Schatzsuche am Wegesrand
Mit ihren Kursteilnehmern geht Jutta Becker-Ufermann in die Natur, dort wo Giersch, Hirtentäschelkraut und Beinwell wachsen. Sie führt sie durch den Dämmerwald im Naturpark Hohe Mark. „Eine Lupe habe ich immer dabei, damit ich auch kleinste Besonderheiten einer Pflanze zeigen kann“, erzählt sie.
Bei den Spaziergängen wird rechts und links des Weges geschaut. Nach Gundermann, zarten Brennnesselblättern oder Spitzwegerich. Mit der Kräuterpädagogin wird die Gruppe schnell fündig und erfährt, was genießbare Un-Kräuter sind. Dann ist Jutta Becker-Ufermann in ihrem Element und erzählt von dem Nutzen eher unscheinbarer Pflanzen, an der mancher vorbei gegangen wäre. Eben Unkraut. „Das wusste ich gar nicht“, ist eine der häufigsten Antworten, die sie nach der Erläuterung um die Pflanze bekommt.
Wissen vor dem Vergessen retten
„Mich bestätigt es immer wieder in meinem Tun. Wissen, dass unsere Großeltern noch hatten, wird oft nicht mehr weitergegeben und geht dann einfach verloren.“ Ihr kommt es nicht nur auf die Wissensvermittlung an, sondern auf den richtigen Umgang mit den „Un-Kräutern“, wie sie die Delikatessen am Wegesrand nennt.
Vieles lässt sich nämlich daraus machen. Gut, dass zarte Löwenzahnblätter in einem wohlschmeckenden Salat ihren berechtigten Platz haben und den letzten Pfiff geben, hat sich dank der jungen wilden Köche herumgesprochen. Jutta Becker-Ufermann: „Ich stelle immer wieder fest, dass auch der ursprüngliche Geschmack verloren geht, weil die Geschmacksnerven nicht trainiert werden.“ Vieles schmeckt die Zunge nicht, weil inzwischen die Lebensmittelindustrie mächtig aufgerüstet hat. „Manch Erdbeerjoghurt hat nie eine Erdbeere gesehen.“ Und die Erdbeerfrucht? „Kinder kennen diese Frucht oft nicht und wissen auch nichts über ihren reinen Geschmack.“ An die ständige Verfügbarkeit von Obst und Gemüse hat sich der Verbraucher gewöhnt. Die saisonalen hiesigen Ernten im Jahresverlauf geraten schnell aus dem Blickwinkel „Frische Erdbeeren im Winter gibt es bei uns nämlich nicht“, verdeutlicht Jutta Becker-Ufermann.
Familienbesitz und Ausgangspunkt für berufliche Neuorientierung
Mit der Familie lebt sie ein wenig abgeschieden in Schermbeck. Der Hof, erbaut um 1904, ist schon immer im Familienbesitz gewesen und ihr ein Vermächtnis. Landwirtschaft betreibt sie nur im kleinen Umfang, aber alles um den Hof herum liefert ihr den Stoff zum Leben. Von Kindertagen an ist sie in der Natur gewesen und hat schon immer alles beobachtet. Nach dem Grafik-Design-Studium und der Familienzeit hat sie die berufliche Neuausrichtung genutzt. Sie ließ sich zur Kräuterpädagogin an der Gundermannschule in Kooperation mit der Natur- und Umweltschutzakademie NRW ausbilden.
Ihr Zertifikat hat sie sich hart erarbeitet, die Prüfungen waren nicht ohne. Sie erstellte ein umfangreiches Herbarium. Botanisches Grundwissen, Ethnobotanik, Volksheilkunde, das sind nur einige der unterrichteten wie geprüften Fächer.
Pflücken, kontrollieren, verarbeiten
Der Nutzen aller Strapazen ist allerdings nicht von der Hand zu weisen. Jutta Becker-Ufermann weiß genau, was ihre Kursteilnehmer am Wegesrand pflücken, probieren und später in Likör, Öl oder zu einem Gericht in der Küche verarbeiten dürfen. Die Kräuterpädagogin weiß: „Ich trage Verantwortung während der Exkursion und erkläre während des Spazierganges auch, warum verschiedene Pflanzen nicht genießbar sind.“ Bestes Beispiel in der Saison ist der Bärlauch, jener Lauch ohne Hauch, der wild wächst. Das giftige Maiglöckchen ähnelt im Blatt dem Bärlauch. „Und da ist es gut, die Unterschiede zu kennen.“ meint Jutta Becker-Ufermann.
