Wir schreiben das Jahr 1809, exakt den 13. Januar 1809. Es ist die Zeit der Eisschmelze. Der Rhein trägt Hochwasser und führt Eisschollen mit sich. Die Ereignisse, die sich an diesem Tage in dem kleinen Dorf Brienen bei Kleve am Niederrhein zutragen, werden in die Geschichte eingehen und zu dem einen Dichterfürst und einen Kaiser nachhaltig bewegen. Zum diesem Zeitpunkt ahnt davon aber noch niemand etwas.
Das Szenario
Arme Leute; ein kleines Bauernhaus, abgeschnitten durch die Flut und ein Damm der zu brechen droht. Ein junges Mädchen watet durch das Wasser. Es ist die 16-jährige Bauerntochter Johanna Sebus. Sie hat sich aufgemacht und will ihre Mutter sowie die Nachbarin nebst deren Kinder aus den Fluten retten. Während Johanna zunächst ihre Mutter auf dem Rücken durch das Wasser an das rettende Ufer trägt, ruft sie der Nachbarin mit den drei Kindern zu: „Zum Bühle da rettet euch! Harret derweil; Gleich kehr ich zurück uns allen ist Heil. Zum Bühl ist´s noch trocken und wenige Schritt; Doch nehmt auch meine Ziege mit!“ Johanna schafft es tatsächlich ihre Mutter in Sicherheit zubringen. Doch just in dem Moment, als sie sich wieder zurück ins Wasser begeben will, um die anderen zu holen, da bricht der Damm endgültig. Die Gefahr, jetzt von den Wassermassen, die sich über das Land hermachen, mitgerissen zu werden ist viel zu groß. Doch Johanna lässt sich nicht aufhalten und mit dem Ausruf: „Sie sollen und sie müssen gerettet sein!“ stürzt sie sich erneut in die reißenden Fluten. Johannas Leiche wird beim Abfließen des Wassers gefunden und sie wird auf dem Friedhof in Rindern zu Grabe getragen.
Soweit, so tragisch.
Ein Dichterfürst und ein Kaiser
Es war ein Bürgermeister vom Niederrhein, der sich an den Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe wendete und ihm von den Geschehnissen in Brienen berichtete. Er ist es auch der Goethe darum bittet „in einer alles verschlingenden Zeit das Andenken an eine reinen Menschenhandlung“ zu erhalten. Goethe ist von dem im zu- und angetragenen zutiefst berührt. Dabei hatte er sich, angesichts der Schrecken des napoleonischen Weltkriegs und den hunderttausenden Toten, doch „Kühlheit“ auferlegt. Bei der Geschichte von Johanna Sebus und ihrer selbstlosen Tat ist es um den Dichterfürsten geschehen und er wirft für sie seine Vorsätze über Bord. Goethe widmet der „Schönen Guten vom Niederrhein“ nicht nur ein Gedicht. Er macht daraus eine Ballade, lässt diese drucken und schickt die gesamte Auflage an den Niederrhein. Und Goethe geht noch weiter: Er stilisiert Johanna zur tugendhaften Heldin. Mit der Bitte daraus eine Ballade zu komponieren, schickt er seinen Text an seinen Freund, den Chef der Berliner Singakademie, Carl Friedrich Zelter. Gesagt, getan – und so wird Johanna Sebus „reine Menschenhandlung“ in der ganzen Republik bekannt und für die Ewigkeit manifestiert.
Natürlich erfährt auch Kaiser Napoleon I. von den Ereignissen am Niederrhein. Ergriffen von den Geschehnissen, verleiht er Johanna postum die „Tugendrose“ – eine Auszeichnung, die er bei seiner Thronbesteigung 1804 stiftete und festlegte, dass damit in allen Orten seines Herrschaftsbereichs besonders tugendhaftes Mädchen ausgezeichnet werden sollten. Sie erhielten neben einer Rose mit goldenen Blättern auch noch ein goldenen Ring und eine Aussteuer. Johanna Sebus lässt Napoleon allerdings ein Denkmal errichten und zudem das völlig zerstörte Haus ihrer Mutter wieder aufbauen. Davon zeugt noch heute eine Tafel mit lateinischer Inschrift in einem nahegelegenen Gasthof. Und auch das Denkmal gibt es noch. Es steht immer noch an der Stelle, wo an der einst der Deich brach: in Brienen-Wardhausen, nahe der Schleuse.