Zeitreise auf dem Fürstenberg

Auf den Spuren römischer Vergangenheit

Bereits Geschichtsschreiber Tacitus schrieb ausführlich über die Vetera Castra in seinen Werken. Belegt wurde die Existenz des Legionslagers Vetera Castra I auf dem Gelände des Xantener Fürstenbergs zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch den Archäologen Hans Lehner. Lehners langjährige Ausgrabungen (1905–1914 und 1925–1930) waren und sind auch deshalb bedeutsam für die provinzialrömische Archäologie des Rheinlands, geben sie doch Aufschluss darüber, dass auf dem Fürstenberg bei Xanten ab 10 n. Chr. tatsächlich eine der größten Militäranlagen im römischen Reich existierte. Zwei Legionen, also knapp 10.000 Soldaten, waren dort stationiert. Dass aber die das Lager umgebende Vorstadt, die sogenannte „canabae“, weitreichender war als gedacht, konnten die Archäologen des Landschaftsverbands-Rheinland (LVR) erst durch Funde bei Grabungen ab März 2023 nachweisen.

„In der Lagervorstadt befand sich die Zivilbevölkerung, die sich dort ansiedelte, um Handel zu treiben und die Versorgung der Soldaten zu gewährleisten. Dort lebten auch die Familien der Soldaten”, erklärt Dr. Julia Rücker. Sie betreut wissenschaftlich die Grabungsarbeiten im Lagerumfeld und hat sich mit uns in der Außenstelle Xanten des LVR-Amtes für Bodendenkmalpflege im Rheinland (LVR-ABR) getroffen und uns einen spannenden Einblick in ihre Arbeit gegeben.

Luxuriöser römischer Lebensstil am Niederrhein

„Eine Besonderheit dieser Ausgrabungen ist der Fund eines römischen Palastes, südöstlich vor dem Lager. Dort könnte ein hoher Vertreter der zivilen Gerichtsbarkeit gewohnt haben”, erzählt uns Julia Rücker, die in vor- und frühgeschichtlicher Archäologie promoviert hat. Der Statthalter der Provinz Germania inferior (Niedergermanien) habe bei Köln in einem ähnlichen Palast gelebt, so Julia Rücker. Nachempfunden sei der Komplex den im 1. Jh. n. Chr. gebauten Wohnhäusern der Oberschicht, wie sie in Italien zu der Zeit üblich waren. Der Palast bestand aus einem etwa 100 x 100 Quadratmeter großen Gebäudekomplex aus Stein.Beide Häuser dieses Anwesens wurden in zerstörtem Zustand von den Archäologen gefunden. „Wahrscheinlich haben die Römer selbst die Vorstadt durch einen Großbrand, während des Aufstands der Bataver 69 n. Chr., in Schutt und Asche gelegt, damit die Germanen sich nicht bei ihrem Angriff aufs Lager an diesen Orten verschanzen konnten”, vermutet Julia Rücker.

Die Funde aus den Ausgrabungen weisen jedenfalls auf einen luxuriösen römischen Lebensstil hin. Neben Fragmenten von Öllämpchen, feinem Tafelgeschirr und Glasfläschchen aus Italien, fanden sich Scherben von Amphoren, die weitreichende Importe bis hin an den Niederrhein gewährleisteten. Die Amphoren enthielten meist katalonischen oder griechischen Wein, sowie eine aus Südspanien stammende Fischsoße.

Entdeckt haben die Archäologen den Palast am Fürstenberg durch das Zusammenspiel verschiedener Bodenuntersuchungs-Methoden. Zuerst erfolgte die sogenannte Luftbildarchäologie, eine For-schungsmethode der Archäologie, bei der archäologische Überreste oder anthropogene Bodenstörungen aus größerer Höhe fotografiert werden. Mehre Flüge wurden dazu mit einem Kleinflugzeug über das Gelände am Fürstenberg unternommen. Da das ganze Gebiet landwirtschaftlich genutzt wird, fielen den Experten, mit dem Blick aus der Vogelperspektive, als erstes Bodenanomalien auf. „Durch die Luftbildaufnahmen haben wir Unregelmäßigkeiten beim Pflanzenwuchs erkennen können, die auf eine ehemalige Bebauung schließen ließen”, erklärt Julia Rücker.