Appelbongert: Uralte Obstbäume und herrliche Wildkräuter
Wenn sie mit ihren Wald- und Wiesenexkursionen startet, Un-Krautspaziergänge macht, ist die Wegstrecke genau geplant. Oft geht es zum Schluss auch in den Appelbongert direkt am Hof, wo uralte Obstbäume stehen und von Wildkräutern umgeben sind. Der Urgroßvater hat den Bongert angelegt. Das Prinzip der Nachhaltigkeit wird deutlich. Nach dem Spaziergang werden die gesammelten wie kontrollierten Un-Kräuter verarbeitet. Leuchtend rote Flüssigkeiten in formschönen Flaschen machen neugierig. Sommer im Glas, sozusagen. Auch Holunderblüten sind erkennbar. „Hier, das sind Vogelbeeren. Viele glauben zuerst an Sanddorn. Der wächst allerdings nicht bei uns“, meint sie.
Kräuterkammer und Omas Ofen
Das Hofgebäude hat sie mit ihrem Mann Joachim umgestaltet. Einerseits bieten die Ferienwohnungen Erholungssuchenden eine gemütliche Bleibe während der „Appelbongert Landferien“. Andererseits wurde im ehemaligen Schweinestall eine Kräuterkammer eingerichtet, der alte Küchenherd von Oma aufgestellt und im Backofen wird, so wie früher, Brot gebacken. Eine der Zutaten: junge Gierschblätter.
Mutter Natur hat den Tisch gedeckt
In der Küche wird dann gekocht. Pellkartoffeln mit Wildkräutern oder grüne Nudelvariationen sorgen für Begeisterung. Das Repertoire ist breit aufgestellt. Wie wäre es mit einer Un-Kraut-Quiche, grünem Wildsüppchen, Crepe-Rolle gefüllt mit Hopfensprossen oder einem Gundermann-Parfait? Da tropft der Zahn. Aber auch der Ausflug in die Kosmetik ist möglich. „Wir stellen dann Badesalze und Seifen her“, meint die Kräuterpädagogin. Wildkräuter- und Naturbegeisterte lädt sie mit ihren Kolleginnen zu den wechselnden Jahreszeiten zu Kreativwochenenden ein.
Giersch-Limonade oder Das (Wieder-)Entdecken der Natur
Natürlich hat sie auch mit Ablehnung und Vorurteilen zu tun. Giersch, ist ein solches Un-Kraut, das bei Gartenbesitzern nicht den besten Ruf besitzt und zum wöchentlichen Kampf in den Beeten ruft. Jutta Becker-Ufermann bereitet beispielsweise daraus eine wohlschmeckende Giersch-Limonde zu. Zitat einer ziemlich überraschten Teilnehmerin: „Jetzt habe ich meinen Feind getrunken!“
Das (Wieder-)Entdecken der Natur liegt im Trend. Kinder, Jugendliche wie Erwachsene erobern sich ihre Freiräume. Die Frage, wo verschiedene Lebensmittel wie Obst, Gemüse oder Kräuter herkommen, ist dabei ausschlaggebend und wie überhaupt Natur funktioniert. Mit Hilfe von ausgebildeten Kräuterpädagogen wird der naturschonende Tourismus ermöglicht.
Im Einklang mit der Natur
Jutta Becker-Ufermann hat bei ihren verschiedenen Kursangeboten einen reichen Erfahrungsschatz sammeln können. Die Bilanz nach den Exkursionen, dem Verarbeiten der Un-Kräuter wie dem gemeinsamen Schlemmen ist meist ähnlich. Schnell merkt die Gruppe, dass Hektik und Eile von ihnen abfallen. Es gibt tatsächlich den Einklang von Mensch und Natur. Man muss ihn einfach zulassen.
Infos über verschiedene Kurs- und Seminarangebote wie Naturexkursionen, Un-Kraut-Wanderungen, Kochen mit Wildkräutern und naturpädagogische Seminare unter www.appelbongert-un-kraut.de
[Text: Sabine Hannemann | Fotos: Joachim Becker | NiederRhein Edition 01/2011]