In Stein gemeißelt: Dialog zwischen Juden und Nichtjuden

Denkmalpflege im sensiblen Bereich: Der Steinmetz Manfred Messing hat mehr als 1000 jüdische Grabsteine restauriert. Dafür ist er tief in die Kultur und Tradition des zionistischen Volkes eingetaucht. In der Fachwelt, aber auch in den Jüdischen Gemeinden genießt der Kempener hohes Ansehen.

Wie der Vater, so der Sohn: David (li.) und Manfred Messing (re.) Mit David Messing (21), dem älteren der beiden Söhne, ist die fünfte Generation in den Startblöcken. Foto: Axel Küppers

Text: Axel Küppers | Fotos: Axel Küppers, Manfred Messing, Simone Messing | NiederRhein Edition, Ausgabe 02/2019

„Bei jüdischen Friedhöfen reden wir von einem außerordentlich hohen Kulturgut.“ Das sagte Prof. Dr. Norbert Schöndeling beim „Kölner Gespräch“. Der Jahreskongress der Denkmalpfleger und Architekten in NRW an der Technischen Hochschule der Domstadt fand zum 28. Mal statt. Schöndeling hat die hochrangige Reihe aufgebaut. Erstmals war in diesem Jahr die Klammer der acht Referenten „Friedhöfe“. Ein Mosaikstein in der Beleuchtung dieses Komplexes war der Aspekt „jüdische Friedhöfe“. Als Gastredner hierzu haben die Kölner mit Manfred Messing einen Steinmetz und Bildhauer vom Niederrhein in die Domstadt geholt, der aus erster Hand berichten konnte. Der Kempener ist seit 2003 im Thema.

„Jüdische Grabsteine sollen nicht in neuem Glanz erstrahlen.“ Mit diesem Satz machte Messing gleich zu Beginn seiner Präsentation im Karl-Schüssler-Saal deutlich, worauf es ankommt. Das Fachpublikum aus rund 150 Zuhörern in Deutz spitzte die Ohren. „Jüdische Friedhöfe gehören zu den interessantesten Zeugnissen von Geschichte und Gesellschaft“, berichtete der 54-Jährige. „Es gibt allein im Rheinland über 100 jüdische Friedhöfe“, bestätigte Moderator Dr. Ludger J. Sutthoff vom LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland. Der LVR richtet zusammen mit der TH die „Kölner Gespräche“ aus. Friedhöfe sind deshalb so spannend, bemerkte Sutthoff, weil diese Kultur im Wandel begriffen ist. „Viele Friedhöfe werden ausgedünnt. Sie konkurrieren mit Grabeskirchen. Friedhöfe entwickeln sich mehr und mehr zu Parks, die auch für Spaziergänge genutzt werden.“

Dem Kulturgut jüdische Friedhöfe muss man sich indes auf einem anderen Pfad nähern. „Ein jüdischer Friedhof ist ein Ort der Ewigkeit“, sagt Messing. Einer der jüdischen Glaubensgrundsätze, die Unantastbarkeit der Totenruhe, führt dazu, dass die Grabmale über Jahrhunderte hinweg erhalten bleiben. Die meisten jüdischen Friedhöfe haben die Zeit des "Dritten Reichs" überstanden, in der fast alle anderen Zeugen jüdischer Kulturgeschichte in Deutschland zerstört wurden. Messing ist sich mithin der Verantwortung bewusst, wenn er Hand anlegt an die steinernen Zeugnisse jüdischer Kultur. Der Kempener hat von 2003 bis heute die jüdischen Friedhöfe in Krefeld, Wesel, Kempen, Mönchengladbach, Dinslaken und Oberhausen mit insgesamt über 1000 Grabmalen restauriert. Aktuell ist Messing auf dem jüdischen Friedhof in Oberhausen-Lirich tätig. Das geschah nicht auf Zuruf aus einer Laune heraus, sondern aus ganzheitlicher Betrachtung. Und aus der Erfahrung eines Handwerkbetriebs, der die alten Techniken hochhält. Den 1894 gegründeten Kempener Werkstattbetrieb führt der Handwerksmeister nunmehr in vierter Generation. Mit David Messing (21), dem älteren der beiden Söhne, ist die fünfte Generation in den Startblöcken.

Grundlage und erster Schritt war die Erarbeitung eines Restaurierungskonzeptes. Der erste Kontakt erfolgte vor 16 Jahren mit Gerhard Hanisch vom Krefelder Denkmalamt, Dr. Helmtrud Köhren-Jansen vom Rheinischen Amt für Denkmalpflege und Professor Michael Brocke vom Ludwig-Salomon-Steinheim-Institut. Begleitet wurde dieser Prozess von den Denkmalbehörden, dem Steinheim-Institut, dem Friedhofsbeauftragten der jüdischen Gemeinden und der Jüdischen Gemeinde Nordrhein. Messing: „Eine fachliche Abstimmung erfolgte zudem mit den Diplom-Restauratoren vom LVR-Amt für Denkmalpflege.“ Die Landesregierung NRW unterstützt die Bewahrung und Erhaltung denkmalgeschützter jüdischer Begräbnisstätten im Rahmen des Denkmalförderprogramms. Messings Werkzeug ist daher nicht Hammer, Bohrmaschine, Hochdruckreiniger, Sandstrahler oder Chemie-Spritze. Meist kommen Wurzelbürste, Holzspateln, Lanzetten, Pinsel und Pinzette zum Einsatz. Hinzu eine Technik, die Messing bereits vor 30 Jahren am Vorburg von Schloss Raesfeld angewandt hat: Berieselung mit warmem Wasser. Biogener Bewuchs kann so schonend entfernt werden. Das funktioniert so: Der Stein wird über mehrere Stunden und mehrfach mit leichtem Wasserdruck beregnet. Die so gelösten Schmutzkrusten können während der Berieselung mit einer Bürste abgewaschen werden.

