Johanna Sebus – Die schöne Gute vom Niederrhein

Ausschnitt von Johanna Sebus, Illustration von Roland Risse für die Zeitschrift Die Gartenlaube, 1872 / Nach seinem Oelgemälde auf Holz übergezeichnet von Roland Risse in Düsseldorf.
Wir schreiben das Jahr 1809, exakt den 13. Januar 1809. Es ist die Zeit der Eisschmelze. Der Rhein trägt Hochwasser und führt Eisschollen mit sich. Die Ereignisse, die sich an diesem Tage in dem kleinen Dorf Brienen bei Kleve am Niederrhein zutragen, werden in die Geschichte eingehen und zu dem einen Dichterfürst und einen Kaiser nachhaltig bewegen. Zum diesem Zeitpunkt ahnt davon aber noch niemand etwas.
 
Das Szenario

Arme Leute; ein kleines Bauernhaus, abgeschnitten durch die Flut und ein Damm der zu brechen droht. Ein junges Mädchen watet durch das Wasser. Es ist die 16-jährige Bauerntochter Johanna Sebus. Sie hat sich aufgemacht und will ihre Mutter sowie die Nachbarin nebst deren Kinder aus den Fluten retten. Während Johanna zunächst ihre Mutter auf dem Rücken durch das Wasser an das rettende Ufer trägt, ruft sie der Nachbarin mit den drei Kindern zu: „Zum Bühle da rettet euch! Harret derweil; Gleich kehr ich zurück uns allen ist Heil. Zum Bühl ist´s noch trocken und wenige Schritt; Doch nehmt auch meine Ziege mit!“ Johanna schafft es tatsächlich ihre Mutter in Sicherheit zubringen. Doch just in dem Moment, als sie sich wieder zurück ins Wasser begeben will, um die anderen zu holen, da bricht der Damm endgültig. Die Gefahr, jetzt von den Wassermassen, die sich über das Land hermachen, mitgerissen zu werden ist viel  zu groß. Doch Johanna lässt sich nicht aufhalten und mit dem Ausruf: „Sie sollen und sie müssen gerettet sein!“ stürzt sie sich erneut in die reißenden Fluten. Johannas Leiche wird beim Abfließen des Wassers gefunden und sie wird auf dem Friedhof in Rindern zu Grabe getragen.

Soweit, so tragisch.

Ein Dichterfürst und ein Kaiser

Es war ein Bürgermeister vom Niederrhein, der sich an den Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe wendete und ihm von den Geschehnissen in Brienen berichtete. Er ist es auch der Goethe darum bittet „in einer alles verschlingenden Zeit das Andenken an eine reinen Menschenhandlung“ zu erhalten. Goethe ist von dem im zu- und angetragenen zutiefst berührt. Dabei hatte er sich, angesichts der Schrecken des napoleonischen Weltkriegs und den hunderttausenden Toten, doch „Kühlheit“ auferlegt. Bei der Geschichte von Johanna Sebus und ihrer selbstlosen Tat ist es um den Dichterfürsten geschehen und er wirft für sie seine Vorsätze über Bord. Goethe widmet der „Schönen Guten vom Niederrhein“ nicht nur ein Gedicht. Er macht daraus eine Ballade, lässt diese drucken und schickt die gesamte Auflage an den Niederrhein. Und Goethe geht noch weiter: Er stilisiert Johanna zur tugendhaften Heldin. Mit der Bitte daraus eine Ballade zu komponieren, schickt er seinen Text an seinen Freund, den Chef der Berliner Singakademie, Carl Friedrich Zelter. Gesagt, getan – und so wird Johanna Sebus „reine Menschenhandlung“ in der ganzen Republik bekannt und für die Ewigkeit manifestiert.

Natürlich erfährt auch Kaiser Napoleon I. von den Ereignissen am Niederrhein. Ergriffen von den Geschehnissen, verleiht er Johanna postum die „Tugendrose“ – eine Auszeichnung, die er bei seiner Thronbesteigung 1804 stiftete und festlegte, dass damit in allen Orten seines Herrschaftsbereichs besonders tugendhaftes Mädchen ausgezeichnet werden sollten. Sie erhielten neben einer Rose mit goldenen Blättern auch noch ein goldenen Ring und eine Aussteuer. Johanna Sebus lässt Napoleon allerdings ein Denkmal errichten und zudem das völlig zerstörte Haus ihrer Mutter wieder aufbauen. Davon zeugt noch heute eine Tafel mit lateinischer Inschrift in einem nahegelegenen Gasthof. Und auch das Denkmal gibt es noch. Es steht immer noch an der Stelle, wo an der einst der Deich brach: in Brienen-Wardhausen, nahe der Schleuse.

