, zog es Schenk zurück an den Niederrhein. Seine Burg Blijenbeek war mittlerweile in den Besitz der Spanier übergegangen. Und diese Tatsache war wohl auch ein Grund dafür, warum er weiterhin auf der Seite der Niederländer kämpfte und von nun an erneut den Niederrhein und die Provinz Gelderland unsicher machte. Die Belagerung der Stadt Nimwegen im Jahre 1589 sollte ihm jedoch zum Verhängnis werden. Bei seiner Flucht aus der Stadt stürzte er am 11. August 1589 von einem überladenen Ponton in die Waal und ertrank in seiner Rüstung.

Der Torschlüssel zu den Niederlanden


Damit, so könnte man annehmen, wäre das Kapitel Martin Schenk von Nideggen endgültig beendet, aber weit gefehlt! Man fischte ihn aus der Waal und ließ ihn, auf Beschluss des Nimweger Rates köpfen und vierteilen. Sein Kopf wurde vor den Toren der Stadt für alle sichtbar gepfählt, um deutlich zu machen: der „Schrecken des Niederrheins“ hat hier sein Ende gefunden. Es sei jedoch erwähnt, dass der Triumph des Rates nicht von langer Dauer war, denn nach kurzer Zeit hatten die Niederländer Nimwegen wieder eingenommen. Diese ließen Schenks Leichenteile einsammeln und ihm sogar ein Staatsbegräbnis zukommen. Das hätte Schenk mit Sicherheit gefallen. Eine Ehrung ganz nach seinem Geschmack. Ebenso die Tatsache, dass die von ihm erbaute Festung Schenkenschanz noch lange Zeit von großer Bedeutung und hart umkämpft war. Denn aufgrund ihrer Lage galt sie als „Der Torschlüssel zu den Niederlanden“. Und wer Schenkenschanz einnahm, hatte die Macht, Freund oder Feind Zufahrt zu gewähren oder ihm kurzerhand das große Stromtor vor der Nase „zu zuschlagen“. 1672 nahm der französische König Ludwig XIV. die Festung persönlich ein und verewigte seinen zweifelhaften Erfolg im Pariser Triumphbogen. 1674 zogen die Franzosen wieder ab und die Truppen Kurbrandenburgs ein. Sie blieben bis zum Kriegsende 1679. Schenkenschanz wurde darauf wieder niederländisch.

Durch die Verlagerung der Flussläufe und die Versandung des Rheinlaufes wurde die Festung zur Insel, bis sie schließlich im frühen achtzehnten Jahrhundert ganz und gar ihre Bedeutung verlor. Seit der Franzosenzeit ab 1794/98 bildete Schenkenschanz eine Landgemeinde in der Bürgermeisterei Griethausen im Kreis Kleve. Die Landeshoheit wechselte 1817 von den Niederlanden auf Preußen im Tausch gegen Leuth und Kekerdom. Durch eine preußische Regierungsverfügung wurde die Gemeinde Schenkenschanz 1911 in die Gemeinde Salmorth eingegliedert. Als Teil von Salmorth kam Schenkenschanz 1969 zur Stadt Kleve, in der es den Status eines eigenen Ortsteils erhielt.

Die Teilzeit-Insel am Niederrhein


Der Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen entwickelte sich so nach und nach zu einem friedlichen Ort der Stille und der Beschaulichkeit. Seine Besonderheit hat dieser Ort am Niederrhein jedoch bis heute nicht verloren. Mittlerweile, mitten im Naturschutzgebiet Salmorth gelegen, etwa zehn Autominuten von Kleve, fünf Kilometer von der deutsch/niederländischen Grenze und eine Autostunde vom Ruhrgebiet entfernt, ist und bleibt Schenkenschanz ein Anziehungspunkt für viele Besucher. Im Frühjahr, sobald der Rhein Hochwasser führt, verschwindet die Altrheinbrücke in Griethausen, die einzige Zufahrtsmöglichkeit über Land nach Schenkenschanz, im Wasser. Ab jetzt ist die „Schanz“ nur noch mit der Fähre erreichbar. Steigt das Wasser höher, wird nach und nach das gesamte Umland – 12,5 m über dem Meeresspiegel gelegen – überflutet.

Wenn dann auch die Deichstraße im Wasser verschwindet, wird Schenkenschanz wieder zur Insel, so wie früher als Festung im Rhein. Dann kommt auch schon mal das Fernsehen und liefert beeindruckende Bilder von der „Hallig mitten am Niederrhein“, die zu ihrem Schutz zu zwei Drittel von einer Hochwasserschutzmauer umgeben ist. Der Rest wird durch einen Deich vor den Fluten geschützt. Sobald das Wasser sich zurückzieht und der Sommer beginnt, bevölkern viele Fahrradtouristen Schenkenschanz und das nahe gelegene Naturschutzgebiet Salmorth, um von den Wanderwegen aus eine große und interessante Population seltener Vogelarten zu beobachten. Ab Oktober, wenn das Wasser sinkt, bietet dieser Ort am Niederrhein nicht nur Fachleuten und Naturfreunden ein beeindruckendes saisonales Schauspiel. Denn dann reisen Zehntausende halbwilde Höckerschwäne und Graugänse aus dem hohen Norden schnatternd an und verdunkeln den Himmel. Sie kommen, um hier in den niederrheinischen Wiesen und Weiden zu überwintern. Wenn dann die Reisebusse mit den fernglasbehängten Naturfreunden in Schenkenschanz „einfallen“ und es den Gänsen gleichtun und ebenfalls schnatternd durch die Weiden spazieren – ja dann ist es mit der beschaulichen Ruhe in Schenkenschanz erst einmal wieder vorbei. Aber die rund 100 „Schänzer“, wie sich die Einwohner von Schenkenschanz selber bezeichnen, wissen sich zu arrangieren und würden „ihre Insel“ niemals freiwillig verlassen.

LITERATUR-TIPPS ZUM „SCHRECKLICHEN“ UND ZU SCHENKENSCHANZ

Dr. Karl Kossert »Martin Schenk von Nideggen oder die Fehltritte der Tapferkeit« erschienen im  Mercator-Verlag Duisburg, ISBN 3-874631966
Guido de Werd »Schenkenschanz – de sleutel van de hollandsche tuin«  Boss-Verlag Kleve. ISBN 3-922384-48-X
Leenders/Bay/Leenders »Die Schanz«
Schenkenschanz ist Schauplatz eines Verbrechens geworden und Toppe und sein Team vom Klever Kommissariat 11 ermitteln vor Ort. Rowohlt-Taschenbuch Verlag. ISBN 3-499232804
 


Text: Sonja Raimann | Fotos: Dieter Echterhoff, Mercator Verlag | für NiederRhein Edition 2008

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