Text: Axel Küppers | Bilder: Axel Küppers, Edith Stefelmanns | NiederRhein Edition, Ausgabe 01/2019
Mit Thomas a Kempis ist es so eine Sache. In den Niederlanden kennt den Augustiner-Chorherr jedes Kind. Hat der niederrheinische Mystiker doch die längste Zeit – nämlich 72 Jahre - seines langen Lebens im Kloster Agnetenberg bei Zwolle gelebt. Fragt man hingegen in Duisburg, in Neuss, in Kevelaer oder in Wegberg nach Thomas, bekommt man meist nur ein Achselzucken als Antwort oder ein dürftiges „irgend so ein mittelalterlicher Mönch“ als Antwort. Dabei ist der Autor des nach der Bibel meistgedruckten und kopierten Werks der christlichen Literatur um 1380 auf dem Kempener Kirchplatz als Thomas Hemerken geboren, bevor er mit gerade mal 12 Jahren seinem älteren Bruder Johannes nach Deventer folgte. Dort verschrieb er sich einem vergeistigten Leben in Demut, Frömmigkeit und klösterlicher Zurückgezogenheit.
In en Hoeksken met en Boeksken
In Zeiten von Twitter und Instagram wäre Thomas, Autor der „Imitatio Christi“ - Nachfolge Christi -, zweifelsohne ein Popstar der digitalisierten Welt. Allein der Satz „In en Hoeksken met en Boeksken“ – „In allen Dingen habe ich Ruhe gesucht, doch fand ich solche nirgends, außer in einem Winkel mit einem Buch“ – wäre in den Sozialen Netzwerken sicherlich zigfach geliked und geteilt worden. Aber außer ein paar rührigen Organisationen, die sich um das Erbe des Denkers verdient machen, spielt Thomas nicht wirklich eine Rolle in den Köpfen der Jugend.
„Das muss anders werden“, schoss es eines Morgens anno 2016 Martin Kamp durch den Kopf, als er mit seinen zwei kleinen Söhnen eine Runde durch die Kempener Altstadt spazierte und auf dem Kirchplatz landete. Dort steht seit über 100 Jahren an Thomas‘ Geburtshaus eine stattliche Standfigur, die den Augustiner im Mönchsgewand bei der Bearbeitung seines Hauptwerks zeigt. Kamps Kinder spielten Nachlaufen um die Skulptur, was weder Thomas noch die Kleinen kratzte. Wie schön wäre es, dachte Martin Kamp, wenn Thomas nun von seinem Sockel runterkäme und mitspielen würde. In diesem Moment war die Idee des Kempener Hals-Nasen-Ohren-Arztes geboren, für die Jugend einen modernen Zugang zur Gedankenwelt des Thomas a Kempis zu schaffen.
»Lerne Geduld haben mit fremden Fehlern;
denn siehe, du hast auch viel an dir,
was andere tragen müssen.«
Thomas von Kempen, Nachfolge Christi 1, 16, 2
Welch glückliche Fügung, dass sich im Jahr 2017 zum 600. Mal das Erscheinungsdatum der „Nachfolge Christi“ gejährt und gleichzeitig die internationale Lions-Bewegung ihren 100. Geburtstag begangen hat. Kamp, selbst ein Lion, setzte mit niederrheinischer Verve und der Unterstützung des Lions Club Kempen „Thomas a Kempis“ einen Prozess in Gang, der am 3. November 2018 seinen krönenden Höhepunkt erlebte. Am Rande der Altstadt wurde eine neue Gedenkstele ihrer Bestimmung übergeben, die an die große Tradition anknüpft und doch modern daherkommt. „Ich habe lange nachgedacht und mich mit Thomas‘ Schriften beschäftigt, um nachzuempfinden: Wie würde Thomas ein ihm gewidmetes Kunstwerk auslegen“, sagt Edith E. Stefelmanns. Die Künstlerin hat sich mit Unterstützung von Lions, Stadt, Kirche, Thomas-Stiftung Kiefer, Thomas-Verein, Sponsoren und engagierten Kempenern der Herausforderung gestellt, einen Zugang zu Thomas zu eröffnen. Bewusst hat die Kempenerin, deren Atelier sich in der Mitte zwischen alter und neuer Thomas-Gedenkstele befindet, in ihrer Installation auf alles Figürliche verzichtet.
»Wer etwas Eigenes haben will, verliert das Gemeinsame.«
Thomas von Kempen, Nachfolge Christi 3, 13, 1
Herausgekommen sind vier monumentale gen Himmel gerichtete Stelen, die vor dem Auge des Betrachters auch Federkiele sein könnten. Mit jeder dieser spitzen Federn hat Thomas eines der vier Bücher der „Nachfolge Christi“ geschrieben. Ein schöner Gedanke. Aber nur eine von vielen möglichen Interpretationen, die die Stefelmanns-Skulptur dem Besucher der Kempener Altstadtpromenade überlässt. Dort stehen die knapp vier Meter hohen Säulen aus Stahl und Granit wie aus dem Gras gewachsene Gralsheilige aus einer noch zu schreibenden Thomas-Saga. Homogen fügen sie sich ein in die Parkkulisse vor denkmalgeschützten Bürgerhäusern, als hätten sie immer dort gestanden.
Auf eine Hinweistafel haben die Initiatoren bislang bewusst verzichtet. „Wir beobachten erst einmal ein Jahr die Reaktionen und entscheiden dann, ob eine Legende überhaupt Sinn machen würde“, sagen Martin Kamp und Edith Stefelmanns. Ein gutes Team. Fest steht schon jetzt, dass die Kempener die neue Thomas-Gedenkstele ins Herz geschlossen haben. Schon bei der feierlichen Enthüllung waren knapp 300 Menschen zugegen. Thomas und seine Jünger haben anscheinend eine riesige Fangemeinde. Die Kamp-Buben spielten diesmal nicht nur Nachlaufen, sondern lasen auch die vier Thomas zugeschriebenen Zitate auf dem Granitblock.
»Was der Zeit unterworfen ist, das brauche; was ewig ist, danach strebe.«
Thomas von Kempen, Nachfolge Christi 3, 16, 1
„Die Skulptur hat bereits einiges ausgelöst, das wollen wir weiter vorantreiben“, sagt Martin Kamp. Die Stadtführer schlagen schon jetzt einen Bogen zur neuen Gedenkstele am Donkring und stehen mit glänzenden Augen vor den Pilastern. Angedacht ist, Schulklassen über diese Schiene pädagogisch-visuell an Thomas und seine zeitlos gültigen Aphorismen heranzuführen. Vereine, Touristengruppen, interessierte Bürger – sie alle sind eingeladen, „in en Hoeksken met en Boeksken“ an die Skulptur heranzutreten und den Innenraum zwischen den Pfeilern als Art Gedankenkammer zu nutzen. Die Thomas-Stiftung Kiefer denkt darüber nach, ausgehend vom Kirchplatz-Denkmal über die neue Gedenkstele bis ins Kempener Land einen Art Thomaspfad zu errichten. Ideen über Ideen. Die Thomasstadt bekennt sich zu ihrem Namenspatron. Das strahlt hinaus ins Land, mindestens bis nach Zwolle und Deventer. Gut so!