Beim Eintreten in seine Wohnung an der Kempener Tiefstraße fällt im Flur eine Art Liebesbrief „an den allerbesten Nachbarn“ auf. Den hat die Hausgemeinschaft anlässlich seines Wiedereinzugs nach einem längeren Krankenhausaufenthalt wegen eines Unfalls vor ein paar Jahren verfasst. Bei schönem Wetter trifft man sich rund um die Bank vor dem Haus regelmäßig zum Klönen. Dieses Idyll ist der Quell seines Schaffens, denn die Menschen um ihn herum lassen Tom Marquardt nach seinen Trips durch deutsche Tonstudios „runterkommen“. „Kempen ist die Stadt meiner Freunde“, sagt der sympathische Hitkomponist, der mit neun Jahren im Musikverein St. Hubert angefangen hat, Trompete zu spielen. Mit 14 tauschte er die Trompete gegen die Gitarre und begann zu singen, inklusive Unterricht bei einem Opernsänger. Zwei Jahre später gründete Tom Marquardt seine Band „Mysterious K“ und schrieb den ersten Song, allerdings noch in englischer Sprache. „Wir haben Independent English Pop gemacht“, erzählt er. Aber weil er sich in der deutschen Sprache einfach heimischer fühlt, wurde seine Hitsprache Deutsch.
Ein Unfall wurde zum Glücksfall
Bevor Tom Marquardt in der Schlager-welt professionell Fuß fassen konnte, sollte er einige unschöne Erfahrungen machen, die manch anderen dauerhaft abgeschreckt hätten. Eigentlich hätte er sich freuen können, als er als 23-Jähriger beim renommierten Label Sony einen dreijährigen Plattenvertrag als Sänger bekam. Der produktive junge Mann, der sich bis dahin frei in der Musikszene bewegt hatte und verschiedensten Labels seine Hits anbot, kam aber schnell hinter die Strategie seines Arbeitsgebers: „Dieser Vertrag hatte eigentlich nur den Sinn, mich vom Markt zu nehmen, um eigene Produkte im Haus zu schützen. Damit war mein Vertrauen in die deutsche Musikindustrie zerstört“. Der Traum, seine Leidenschaft zum Beruf zu machen, war in weite Ferne gerückt. Tom Marquardt hielt sich erst einmal mit Gelegenheitsjobs wie Taxifahren über Wasser und studierte Sozialpädagogik. Er komponierte zwar weiter, aber nur für sich selbst. Vor zehn Jahren lernte er dann durch Zufall den Musikproduzenten Gerd Jakobs aus Viersen-Süchteln kennen, der unter anderem mit Jürgen Drews, Fantasy, G.G. Anderson, Nik und KLUBB3 (Florian Silbereisen, Jan Smit und Christoff) zusammenarbeitete. Tom Marquardt erzählt: „Die Freundin eines Freundes hatte einen leichten Verkehrsunfall mit Gerd Jakobs. Als mein Freund erfuhr, was er beruflich macht, hat er ihm erzählt, dass ich zwar jeden Monat unzählige Songs komponiere, aber nur für mich im stillen Kämmerlein. Ihm habe ich dann eine CD mit meinen Songs geschickt, und er motivierte mich, sie deutschsprachigen Künstlern vorzu-stellen. Seit fünf Jahren kann ich davon leben und bin sehr glücklich, denn Musik war von meiner ersten Lebenssekunde an mein Ding.“
„Ich bin dauerinspiriert und melodiensüchtig“
Aber bedeutet es nicht auch einen ungeheuren Druck, immer abliefern zu müssen, um Miete und Brötchen bezahlen zu können? „Das ist für mich kein Problem. Irgendwie bin ich dauerinspiriert und melodiensüchtig. Jeden Tag fällt mir eine neue Melodie ein, die ich dann spontan in mein Handy singe“, erläutert Tom Marquardt, der natürlich nicht jeden seiner Songs unterbekommt. Sein kreativer Fundus ist aber so riesig, dass er es mittlerweile im Schnitt auf eine Single-Veröffentlichung pro Woche bringt. Zudem hat ein Erlebnis vor drei Jahren ihm zum zweiten Mal die Augen geöffnet: „Ich war mit meinem Wagen in einen Graben gefahren und wollte mich von einem Traktor wieder herausziehen lassen. Aber das ging schief. Ich kam mit meiner Hand zwischen Abschlepp-Schlinge und Anhängerkupplung, als der Traktor anfuhr. Seitdem fehlt mir der kleine Finger der linken Hand.“
Aus dieser tragischen Situation hat Tom Marquardt einen Schluss für sein weiteres Leben gezogen: „Ein halbes Jahr lang habe ich mit mir gerungen und dann endgültig die Entscheidung getroffen, nur noch Musik zu machen. Mir war nämlich bewusst geworden, dass meine Zeit begrenzt ist. Seitdem quetsche ich jeden Tag alles Gute aus meinem Leben heraus und freue mich über die Zeit, die ich mit meinen Lieblingsmenschen verbringen darf: meine Mutter, meine Schwester, mein Schwager, meine Tante, mein Onkel, meine Nichte und meine Freunde. Familie, Freundschaft und Liebe sind das Wichtigste in meinem Leben.“ Aus dieser Haltung heraus schreibt Tom Marquardt seine Melodien, manchmal auch Texte, und gibt zu: „Ich bin hochemotional. Ich bin auch jemand, der im Kino weint.“ Tief berührt war er zuletzt beim Besuch des Hape Kerkeling-Films „Der Junge muss an die frische Luft“.