Wenn irgendwie möglich, behandelt Messing die Steine aus Kalkstein, Granit, Marmor, Syenite und Gneise vor Ort auf dem Friedhof. Die ältesten und naturgemäß am stärksten angegriffenen Steine sind aus Sandstein und Trachyt. Sie stammen aus dem frühen 18. Jahrhundert und kommen aus Steinbrüchen aus der Region. Ist der „Patient“ allerdings so krank, dass er in die Messing’sche Steinmetz-Klinik transportiert werden muss, dann erfolgt auch das behutsam und unter Einhaltung sämtlicher Sicherheitsvorkehrungen. Besonderes Augenmerk schenkt Messing den kunsthistorisch wertvollen Inschriften. Sie sind nach jüdischer Tradition Ausdruck der Kostbarkeit des einzelnen Lebens. Die hebräischen Lettern der ältesten Grabsteine sind vertieft keilförmig eingemeißelt. Ab 1850 kommen deutsche Inschriften hinzu. Aber auch sparsam genutzte Symbole und Ornamente wie segnende Priesterhände, Levitenkanne, Gesetzestafeln mit den zehn Geboten oder der Davidstern gilt es zu restaurieren. „Die Verfestigung und Verklebung der Schriftflächen erfolgt mit Epoxidharzen in unterschiedlichen Viskositäten“, erläutert Messing. Zuerst werden lose Schriftzeichen mit der Pinzette aufgenommen, gekennzeichnet und mit dem Pinsel gereinigt. Der Untergrund des Grabsteins wird von losen Schuppen und Verschmutzungen gereinigt. Nicht selten nisten Spinnen und Ungeziefer hinter den Schriftflächen. Nach dem Reinigen werden die Schriftpuzzle mit einem gelartigen Epoxidharz mit dem Untergrund verklebt. Ansonsten bleibt der Stein unangetastet, Fremdstoffe haben bei der Restaurierung nichts zu suchen. Lediglich die Übergänge von geklebten Steinfragmenten zum Originalstein und Vernadelungslöcher müssen mit einem Restauriermörtel angeböscht werden, damit kein Wasser in die Schnittstellen eindringen kann. Messing: „Für diese Arbeiten verwende ich einen mineralischen Restauriermörtel auf Kalkbasis ohne Trass und Zement.“

Vom Niveau dieser Restaurierung hat sich eine Fachjury bereits 2009 auf dem Alten jüdischen Friedhof in Krefeld überzeugt. Das Gremium auf Bundesebene bestand aus Vertretern der „Deutschen Stiftung Denkmalschutz“, den Handwerkskammern, dem Denkmalschutz und der Architektenkammer. Messing ist daraufhin der „Bundes-preis für Handwerk in der Denkmalpflege NRW“ zuerkannt worden. Die Restaurierung jüdischer Grabsteine ist Schwerpunktthema seines Seminars Friedhofsdenkmalpflege an der Akade-mie Schloss Raesfeld. Dort ist Messing seit über 20 Jahren als Referent tätig. Über das Handwerkliche und Kulturelle hinaus ist die Restaurierung jüdischer Grabsteine Ausdruck des verständnisvollen Miteinanders zwischen Juden und Nichtjuden. Der Austausch ist fruchtbar, das Vertrauen groß, das Ergebnis sowohl aus Sicht des Denkmalschutzes als auch der Jüdischen Gemeinden überzeugend. „Es ist schon beeindruckend und kann gar nicht hoch genug eingestuft werden, mit welcher Sorgfalt und unter Berücksichtigung der jüdischen Kultur Herr Messing unsere Friedhöfe restauriert“, sagt Inna Goudz, Referentin für Kultur und Projekte beim Landesverband der Jüdischen Gemeinden Nordrhein. Inna Goudz hat sich -  unabhängig von ihrem Besuch des 28. Kölner Gesprächs – bereits mehrfach mit Messing ausgetauscht. 

Dank der transparenten Herangehensweise mit Werkstattgesprächen, Kongressen und bilateralen Gesprächen sowie einer profunden Dokumentation kann das Thema „Restaurierung jüdischer Grabsteine“ als Beitrag der Völkerverständigung auf einem sensiblen Terrain aufgefasst werden. So ist es für die Denkmalschützer, die jeweiligen Kommunen und die jüdischen Organisationen  ein positives Zeichen, wenn die Friedhöfe nach Abschluss der Restaurierungsarbeiten wieder zur Verfügung stehen und Spaziergänger sich an dem Anblick erfreuen. „An den Tagen, an denen die Friedhöfe für die Öffentlichkeit zugänglich sind, herrscht stets großes Interesse“, sagt Messing. Auch der Besuch aus dem Ausland sei angetan, wie behutsam und unter Beachtung der jüdischen Kultur die Gräber ihrer Vorfahren restauriert worden sind. „Es hat sich ein herzlicher Kontakt zu Verwandten aus Australien, Amerika und Israel entwickelt.“

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