Federführend bei der wissenschaftlichen Erschließung war Steve Bödecker, Limes-Koordinator vom LVR-Amt für Bodendenkmalpflege. Er führte auch wenig später die geophysikalischen Untersuchungen auf der Fläche mit einem Quad durch, auf dem ein Magnetometer und ein Bodenradar befestigt wurden. Mit einem Magnetometer kann man Magnetfelder von Strukturen im Boden erkennen, mit dem Bodenradar findet eine Messung des elektrischen Widerstands der Mauerfundamente schichtweise im Boden statt. So konnten die Umrisse des antiken Gebäudekomplexes umgehend kartografiert werden. „Das Quad ist eine echte Arbeitserleichterung, wenn man bedenkt, dass Studierende bis vor ein paar Jahren die Geräte über die gesamte Fläche tragen mussten. Dank des so ausgestatteten Quads können wir heute größere Flächen viel schneller messen und wissenschaftlich nachzeichnen”, so Julia Rücker.

Das Archäologen-Team teilte das Gebiet in zwei Suchschnitte ein. Im Norden untersuchte das Team das Gebäude mit einem Ziegeldach. Julia Rücker erzählt: „Wir haben Ziegel mit der Aufschrift ‚Legio XV‘, also Legion 15, gefunden. Die Formen, Tegula, ein flacher Ziegel, sowie Imbrex, ein gewölbter Ziegel, weisen auf ein typisches römisches Ziegeldach hin. Hinzu kamen Konzentrationen von Holzkohle, die Reste der hölzernen Dachkonstruktion.“ Das Dach sei bei den von den Römern selbst gelegten Bränden im Rahmen des Bataveraufstand 69 n. Chr. zusammengestürzt, so die Vermutung der Wissenschaftler.

Bei einem südlichen Suchschnitt, der drei Meter breit und 40 Meter lang war, wurde ein Schwitzbad, ein sogenanntes Sudatorium, aus Ruhrsandstein entdeckt. Es hat eine runde Form mit einem Durchmesser von knapp drei Metern und diente zur Entspannung und Regeneration der Bewohner. Die dazu benötigte Wasserzufuhr konnte wahrscheinlich über die Hanglage gewährleistet werden.

„Wir vermuten, dass dazu das Schichtwasser der glazialen Stauchmoräne hangabwärts dem Komplex zugeführt wurde“, meint Julia Rücker.  Außerdem weise die Gebäudefläche noch Strukturen eines Innenhofs mit Wasserbecken auf. „Für uns ein weiteres Indiz, dass es sich hier um eines der typischen römischen palastartigen Wohnhäuser handelt, wie sie in Italien für die Oberschicht gebaut wurden“, erläutert Rücker. Im südlichen Areal fand man zudem auch Bruchstücke von Glasfensterscherben, die jedoch noch sehr matt und bei weitem nicht so lichtdurchlässig wie heute waren. „Das Fensterglas wurde zum ersten Mal unter Nero, also ab etwa 54 n. Chr., im römischen Reich verbaut. Somit kann man davon ausgehen, dass die neuesten, technischen Errungenschaften sehr schnell bis in die entlegenen Provinzen verbreitet wurden“, so Rücker.

In der neueren Forschung vermutet man jetzt, dass es sich aufgrund der Größe der canabae um die von Tacitus beschriebene „Landstadt“ handelt, die sich „haud procul“, also unmittelbar oder wörtlich „nicht fern“ von Castra Vetera I befunden haben soll. Diese existierte bis 70 n. Chr.. „Bislang war nicht klar, ob mit ‚Landstadt‘ die ‚canabae‘ gemeint war oder eine Vorgängerin der östlich von Vetera I gelegenen Colonia Ulpia Trajana“, sagt Steve Bödecker. Die Colonia Ulpia Trajana lag im heutigen Xanten und existierte als einer der Hauptorte der Provinz Germania inferior in der Zeit von 100 n. Chr bis 275 n. Chr. Hier befindet sich heute der Archäologische Park Xanten des LVR.

Die Überreste des Legionslagers Castra Vetera I zählen seit 2021 zusammen mit 43 anderen Orten am niederrheinischen Limes, der Grenzlinie des römischen Hoheitsgebietes, zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Das aktuelle Grabungsteam besteht aus 14 Mitarbeitern. Außenstellenleiterin des LVR-Amts für Bodendenkmalpflege in Xanten, in der momentan 22 Leute arbeiten, ist Dr. Marion Brüggler. In diesem Frühjahr gibt es wieder einen „Tag der offenen Grabung“, an dem Interessierte den Archäologen gerne über die Schulter schauen können. In 2023 begaben sich am 22. April etwa 500 Geschichtsinteressierte in Kleingruppen mit den Wissenschaftlern auf die antike Spurensuche.

Text: Stephan Sadowski 

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