Brienen

Brienen liegt am unteren Niederrhein im Westen von Nordrhein-Westfalen und ist ein Ortsteil der Stadt Kleve. Der am Spoykanal sowie am Altrhein liegende Ortsteil von Kleve hat 375 Einwohner auf einer Fläche von 214 Hektar. Der Spoykanal verbindet den Klever Hafen mit dem Rhein. Eine 1280 erwähnte Kirche in Brienen wurde beim Rheinhochwasser 1809 weggespült; dieses Ereignisses wurde in Goethes Ballade »Johanna Sebus« verarbeitet. Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit gehörte Brienen zum Amt Kleverhamm. Zu den Sehenswürdigkeiten Brienens gehören die unter Denkmalschutz stehende Spoy-Schleuse, der Yachthafen am Altrhein, das Denkmal für die in Brienen geborene Lebensretterin Johanna Sebus, der Brienensche Hof und das Kriegerdenkmal Brienen. Im nahegelegen Reichswald und im Umfeld des heutigen Ortes, tobte im Frühjahr 1945 die sogenannte Schlacht im Reichswald. In dieser Schlacht um den Niederrhein wurde der Ort schwer in Mitleidenschaft gezogen. Mehr erfahren 

Die Balade von Johan Wolgang von Goethe

Der einleitende Satz der Ballade wurde dem Gedicht von Goethe selbst vorangestellt. Die Altersangabe von 17 Jahren beruht auf einer Fehlinformation Goethes durch Einwohner des damaligen Departements Cleve, welche ihn um die Ballade gebeten hatten. Johanna Sebus wurde am 28. Dezember 1792 geboren. Als sie am 13. Januar 1809 ertrank, war sie 16 Jahre alt. Lange galt Goethes Ballade als Pflichtlektüre an Schulen, besonders natürlich am Niederrhein.

»Johanna Sebus«

Zum Andenken der siebzehnjährigen Schönen, Guten aus
dem Dorfe Brienen, die am 13. Januar 1809 bei dem
Eisgang des Rheins und dem großen Bruche des Dammes
von Cleverham Hilfe reichend unterging.

 

Der Damm zerreißt, das Feld erbraust,
Die Fluten spülen, die Fläche saust.
»Ich trage dich, Mutter, durch die Flut,
Noch reicht sie nicht hoch, ich wate gut.« –
»Auch uns bedenke, bedrängt wie wir sind,
Die Hausgenossin, drei arme Kind!
Die schwache Frau! . . . Du gehst davon!« –
Sie trägt die Mutter durch das Wasser schon.
»Zum Bühle da rettet euch! Harret derweil;
Gleich kehr' ich zurück, uns allen ist Heil.
Zum Bühl ists noch trocken und wenige Schritt;
Doch nehmt auch mir meine Ziege mit!«

Der Damm zerschmilzt, das Feld erbraust,
Die Fluten wühlen, die Fläche saust.
Sie setzt die Mutter auf sichres Land,
Schön Suschen, gleich wieder zur Flut gewandt.

»Wohin? Wohin? Die Breite schwoll,
Des Wassers ist hüben und drüben voll.
Verwegen ins Tiefe willst du hinein!« –
»Sie sollen und müssen gerettet sein!«

Der Damm verschwindet, die Welle braust,
Eine Meereswoge, sie schwankt und saust.
Schön Suschen schreitet gewohnten Steg,
Umströmt auch, gleitet sie nicht vom Weg,
Erreicht den Bühl und die Nachbarin;
Doch der und den Kindern kein Gewinn!

Der Damm verschwand, ein Meer erbraust's,
Den kleinen Hügel im Kreis umsaust's.
Da gähnet und wirbelt der schäumende Schlund
Und ziehet die Frau mit den Kindern zu Grund;
Das Horn der Ziege fasst das ein',
So sollten sie alle verloren sein!

Schön Suschen steht noch strack und gut:
Wer rettet das junge, das edelste Blut!
Schön Suschen steht noch wie ein Stern;
Doch alle Werber sind alle fern.
Rings um sie her ist Wasserbahn,
Kein Schifflein schwimmet zu ihr heran.
Noch einmal blickt sie zum Himmel hinauf,
Dann nehmen die schmeichelnden Fluten sie auf.

Kein Damm, kein Feld! Nur hier und dort
Bezeichnet ein Baum, ein Turm den Ort.
Bedeckt ist alles mit Wasserschwall;
Doch Suschens Bild schwebt überall. –
Das Wasser sinkt, das Land erscheint,
Und überall wird schön Suschen beweint. –
Und dem sei, wer's nicht singt und sagt,
Im Leben und Tod nicht nachgefragt!

- Johann Wolfgang von Goethe -

 

 

(Sonja Raimann | NiederRhein Edition – Dein Stück Heimat)

 

 

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